Für Hirscher «endet ein Leben»
Der beste Skirennfahrer tritt ab. Der 30-Jährige blickt auf eine Karriere voller Höhen zurück – und doch war er stets auch der Leidende, der Suchende, der Zweifelnde.
Die Ausbeute eines Lebens, ausgestellt auf einem schwarzen Brett. Acht grosse Kristallkugeln haben sie aus der Bank in Annaberg ins nahe Salzburg gekarrt für diesen Mittwochabend. Aus dem Haus von Marcel Hirschers Sponsor in dessen Heimat in diesen Veranstaltungsraum.
Auf einem Bildschirm daneben zischt der Skirennfahrer durch die Stangen, jubelt, streckt Pokale in die Höhe, wuchtet sich schweisstreibend einen Hügel hoch, stemmt Gewichte, lacht seine Frau Laura in die Kamera.
Das Licht geht an, Hirscher spaziert in den Raum, weisses T-Shirt, blaue Jeans, weisse Schuhe, er setzt sich auf einen Barhocker vor die glitzernden Trophäen. Er sagt: «Ich mache es kurz und schmerzlos: Heute ist der Tag, an dem ich meine aktive Karriere beende.»
Es ist, was alle erwartet haben. Doch für Hirscher, er sagt es so, ist speziell, dass er es endlich auch selber aussprechen darf, offiziell, es gibt kein Zurück. Es ist Erleichterung und Wehmut zugleich für den 30-Jährigen.
Lange hat er mit sich gerungen, eigentlich hat er sich über Jahre immer wieder hinterfragt im Sommer, immer wieder hat er gespürt, dass er die Kraft noch aufbringt, um um Siege zu kämpfen, und nur darum ging es für ihn. Diesen Sommer war es anders. «Es fühlt sich richtig an», sagt Hirscher. Er könne gesund abtreten, das war ihm wichtig, «weil ich mit meinem Buben einmal Fussballspielen, weiter auf dem Motocross-Motorrad sitzen und in die Berge gehen will». Es werde Momente geben im Winter, in denen er sich schwertun werde in der Pension, «schliesslich ist das nicht nur ein Jobwechsel für mich. Es ist ein Leben, das ich beende.»
Akribisch und fanatisch
Hirscher hat es so intensiv gelebt wie kaum ein anderer. Er war in seinem Sport eine Ausnahmeerscheinung, eine Lichtgestalt, eine Figur, die reizte, faszinierte und verblüffte. Siebenfacher Weltmeister, zweifacher Olympiasieger, 67-facher Weltcupsieger und eben: achtfacher Gesamtweltcupsieger, das ist seine eindrückliche Ausbeute. Hirscher fuhr seine Gegner in Slalom und Riesenslalom schwindlig, zwölf kleine Kristallkugeln als Disziplinensieger hat er geholt, verletzt war er kaum je. Es ist an diesem Mittwochabend der Abschied des vielleicht grössten Skirennfahrers.
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Video: Hirschers Vollendung
Der Österreicher holt 2018 in Pyeongchang erstmals Olympia-Gold. (Video: SRF)
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Marcel Hirscher, geboren am 2. März 1989 in Hallein, Salzburg, ordnete seiner Passion alles unter. Er scharte Leute um sich, die genauso dachten wie er, bedingungslos für ihn da waren. Sein Vater Ferdinand war immer an seiner Seite, «er war der Mastermind», sagt Hirscher an diesem Abend. Beim Training hat sich der Ferdl jedes Detail notiert, welcher Ski auf welcher Unterlage wie reagiert – und davon gab es viele. Hirscher war ein Tüftler, alleine an die Olympischen Spiele in Pyeongchang soll er 92 Paar Rennski mitgenommen haben.
Er war immer auf der Suche nach dem Zehntel, «den ich einfach geschenkt bekomme, weil das Material stimmt. Als ich das verstand, war das gewaltig. Ich arbeitete sehr akribisch, fanatisch am Material», so sagt er das am Mittwoch. Manchmal verlor er sich auch darin. Dann brauchte er seinen Servicemann, der 300 Tage pro Jahr für die «Mission Hirscher» lebte, besonders.
Wer mitmachen wollte beim Projekt, das vom österreichischen Skiverband mitfinanziert wurde, hatte alles andere hintanzustellen. Physiotherapeut, Medienverantwortlicher, Fitnesstrainer, sie alle waren gefordert.
Hirscher schuftete den Sommer über und erntete im Winter. Er versuchte nie zu verbergen, welch Kraft ihn das alles kostete. So wirkte es auch nie leichtfüssig wie bei anderen, wenn er sich die Hügel hinunterschwang. Es war immer auch Verbissenheit dabei, Kampf, Leiden, bei jedem Tor, bei jeder Stange, die totale Erschöpfung im Ziel. Physisch und psychisch verlangten ihm die acht Jahre der Dominanz alles ab, mehrmals schon dachte er an Rücktritt.
Grund war auch das Drumherum. Als er am 13. Dezember 2009 im Riesenslalom von Val-d'Isère mit dem Siegen begann, war er in der Folge oft überfordert von der Aufmerksamkeit, die ihm entgegenschlug. Es gab Tage, da traute er sich nicht mehr aus seinem Haus, wollte nicht mehr reden aus Angst, die Worte könnten ihm im Mund umgedreht werden. Dass er öffentliches Gut sein soll in der Heimat, hat er nie akzeptiert.
Vor drei Jahren angekündigt
Als er im Herbst letzten Jahres Vater wurde, liebäugelte er damit, das geheimzuhalten. «Und was passierte?», fragte er bei einer Veranstaltung. «48 Stunden später stand das in der Zeitung. Das ist doch verrückt.» So war das im Leben von Skirennfahrer Hirscher, das seit Mittwoch Geschichte ist. Er hasste nichts mehr, als die Kontrolle zu verlieren – und genau das geschah in solchen Momenten. Er liebte es, einen klaren Plan zu haben.
Nichts illustriert das so gut wie ein Zitat aus einem Interview mit der «SonntagsZeitung» vom Januar 2016: «Ich kann Ihnen sagen: Ich fahre noch drei Jahre. 2019 werde ich die Ski in die Ecke stellen.» Gestern hat er diesen Plan in die Tat umgesetzt. Es war sein letzter als Skirennfahrer.
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