Frankreich jagt das Motorroller-Phantom
Wieder hat in Südfrankreich der mysteriöse Rollerfahrer einen tödlichen Anschlag verübt. Dieses Mal waren nicht Soldaten, sondern jüdische Schüler das Ziel. In beiden Fällen wurde dieselbe Waffe verwendet.
Am Morgen gegen acht Uhr fährt der Todesschütze mit dem Motorroller vor die jüdische Schule Ozar Hatorah in einer ruhigen Einfamilienhaussiedlung im südfranzösischen Toulouse. Vor dem Gebäude in der Rue Dalou stehen Erwachsene und Kinder. Der Täter feuert mit einer kleineren Neun-Millimeter-Waffe auf einen Lehrer, stellt dann seinen Roller ab und betritt das Schulgelände. Dort schiesst der Mann mit einer grösseren Waffe nach Angaben der Staatsanwaltschaft auf «alles, was er sah, Kinder und Erwachsene».
Neben dem französisch-israelischen Religionslehrer sterben seine beiden Kinder sowie die zehnjährige Tochter des Schuldirektors, bevor der Täter auf seinem Motorroller davonfährt. Ein 17-jähriger Schüler wird schwer verletzt. Von einem «antisemitischen Anschlag der schlimmsten Art» spricht Charles Bensemhoun, der Vater eines Schulkindes. «Die Opfer sind wie meine eigenen Kinder», sagt Karine Tordjman, die einen Sohn und eine Nichte auf der Schule hat. «Wir kennen uns alle hier.»
«Wir hatten grosse Angst»
Die sechsjährige Alexia berichtet, wie sie am Morgen in die Schule kam und nur fünf Minuten später die Schüsse hörte: «Wir hatten grosse Angst.» Die Schüler seien schnell in ein Klassenzimmer gebracht worden. «Wir haben zusammen gebetet und darauf gewartet, dass unsere Eltern kommen.»
Präsident Nicolas Sarkozy besucht wenige Stunden später den Tatort und spricht von einer «nationalen Tragödie». «Das sind nicht nur eure Kinder, das sind auch unsere Kinder», sagt der Staatschef an die Eltern gewandt. Auch der sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande sagt seine Termine ab und kündigt einen Besuch in Toulouse an.
Alle Parteien geeint
Der Präsidentschaftswahlkampf, der in den vergangenen Tagen die Aktualität in Frankreich beherrschte, wird vorerst ausgesetzt. In der Stunde der Trauer sind alle Parteien geeint. Morgen soll in allen Schulen des Landes in einer Schweigeminute der Opfer gedacht werden.
Was die Franzosen schockt, ist nicht nur der Tod unschuldiger Kinder und der schwerste Angriff auf eine jüdische Einrichtung seit 30 Jahren. Es ist auch die Tatsache, dass der Täter innerhalb der vergangenen acht Tage wahrscheinlich schon dreimal zuschlug - immer auf ähnliche Art. Er fuhr am helllichten Tag mit einem schweren Motorroller oder Motorrad vor und feuerte gezielt auf seine Opfer. In den ersten beiden Fälle schoss er auf Fallschirmjäger, von denen er drei tötete und einen schwer verletzte.
Taten scheinen zusammenzuhängen
Dabei ging der Täter extrem kaltblütig vor: Den ersten Soldaten spürte er offenbar über eine Internet-Anzeige auf und tötete ihn dann am Sonntag vor einer Woche in Toulouse, als der Mann in Zivil unterwegs war. Die anderen beiden Fallschirmjäger erschoss der Mann im 50 Kilometer entfernten Montauban vor dem Geldautomaten. Alle drei Opfer waren nordafrikanischer Abstammung.
Es gebe «ernsthafte Hinweise», dass die drei Taten zusammenhingen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Nicht nur der Motorroller ist ein Indiz dafür. Auch die Waffe hatte stets dasselbe Kaliber von 11,43 Millimetern. Zudem wurde bekannt, dass bei den Anschlägen auf die Fallschirmjäger dieselbe Waffe benutzt worden ist.
Der meistgesuchte Mann Frankreichs
Über die Motive des Unbekannten, der seit seinem zweiten tödlichen Angriff am Donnerstag der meistgesuchte Mann Frankreichs ist, rätseln Regierung und Justiz auch am Montag. Nachdem Verteidigungsminister Gérard Longuet kurz vor der Tat in Toulouse noch von einem «Verrückten» sprach, nimmt nach dem tödlichen Angriff die Staatsanwaltschaft Paris Anti-Terror-Ermittlungen auf.
Eine Frau will das Gesicht des Mannes trotz des Motorradhelms nach seiner Tat in Montauban gesehen haben. Er habe eine Narbe oder eine Tätowierung auf der linken Wange, berichtet die Zeugin mehreren Medien. Die Ermittler wollen dies nicht bestätigen. Doch in Ermittlerkreisen sind zwei Dinge klar: Es muss sich um einen guten Schützen handeln, und «er muss sehr viel Selbstvertrauen haben, um diese Verbrechen immer nach demselben Schema zu begehen».
In der Region geht nun die Angst vor weiteren Anschlägen um. Der Bürgermeister von Toulouse, Pierre Cohen, verwies gegenüber dem französischen TV-Nachrichtensender BFM auf die Kaltblütigkeit des Täters. «Wir sind extrem beunruhigt», sagte er. Die französischen Behörden verstärkten die Sicherheitsvorkehrungen vor allen jüdischen Schulen in Frankreich.
AFP/bru
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