
Das deutsch-französische Tandem, das in Frankreich tatsächlich als «Paar» bezeichnet wird, feiert seine diamantene Hochzeit. 1958 wurde die Partnerschaft initiiert und fünf Jahre später, 1963, mit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags formell ins Leben gerufen. Heute steckt das Tandem in seiner wohl tiefsten Krise seit dem Inkrafttreten des Vertrags. Ein Beispiel dafür ist die Absage des deutsch-französischen Ministerrats am 26. Oktober, der in beiden Ländern für Entrüstung sorgte. Trotzdem glauben wir, dass sich beide Länder neu erfinden können.
1963 traten Frankreich und Deutschland mit unterschiedlichen Ambitionen ihre Partnerschaft an: Paris wollte insbesondere in Europa seine Position stärken und verfolgte einen französischen Universalismus; Berlin sollte dabei die Rolle des Wirtschaftsmotors übernehmen. Seit den 1990er-Jahren haben sich beide Länder allerdings zunehmend auseinanderentwickelt, vor allem, weil Deutschland wirtschaftlich aufstrebte und seine jahrelang geübte politische Zurückhaltung aufgab.
Doch heute sind die Zeiten endgültig vorbei, in denen, wie Jimmy Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski schrieb, «Frankreich durch den Aufbau Europas seine Wiedergeburt und Deutschland seine Erlösung erlangt». Die internationale Ordnung unterliegt einem Zerfallsprozess. In diesem Kontext sehen Frankreich und Deutschland ihre traditionellen Rollen innerhalb Europas infrage gestellt.
Der Ukraine-Krieg, die Inflation und der Brexit begründen die Legitimität des deutsch-französischen Paares neu.
Der Einfluss Frankreichs auf internationaler Ebene ist erschüttert, nicht zuletzt aufgrund seines Rückzugs aus der Sahelzone. Der Rückgang der französischen Einflusssphäre, der sich während der letzten beiden Jahrzehnte abspielte, koinzidiert mit Deutschlands Erschütterung durch den Ukraine-Krieg. Der nun aufgelöste Energiepakt mit Moskau signalisiert das Scheitern der von Gerhard Schröder und Angela Merkel eingeschlagenen Oststrategie, und die von Bundeskanzler Olaf Scholz ohne Absprache getroffenen Entscheidungen über eine massive Aufrüstung der Bundeswehr sowie seine Reise nach China vertiefen die Kluft zwischen Paris und Berlin in Bezug auf ihre strategische Ausrichtung weiter.
Der Ukraine-Konflikt und seine Folgen, der Inflation Reduction Act der USA und auch der Brexit begründen die Legitimität des deutsch-französischen Paares neu. Die externen Bedrohungen und der Austritt Englands aus der EU sind für Deutsche und Franzosen eine Gelegenheit, gemeinsam eine neue Perspektive für sich selbst und die Europäische Union einzunehmen. An Themen mangelt es nicht, seien es Energiefragen (trotz der Divergenzen) oder eine nachhaltigere Landwirtschaft. Ebenso sollten beide Länder auf internationaler Ebene und aus geopolitischer Sicht ihre Positionen besser abstimmen, was eine gemeinsame Analyse von Risiken, Bedrohungen und Handlungsmöglichkeiten voraussetzt.
Darüber hinaus hat das deutsch-französische Paar, wie es Joschka Fischer 2000 vorschlug, die Möglichkeit, den Kern einer Avantgarde freier Staaten zu bilden, die eine Vertiefung des europäischen Projekts auf der Grundlage seiner Werte anstrebt. Dies setzt allerdings voraus, dass Meinungsverschiedenheiten rasch überwunden werden und die Rolle des Tandems vor allem in einer Vision des europäischen Ganzen wiedergefunden wird. «Die Entscheidung für die deutsch-französische Achse ist keine Angelegenheit ideologischer Präferenzen», schrieb der Historiker Jacques Julliard – nun fehlt es nur noch am politischen Willen auf beiden Seiten des Rheins.
* Felicitas Holzer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich. William Leday ist Dozent für internationale Beziehungen an der Sciences Po in Aix-en-Provence (F).
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Gastbeitrag zum deutsch-französischen Verhältnis – Frankreich und Deutschland müssen ihre Rolle als Tandem neu definieren
60 Jahre Élysée-Vertrag: Die beiden Länder sollten ihre Meinungsverschiedenheiten mit Blick auf die weltweiten Krisen rasch überwinden und die Weiterentwicklung der EU vorantreiben.