Empathie als KunstformFrauen, die mit traurigen Augen frontal in die Kamera blicken
Die südafrikanische Künstlerin Gabrielle Goliath zeigt mit einem 3,5 Stunden dauernden Musikfilm ihre Empathie für die Opfer sexueller Gewalt.

Als sie in Kiew im Jahr 2019 den Future Generation Special Prize der Victor Pinchuk Foundation gewonnen hatte, ahnte noch niemand, dass Russland drei Jahre später die Ukraine überfallen und mit ungeheurer Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung vorgehen würde. Dennoch traf Gabrielle Goliath mit ihrer Kunst des Trauerns und ihrem Kampf um die Erinnerung an die Missbrauchten und Ermordeten den Nerv eines Landes, das nicht erst seit der Eroberung der Krim der Aggression der Russen ausgesetzt ist.
Gabrielle Goliath wurde 1983 in Johannesburg geboren und engagiert sich in ihrer Kunst für traumatisierte Menschen schwarzer und brauner Hautfarbe und solche, die eine non-binäre Sexualität leben. Sie hat einen Master of Arts der Witwatersrand, Johannesburg, und wird von der international tätigen Goodman Gallery mit Filialen in Johannesburg, Cape Town und London vertreten.

Der Schock ihres Lebens war der Tod ihrer damals 10-jährigen Schulfreundin Berenice, die am Weihnachtstag 1991 zu Hause erschossen aufgefunden wurde. Berenice ist seither die grosse Abwesende in Goliaths Leben, wie uns die Künstlerin in ihrer Ausstellung im Kunsthaus Baselland sagte. 19 Jahre nach ihrem Tod, im Jahr 2010, errichtete sie der Ermordeten ein künstlerisches Denkmal, für das sie 19 junge Frauen darum bat (also für jedes Jahr seit dem Tod eine), sich stellvertretend für die Ermordete fotografieren zu lassen.
Porträts in Abwesenheit
Es sind «Porträts in Abwesenheit» geworden, wie die Künstlerin sich ausdrückt. Frauen, die mit traurigen Augen frontal in die Kamera blicken. Goliath erklärt, sie wolle mit ihrer Kunst rassistisch-sexuelle Gewaltparadigmen überwinden, die unsere soziale Welt beherrschten. Die Aufgabe der Trauerarbeit bestehe darin, «sich eine andere Welt vorzustellen und zu versuchen, sie zu verwirklichen. Das bedeutet, diejenigen mit uns zu tragen, die sich an eine Ordnung der Gewalt verloren haben oder noch immer überleben.»

Um Empathie und Trauerarbeit geht es Goliath auch in «This song is for…», einem elegischen Film, der in Kiew Premiere feierte. Die Künstlerin hat mit zehn Personen, die vergewaltigt worden waren, über ihre Traumata gesprochen. Sie sagt, sie sehe sich weder als Heilerin noch als Therapeutin. Es sei eher umgekehrt: Sie sei von diesen Frauen therapiert worden. Sie hoffe, mit ihrer Arbeit, bei der es ums Zuhören, ums Verstehen, um das Gewinnen von Vertrauen ging, etwas reparieren zu können.
Kratzer wie auf einer Vinylplatte
Das künstlerische Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist ein vielstimmiger Klagegesang. Jede der missbrauchten Personen wählte einen Song, der für den Film von einer professionellen Sängerin interpretiert wurde. Zu sehen und zu hören sind auf dem 22-Kanal-Video auch die Begleitmusiker. Der Film besteht aus elf aufeinanderfolgenden Sequenzen (eine Person wählte zwei Lieder) zu ungefähr zwanzig Minuten. Stilistisches Merkmal aller Songs ist, dass sie an einem bestimmten Punkt unterbrochen werden, sodass eine Songzeile wie bei einer Vinylplatte mit einem Kratzer unzählige Male wiederholt wird. Ein Verfahren, mit dem die Auswirkungen der Gewalt auf das Opfer, dessen Lebenslauf durch die Tat brutal unterbrochen wurde, sich in der Musik spiegeln.
«This song is for…» wurde nach seiner Premiere in London, Johannesburg, Göteborg, Stockholm, Cape Town und Edinburgh gezeigt. Im Kunsthaus Baselland ist der Film erstmals im deutschsprachigen Raum zu sehen. Demnächst wird er auch am Kunsthaus Zürich präsentiert, das ihn laut Jahresbericht 2021 angekauft hat.
«This song is for…» läuft im Kunsthaus Baselland bis 17. Juli.
Fehler gefunden?Jetzt melden.