Spektakuläre Aktionen in DeutschlandFür das Klima kleben sie ihre Hände auf die Autobahn
Mehr als 30-mal haben Aktivistinnen zuletzt die Berliner Stadtautobahn blockiert. Selbst die Umweltministerin und der Justizminister gerieten sich deswegen in die Haare.

Wenn sich bunt gekleidete Menschen an den Ausfahrten der A100 auf den Boden setzen, Transparente entrollen und ihre Hände innert Sekunden auf den Asphalt kleben, dauert es meist nur einen Moment, bis die Luft brennt. Reifen quietschen, Autos hupen, Fahrerinnen schimpfen, stämmige Handwerker stürmen herbei und versuchen, die Blockierer von der Strasse zu reissen.
Dann taucht die Polizei auf, trennt wütende Automobilisten und stoische Aktivistinnen, löst mit Olivenöl und Aceton, Pinsel und Spatel die festgeklebten Hände von der Fahrbahn, notiert Personalien und Anzeigen wegen «gefährlicher Eingriffe in den Strassenverkehr». Bei mehr als 30 Blockaden auf der Berliner Stadtautobahn waren es seit Ende Januar mehr als 200 Anzeigen.
Blockiert man die Autobahn, sehen alle hin
«Letzte Generation» nennen sich die Blockiererinnen und Blockierer, weil sie glauben, die Letzten zu sein, die den Kollaps des Erdklimas noch verhindern können. Auf der Autobahn kleben sie sich derzeit fest, um ein Gesetz zu erzwingen, das es erlaubt, abgelaufene Lebensmittel weiterzuverwenden. 18 Millionen Tonnen davon endeten in Deutschland jedes Jahr im Abfall. Das sei nicht nur nicht nachhaltig, sondern eine Katastrophe.
Man habe schon viele Protestformen ausprobiert, sagen die Aktivistinnen, es habe einfach nicht viel gebracht. Deswegen blockiere man nun nicht mehr Supermärkte oder Grossbäckereien, sondern Autobahnen – und siehe da, sofort hagle es Aufmerksamkeit.

Tatsächlich haben die Blockaden Berlin aufgewühlt. Die Proteste auf der Autobahn erwiesen sich auch schnell als gefährlich, für alle Beteiligten. Die Blockierer zogen Wut auf sich, hatten zuweilen auch Angst, von aggressiven Autofahrern überrollt zu werden. Feuerwehrautos und Krankenwagen steckten fest, Patienten verpassten Arzttermine. Eine hochschwangere Frau musste von der Polizei mit Blaulicht an einer Sitzblockade vorbei ins Spital gebracht werden.
SPD und FDP dagegen, Grüne dafür
Teile der Klimabewegung agieren schon länger zunehmend radikal, auch in der Schweiz werden Strassen oder Banken blockiert. Aktionen auf Autobahnen werden in Deutschland immer häufiger, manche Aktivisten rufen offen zu Sabotageakten gegen fossile Kraftwerke oder Autofabriken auf. In keinem Bundesland ist das Verständnis für Proteste wie jene auf der A100 grösser als im links-grün regierten Berlin. Aber selbst hier lehnen zwei Drittel der Bevölkerung diese ab.

Die Stadtregierung ist gespalten. Während Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin, sowie Innensenatorin Iris Spranger, beide SPD, die Blockaden als «inakzeptabel» und «gefährlich» verurteilen und ein schärferes Vorgehen ankündigen, nehmen Grüne und Linkspartei die Aktionen in Schutz: Angesichts des drohenden Klimakollapses seien Autobahnblockaden eigentlich noch «ein mildes Mittel» des Protests.
Auch die Bundesregierung entzweite sich sofort. Die grüne ostdeutsche Umweltministerin Steffi Lemke verteidigte die Aktionen auf der A100 als legitimen «zivilen Ungehorsam», wie er einst auch in der DDR nötig gewesen sei. FDP-Justizminister Marco Buschmann widersprach persönlich: «Unangemeldete Demonstrationen auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig.» Ziviler Ungehorsam sei im deutschen Recht weder ein Grund der Rechtfertigung noch der Entschuldigung.
Vor allem die Grünen taten sich sichtlich schwer, eine einheitliche Position zu finden, schliesslich gehört ziviler Ungehorsam seit Gründung der Partei zu deren DNA. Die neue linke Parteichefin Ricarda Lang etwa verteidigte die Blockaden zunächst, ruderte dann aber gleich wieder zurück.
Den grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nervte vor allem, dass solche Blockaden gemeinsame Ziele gefährdeten: «Gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man sicher nicht, wenn man Krankenwagen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert.» Zudem habe die Ampel-Koalition bereits vereinbart, dass Lebensmittelspenden erleichtert und die Verschwendung von Lebensmitteln verringert werden sollen.
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