Erstmals ist ein Lotse der Flugsicherung Skyguide rechtskräftig verurteilt worden, obschon nichts und niemand zu Schaden gekommen ist. Schaden richtet aber das Urteil selbst an.
Es gefährdet eine Kultur, die seit Jahrzehnten in der Luftfahrt für ein immer robusteres Sicherheitsnetz gesorgt hat: die sogenannte Just Culture. Sie ermöglicht, dass Lotsen, Besatzungen, Bodenpersonal oder Techniker sämtliche gefährlichen Zwischenfälle melden, die sie verursacht oder entdeckt haben. Ohne dass sie eine Strafe befürchten müssen – es sei denn, sie handeln grob fahrlässig oder vorsätzlich. Auf diese Weise deckt die Luftfahrt weltweit und seit je Sicherheitslücken auf, die andernfalls unbemerkt blieben – und schliesst sie. Dank dem technologischen Fortschritt und dieser Just Culture ist der Luftverkehr heute so sicher wie nie zuvor.
Es ist verkehrt, davon auszugehen, dass Fluglotsen mehr auf Sicherheit bedacht sind, wenn ihnen persönlich eine Strafe droht.
Die Just Culture dient aber längst nicht mehr nur den Aviatikern. Sie ist in sämtlichen fehlersensiblen Hochsicherheitsorganisationen essenziell – in Nuklearanlagen, bei Medizinern, im öffentlichen Verkehr. Und wer in diesen Bereichen Generalprävention betreiben will und Strafen androht, denkt nicht weit genug. Er vergisst, dass weder ein Lotse noch ein Pilot noch ein Nuklearinspektor Fehler begeht, weil er egoistisch motiviert handelt.
Es ist verkehrt, davon auszugehen, dass diese Berufsleute mehr auf Sicherheit bedacht sind, wenn ihnen persönlich eine Strafe droht. Schliesslich ist die oberste Prämisse bei jeder ihrer Entscheidungen die Wahrung der öffentlichen Sicherheit – sie werden unter diesem Aspekt selektioniert und ausgebildet. Nach dem Urteil hängt nun das Damoklesschwert über der Just Culture. Und das dient nicht der Sicherheit. Es gefährdet die Entwicklungsfähigkeit fehlersensibler Systeme – und damit die Öffentlichkeit. Höchste Zeit, dass sich nicht nur die Aviatiker, sondern auch das Parlament in Bern damit befasst und die Just Culture im Gesetz verankert.
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Fluglotsen-Urteil bewirkt das Gegenteil des erwünschten Effekts
Die Bundesrichter haben einen Präzedenzfall geschaffen, der in der Schweiz und ganz Europa für Aufsehen sorgt.