Mamablog: Kochen für KinderFrüher Amuse-Bouche, heute «Koch-mal-husch!»
Was Kochen einst für unsere Autorin war, hat nichts mehr mit ihren Aktionen am Herd als Mutter zu tun. Die Chronik einer Kochkarriere.

Es war kein Neujahrsvorsatz. Nichts, was ich um Mitternacht salbungsvoll zum Himmel schickte. Nein. Mein Wunsch für die Zukunft holte mich weit brachialer ein. Und zwar in Form eines schweren Ordners, der mir auf den Kopf donnerte, als ich eine Vase aus dem obersten Küchenschrank holen wollte. Jaulend legte ich mich aufs Sofa und inspizierte, was mich eben so brutal zu Fall gebracht hatte. Und staunte. Es war die längst vergessene Rezeptsammlung aus dem fernen Leben vor den Kindern.
Einem Raumschiff gleich führte sie mich in diese Zeit und in die Erinnerung an meine einst so grosse Kochleidenschaft zurück. Damals schnitt ich ständig irgendwelche Rezepte aus, um sie dann fein säuberlich unter den Registern «Vorspeise», «Hauptgang», «Dessert», «Fisch», «Fleisch», «Vegetarisch» und «Amuse-Bouche» einzukleben. Leicht verstört suchte mein Hirn nach Erinnerungen an ein Leben, in dem das Wort «Amuse-Bouche» keine Ironie, sondern die Ernsthaftigkeit heutiger Besuche beim Kieferorthopäden in sich trug.
Vergammelte Rezepte zwischen Rechnungen
Dabei schneide ich auch heute noch Rezepte aus Zeitungen. Aber ihr Leben ist bei weitem nicht so glamourös wie das ihrer Prä-Kinder-Kollegen. Sie fristen ein jämmerliches Dasein irgendwo zwischen Rechnungen und Coopmärkli, um dann genauso frustriert im Altpapier zu landen wie die Kollegen Märkli, deren Einlösedatum natürlich längst abgelaufen ist.
Was das Kochen damals für mich war, hat nichts, aber auch gar nichts mit dem heutigen, mässig lustvollen «Oh, schon wieder Zeit zum Kochen!» zu tun. Denn damals verwaltete ich Rezepte nicht nur, sondern ich kochte sie auch wirklich nach. Und fügte nach ihrem Genuss persönliche Kommentare zum Rezept oder zum jeweiligen Abend hinzu. Beim Hackbraten: «Für N. gekocht. Sie hatte Liebeskummer!». Beim Chilli sin Carne: «Megalustiger Spieleabend!» und beim Scampirisotto: «Grosse Beziehungsdiskussion mit M.»
Nachdem ich fertig gegrinst hatte, schaute ich fragend zu meinem Raumschiff und sah zu, welchen Weg es von der Leidenschaft zu dieser lauen Motivation geflogen ist. Zwecks Reaktivierung der Leidenschaft erstellte ich erst mal eine Analyse des Kulturuntergangs. Sie ergab Folgendes:
Die Menge
Einmal in der Woche für einen besonderen Anlass zu kochen, ist was anderes, als zwei Mal täglich etwas auf den Tisch zu zaubern. Das Frühstück übergehen wir jetzt mal grosszügig.
Unerwünschte Kreativität
Wenn ich doch mal ganz anders kochte – einen hübsch flambierten Topinambur zum Beispiel – schaute ich im besten Fall in lustlose Kindergesichter, im schlechtesten in schmerzverzerrte Grimassen, die an Halloween allen den Rang ablaufen würden. Das hat meine Lust nach Neuem, sagen wir mal, etwas geschmälert.
Die Rituale
Früher: Ein Glas Wein und meine Lieblingsmusik zum Kochen.
Heute: Zum Glas stilles Wasser läuft in Endlosschlaufe der Hit «Kannst-du-mal-schauen-ich-verstehe-diese Matheaufgabe-nicht!». Oder, wenn der ausnahmsweise mal nicht in der Playlist ist, gerne der Evergreen «Mamaaa!».
Anforderungen
Schmecken soll es allen. Ausserdem solls gesund, regional, saisonal und nicht zu zeitaufwendig sein. Habe ich was vergessen? Egal, ich glaube Pasta ohne Sauce erfüllt alle Kriterien.
Die Resignation
Irgendwann war es so weit: Ich kochte kinderfreundlich. Leider war kinderfreundlich in etwa so vielfältig wie die Uniformen der Schweizer Armee. Und meine Begeisterung dafür etwa so gross wie die der Soldaten beim Einrücken am Montagmorgen.
Nach der Analyse klappte ich den Ordner zu. Ich wusste, ich will wieder mehr Freude haben und kreativ sein beim Kochen. Mehr darauf achten, worauf ich Lust habe, statt es allen recht machen zu wollen.
Und eigentlich ist es heute gar nicht so anders als früher. Wie damals ist das Kochen mit Emotionen verbunden. Vielleicht sollte ich heute auch einfach die Rezepte mit den Geschichten verknüpfen. Denn wenn unter flambiertem Topinambur «Ist das Seife?» steht, wird mir das in dreissig Jahren – in meinem Lehnstuhl im Altersheim – genauso ein Lächeln entlocken, wie es heute die Kommentare aus meinem Singleleben tun. Zudem ist die Zeit auf meiner Seite: Die kulinarische Offenheit von Kindern wächst mit ihrem Alter. Ich hoffe, dass ich es mit ihr tue.
Fehler gefunden?Jetzt melden.