Fräulein, nicht Frau!
«Frl.» war Erkennungsmerkmal, Titel und ein Orden, den heute kaum mehr jemand verdient.

Fräulein gehört sich nicht. Das sagt man nicht mehr und wenn mann es trotzdem sagt, bekommt er eins aufs Maul. Die Verkleinerung der Frau ist verboten, spätestens seit die letzte Generation jener Frauen weggestorben ist, die «Fräulein» als Titel und hart erkämpfte Errungenschaft betrachtete. Wenn man sie mit «Frau» ansprach, kam ein dezidiertes «Fräulein, nicht Frau!» zurück.
Diese Generation Frauen ist zwischen 1890 und 1915 geboren, ist mit den Suffragetten der Belle Epoque gross geworden, welche für Stimmrecht und Gleichberechtigung kämpften. In den «Roaring Twenties» waren sie «Flapper», jene aufmüpfigen jungen Frauen, welche sich die Haare kurz schnitten, rauchten, tanzten und einen eigenen Slang entwickelten.
Es waren aber auch jene Frauen, die ihre Lebensträume durch mindestens zwei Kriege, die Grippe-Epidemie und mehrere Wirtschaftskrisen, durch Flucht und den Holocaust zertrümmert sahen. Und vor allem waren es jene Frauen, welche die Widrigkeiten jenes Lebens selbstständig, ohne Mann und «sich heiraten lassen» bewältigt haben. Die «Fräuleins» waren oft ganz und gar nicht jene Frauen, die «keinen mehr bekommen haben», wie dann oft hinter vorgehaltener Hand gelästert wurde.
«Ich wollte nicht»
«Es gab viele Männer, die wollten. Aber ich wollte nicht und ich will auch jetzt nicht», hiess es da noch mit über 90 Jahren. Sie waren Fräulein aus Überzeugung und forderten ihren Titel mit Nachdruck ein. «Frau Doktor» und «Frau Pfarrer» oder gar «Frau Nationalrat» konnte jede werden, wenn sie nur geschickt genug heiratete, oder die Eltern ihr das organisierten. «Eine gute Partie machen», nannte man das.
Die echten Fräuleins rümpften darob die Nase. Sie waren sich selber ihre eigene gute Partie. Noch vor zwanzig Jahren traf man deshalb Fräuleins, die in den 1920er- und 1930er-Jahren auf eigene Faust durch Afrika und Südamerika gereist waren, mit Freundinnen fast alle Bündner Berge bestiegen hatten, damals, als die Alpen- und Skiklubs noch Männern vorbehalten waren. An den nach Hautfarben getrennten Schulen der amerikanischen Südstaaten waren es die Fräuleins aus Europa, die Sprachen und Geografie unterrichteten, dort die schwarze Musik und Kultur schätzen lernten – und die Rassentrennung verabscheuten.
Ein kleiner, unscheinbarer Koffer
Und manchmal machten sie noch ganz andere Dinge. Bei der Räumung der kleinen Einzimmerwohnung eines Fräuleins, das mit fast 100 Jahren in Chur gestorben war, tauchte ein kleiner, unscheinbarer Koffer mit einem ledernen Adress-Anhänger auf – nichts Ungewöhnliches.
Doch auf der Rückseite des Kärtchens mit der Adresse stand mit derselben Schreibmaschinenschrift eine andere Adresse – mit einer Strasse, die es in Chur gar nicht gibt und nie gegeben hat. Das Fräulein hatte noch bis weit nach der Pensionierung für einen Verlag mit Druckerei gearbeitet. Doch für ihre Verwandten erhärtete sich ein schon früher gehegter Verdacht. Nämlich, dass das Fräulein früher auch Spionin war.
Fräulein war deshalb für jene Frauen gleichfalls Erkennungsmerkmal wie Titel, für den sie lange und hart gearbeitet haben – länger und härter als manch ein Mann für sein «Dr.» oder «Prof.», das dann stolz und aufdringlich auf Visitenkarten und Klingelschilder gedruckt wurde.
«Frl.» war ein Orden, den heute kaum mehr jemand verdient, weil man sich jene Welt und die vielen Hindernisse für Frauen, in denen sich die Fräuleins behaupteten, gar nicht mehr vorstellen kann. Und es waren diese Fräuleins, die den heutigen Frauen die Türen geöffnet haben. Drum sagt man heute besser «Frau» – allein schon aus Achtung vor jenen Fräuleins.
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