Fortschritt trotz Technik
Die Band Depeche Mode präsentiert ihr neues Album «Spirit» und kommt für einen Spezial-Event an die Baselworld. Die BaZ verlost exklusiv Tickets für diesen nicht öffentlichen Auftritt.

Das Album ist tot, behauptet die Musikindustrie mit Nachdruck. Für diese Überzeugung gibt es technische Gründe. Mit der zunehmenden Popularität von Download- und Streaming-Angeboten werden immer öfter einzelne Stücke und immer weniger ganze Werke aus dem Internet konsumiert, heisst es. Um die Zerstückelung ihrer Alben bei iTunes zu verhindern, gingen Pink Floyd, Coldplay und Radiohead schon vor zehn Jahren gerichtlich gegen ihre damalige Plattenfirma EMI vor – mit Erfolg. Aufhalten konnten diese Konzeptdenker aus einer anderen Zeit den Trend nicht.
Gegenläufig zu allen Marktprognosen feiert das Album in letzter Zeit ein unverhofftes Comeback: Besonders in der sogenannten Black Music werden wieder grosse Werke mit thematischen Bögen eingespielt, die vom Publikum auch als solche goutiert werden. Ob diese Entwicklung an den gesteigerten Ambitionen von Künstlern wie Beyoncé, Frank Ocean und Kanye West liegt oder an der viel beschworenen Renaissance der Vinyl-LP, ist unklar. Fest steht, dass die wichtigsten Alben des letzten Musikjahrs wieder Werke alter Schule waren.
In jeder Hinsicht gereift
Begrüssenswert ist diese Bewegung allemal. Die englische Synthie-Pop-Band Depeche Mode, die sich traditionell immer von einer Single und einer Tournee zur nächsten gerettet hat, reitet auf dieser antizyklisch verlaufenden Welle mit. Das merkt man daran, wie souverän sich die etwas plakativ geratene Vorab-Single «Where's The Revolution» in den klanglichen und thematischen Kontext ihres neuen Albums einreiht. «Spirit» handelt vom Leben in Zeiten von Gefühlskälte, Turbo-Kapitalismus und Desinformation. Auch wenn Depeche Mode selber seit vielen Jahren ausgesorgt haben, prangern sie die Gier der Mächtigen an und zeigen die Ängste der kleinen Leute mit einer für ihre Verhältnisse untypischen Wut auf. Da verzeiht man diesem Millionärsclub den kleinen Widerspruch in ihrem Handeln.
Zur grossen Überzeugungskraft von «Spirit» trägt Frontmann Dave Gahan viel bei. Er, der auf Depeche Modes ersten Alben Anfang der 80er-Jahre wie ein krankes Nebelhorn ins elektronische Gebälk der Musik dröhnte, zeigt hier Bedrohlichkeit und Verzweiflung mit bestechender Präzision. Seit seinem Alkohol- und Drogenentzug Mitte der 90er-Jahre ist Gahan als Sänger und Songwriter immer weiter gereift, auf «Spirit» kostet er diese Maturität genüsslich aus: In «Where's The Revolution», einem Stück, das wie für die grosse Bühne geschaffen wirkt, zeigt sich Gahan über die Apathie seines Publikums ebenso enttäuscht wie erzürnt.
Martin Gore, bis 2000 Depeche Modes zentraler Songschreiber, darf auch wieder singen. Sein «Eternal» kommt erschütternd daher, als entschwinde dem Sänger die Liebe zu seinen Kindern, die er gerade so inbrünstig als unsterblich beschwört. Beim Abspann «Fail» gibt Gores dünnes Falsett Depeche Mode ein jazziges Kolorit. Von dieser Band hat man Vergleichbares seit dem digitalen Gospel des verkannten Meisterwerks «Songs Of Faith And Devotion» (1993) nicht mehr gehört. Aber Depeche Mode gehen weiter: Gores bluesige E-Gitarre übernimmt nicht bloss verzierende Funktionen, sie wird stellenweise zum satanisch knisternden Hauptinstrument. Sogar ein asthmatisches Harmonium flackert auf.
Bekannte Muster durchbrochen
Auf «Spirit» scheint alles erlaubt, es gelingt aber nicht alles. Streckenweise sind die Arrangements überladen, manche Soundeffekte kennt man von früheren Alben her. Gleichzeitig spielen Depeche Mode und ihr neuer Produzent James Ford (Simian Mobile Disco) klarer mit Songstrukturen und Klängen. «Cover Me» scheint vor allem aus einer lang hinausgezogenen Klimax zu bestehen, bei «You Move» entwickeln die kruden Analog-Arpeggi eine frostige Weite.
So werden auf «Spirit» kleine Taucher durch grosse Höhenflüge ausgeglichen, bekannte Muster mit nachdenklichen Wendungen durchbrochen. Sozusagen als Absichtserklärung beginnt «Spirit» mit «Going Backwards». Gleich bei dieser Eröffnungsnummer setzen Depeche Mode dem technischen Fortschritt, von dem sie als Pop-Avantgardisten überzeugt schienen, den gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Niedergang des Abendlands entgegen. Das sind gewiss bedrückende Inhalte, die Depeche Mode aber aufbrausend inszenieren. Vor dem inneren Auge glaubt man schon zu sehen, wie sie zu dieser düsteren Standortbestimmung ihre Bühnenshow auffahren.
«Going Backwards» heisst also der Einstieg, aber für Depeche Mode kann von einem Rückschritt keine Rede sein. Weil sie das grosse Grauen im 21. Jahrhundert mit erschütternder Konsequenz ausmalen, hört man «Spirit» gebannt und begeistert vom ersten bis zum letzten Ton durch. Politisch hatte diese Band schon immer etwas zu sagen. Ganz so klar haben sie ihre Überzeugungen noch nie zur Geltung gebracht.
Details zur exklusiven Verlosung der Tickets für den nicht öffentlichen Auftritt von Depeche Mode in Basel siehe Box.
Depeche Mode: «Spirit», Sony Music. Konzert: Letzigrund-Stadion, Zürich. 18. 6., 19 Uhr. www.livenation.de
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