Fischen wie vor hundert Jahren
Vom Wasser zum Wald: Unterwegs in der Mecklenburgischen Seenplatte.

Sabine Reimer-Meissner greift einen zappelnden Weissfisch vom Bootsboden, haut ihm mit einem Holzstück auf den Kopf und wirft ihn ins Wasser. «Dort kommt er», sagt die Fischerin und deutet auf einen Seeadler, der über uns kreist. «Mein Urgrossvater hatte einen, mein Grossvater und mein Vater, und der dort, datt is meiner.» Der Adler landet auf einer Tanne. «Na watt is denn nu, mach doch die Augen auf», ruft Sabine und zeigt auf den toten, im See treibenden Fisch. Schon gleitet der König der Lüfte heran, haut im Flug die gelben Krallen in die Beute und steigt wieder.
Boote sind auf dem Rödliner See in der Mecklenburgischen Seenplatte nicht erlaubt. Nur die Fischerin Sabine Reimer-Meissner darf im Naturschutzgebiet Reusen auslegen. 18 Seen hat sie gepachtet – die einzige Fischerin Mecklenburgs, die Fischerei in diesem Ausmass betreibt. Der Rödliner See ist einer von 2200 im seenreichsten Bundesland Deutschlands. Auch der grösste Binnensee Deutschlands liegt hier, der Müritzsee.

«Wir sind vom Wasser geprägt», sagt Sabine Reimer-Meissner, «wir fischen noch wie vor hundert Jahren.» Sie steuert einen der dünnen, hölzernen Pfähle an, die aus dem Wasser ragen, beugt sich vor, hievt eine schwere Reuse ins Boot und leert sie.» Das Fischerherz freut sich.» Fünf grosse, glänzende Aale schlängeln sich um Sabines Gummistiefel. Auch eine Schleie hat sie gefangen und etliche Flusskrebse. Die Rotfedern sind noch zu klein, sie fliegen zurück ins Wasser.
«Wir Mecklenburger leben mit und von der Natur», sagt Sabine Reimer-Meissner, während sie ein Loch in der Reuse mit einer Fischernadel verschliesst. Natur gibt es viel in Mecklenburg-Vorpommern; der Tourismus spielt eine wichtige Rolle. «Aber die Touristenströme fliessen in Richtung Ostsee und Inseln links und rechts an uns vorbei», sagt die 48-jährige Fischerin. Auf Sabines Hof hängen Netze zum Trocknen, altes Gerät liegt herum. Hier wird der Fisch weiterverarbeitet: geräuchert oder sauer eingekocht.
Ehemaliges Jagdgebiet der Mächtigen
Vom Wasser zum Wald: Wir treffen Ralf Wendt, einen Naturführer, der uns den Müritz-Nationalpark zeigen wird. Mecklenburg-Vorpommern hat die meisten Nationalparks aller Bundesländer, 3 von insgesamt 16. Der Müritz-Nationalpark ist mit 322 Quadratkilometern der grösste von allen. 72 Prozent davon bedecken Wälder, 13 Prozent Seen, 5 Prozent Moore.
Wir fahren mit dem Auto über eine Strecke, die wellig ist wie ein gestauchter Teppich. «Durch Mecklenburg-Vorpommern zieht sich von Polen bis Schleswig-Holstein ein Endmoränenbogen», sagt Ralf Wendt, 53, «der macht unsere Gegend schön hügelig.»

Wälder, die von Menschen nicht genutzt werden, sind extrem selten in Deutschland, Urwälder existieren in Westeuropa nicht mehr. Bis zum Ende des Mittelalters war der deutsche Wald abgeholzt. «Drei Tage vor der Wiedervereinigung hat die Volkskammer der DDR noch die Gründung der Nationalparks vorbereitet», sagt Ralf Wendt, während wir an Buchen und Fichten vorbeiwandern. Zu Ost-Zeiten waren die Wälder hier das Jagdgebiet der Mächtigen, die Bevölkerung hatte keinen Zutritt.
Im Müritz-Nationalpark kann man besichtigen, was passiert, wenn der Mensch die Natur in Ruhe lässt. «Wir haben hier eine Kiefer, die ist 240 Jahre alt. Das ist vollkommen unnormal in einem Wirtschaftswald.» Angeschmiegt an die grosse Kiefer, steht eine Buche. Es sieht aus, als tanzten sie Tango. «So etwas würde ein Förster nicht dulden», sagt der Naturguide. In der Ferne hören wir Knirschen und Knarren. «Das sind Bäume, die aufeinandergefallen sind und sich reiben. Hier wird alles so gelassen, wie es eben kommt.»
Neuer Lebensraumaus totem Holz
Über ein Moor stakst ein Kranich. Früher gab es hier eine Wiese, die zur Jagd und zum Heuen genutzt wurde. Nachdem die Parkverwaltung die Entwässerungsgräben geschlossen hatte, konnte sich wieder ein Moor bilden. Auch der Spiegel des Schweingartensees stieg. Ein selten morbides Bild bietet sich unseren Augen: Auf tiefschwarzem Wasser schwimmt ein Schwanenpaar, dunkelbraune Stämme treiben auf dem See. Am Rand stehen die rindenlosen Stümpfe toter Bäume. Am Ufer wächst Röhricht, Binsen wiegen im Wind. Als der Wasserspiegel anstieg, standen die Uferbäume im Nass und starben ab. Ihr Holz ist jetzt Lebensraum für viele Tiere.
«Als Kind bin ich mit dem Handwagen durch den Wald gelaufen und habe Holz gesammelt, um es zu Hause zu verbrennen», erinnert sich Ralf Wendt. Heute möchte er die Leute sensibilisieren: Das Totholz ist wichtig für den Wald, weil es zu Humus wird, der die nächsten Generationen ernährt.
Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Mecklenburgische Seenplatte und www.germany.travel
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