«Filme muss man teilen können»
Christian Petzold macht anspruchsvolles Autorenkino. Das Stadtkino Basel hat den 58-jährigen Berliner zu einer Werkschau eingeladen.

Herr Petzold, einige Regisseure reden nicht so gern über abgeschlossene Projekte. Jetzt begegnet Ihnen Ihre Vergangenheit in Basel als Werkschau. Wie geht es Ihnen damit?
Das ist doch nur ein kleiner Narzissmus, über seine Filme nicht sprechen zu wollen. Ich möchte eigentlich den ganzen Tag darüber sprechen. Und seit ich mit meinem verstorbenen Kollegen Harun Farocki abgemacht habe, immer in Trilogien zu denken, dass wir also immer drei Filme zu einem Thema machen, habe ich auch ein gutes Gefühl. Ein Film ist ja so allein auf der Welt. Der braucht Hilfe, wie ein Kind, das man über die Strasse bringen muss. Hat man aber drei Filme gemacht, so wie «Transit», «Phoenix» und «Barbara» – historische Filme, die mit Literatur zu tun haben, was ich früher nicht gemacht habe –, brauchen sie mich nicht mehr.
Ein wenig Narzissmus spielt bei einer Retrospektive aber durchaus mit.
Auf dem Weg nach Basel – es war wirklich sehr früh, und es fuhr wegen Streiks mal wieder kein Taxi zum Berliner Flughafen – fragte mich meine Frau, warum ich mir das antue. Ich musste an Agnès Varda denken, an ihre «Masterclass», die kürzlich auf Arte lief. Sie sagt: Film ist Inspiration, Kreativität, teilen. Letzteres ist interessant.
Warum?
Film ist Kommunikation. Wir müssen etwas herstellen, das man teilen kann. Eine Retrospektive gehört zum Teilen. Das ist mehr als Narzissmus. Im Gespräch mit Publikum merkt man manchmal, dass die Filme etwas gesehen haben, was ich nicht gesehen habe. Das ist ein sehr beglückendes Gefühl.
Schauen Sie Ihre Filme im Kino mit dem Publikum?
Niemals, das halte ich nicht aus. Meine Sensibilität bei Premieren ist brutal. Da liegen die Nerven blank. Amerikanische Produzenten zwingen Regisseure ja oft, ihre Filme mit Publikum anzusehen, damit sie noch mal umschneiden können, und dann nehmen die extra Holzstühle, damit es knarrt und knorzt … Rohschnitt-Sichtungen mache ich nur im ganz kleinen Kreis.
Wären Sie gern ein Theaterregisseur, der nachbessern kann?
Nein, ich habe einmal Theaterregie gemacht …
… am Deutschen Theater Berlin.
Ja, und da sollte ich nach der Premiere noch rumfeilen. Ich kam mir vor wie ein Bauherr, der nie mit seinem Haus fertig werden darf. Hatten wir auf der Probe einen Moment der Wahrhaftigkeit gefunden, sagte ich: Stopp, das wars, nächster Akt. Die Schauspieler widersprachen: So können wird das nie wiederholen. Eine Kamera hält solche Momente fest. Das Theater muss eine Choreografie suchen. Das machte mich so fertig, dass ich sofort zum Film zurück bin. Ich glaube ohnehin, dass das Kino dem Theater überlegen ist.
Wie kommen Sie darauf?
Film hat mehr mit unserer Welt zu tun. Wenn du im Film ein Fenster öffnest, ist da ein Fenster. Wenn du ein Glas Wasser trinkst, ist es ein Glas. Wenn man einen amerikanischen Film sieht, ist man schockiert, wie grossartig Filmschauspieler das können. Wir in Deutschland haben Theaterschauspieler, die Ausbildung ist fixiert auf die Bühne. Als Filmemacher muss ich ihnen erst ihre natürliche Bewegung wiedergeben und das Denken in Requisiten wegnehmen.
Gleichwohl wählen Sie Ihren Cast gern aus Theaterkreisen. Was bringen Stammschauspieler wie Nina Hoss zum Set mit?
So wenig wie möglich. Schauspieler sind klug. Wenn sie das Material haben, und die Zeit, und sich die Rolle in ihnen ausbreiten kann, dann haben sie auch den Spass. Und ich muss nichts psychologisieren. Tief in meinem Herzen bin ich ja Sozialdemokrat beim Arbeiten. Selbstausbeutung missfällt mir. Aber wenn etwas Leidenschaftliches entstehen kann, gefällt mir das.
Man stösst in Ihren Filmen auf Menschen, die sich im Privaten zu politischen Ausnahmezuständen verhalten müssen. Warum treibt Sie das so um?
Das hat auch biografische Gründe. Wir tun immer so, als ob es im Leben viele Konstanten gibt. Wie die Elternliebe. Bei mir war es so, dass die brutale Arbeitslosigkeit meines Vaters die Familie und ihn selbst zerlegt hat. Dieses Gespenster-Werden der Figuren in meinen Filmen hat damit zu tun, dass sie nicht geliebt, nicht respektiert oder nicht gebraucht werden.
Ihre Hauptwerke erzählen vom Verrat unter Liebenden. Neigen die Menschen also eher zu Schand- als zu Heldentaten?
Auf jeden Fall werden im Kino die interessanten Heldentaten immer von den Leuten begangen, die über ihre Schandtaten hinwegtäuschen wollen und sich so reinwaschen. Wir selbst müssen keine Schandtaten begehen. Aber diejenigen, die das im Kino tun, können ein Feuer entfachen, an dem wir partizipieren.
Sie sind seit 2018 in der Oscar-Academy. Wie ist der Job?
Ich habe angekreuzt, dass ich keine Screener sehen will, sondern DVDs. Das war ein Fehler, jetzt muss ich dauernd bei der Zollstelle in Berlin Filme auslösen und wie so ein Angeber neugierige Fragen beantworten. Ich habe auch bestimmt zwölf sehr tolle Filme gesehen. Sie tauchen nur nicht unter den Preisträgern auf …
Enttäuscht Sie das?
Das ist ärgerlich, aber man darf sich nicht ärgern. Alle Mehrheitsentscheide, die Kunst betreffen, sind schwierig. Es gibt so eine internationale Grammatik für Auszeichnungs- und Festivalfilme, die zu oft funktioniert. Dennoch zeichnet die Oscar-Academy auch sensationelle Filme aus, so wie vor zehn Jahren Kathryn Bigelow für «The Hurt Locker».
Welche Art Film überzeugt Sie?
Filme, die für sich stehen und nichts von mir wollen. Die nicht gefallsüchtig sind, dafür selbstbewusst. Das weckt meine Neugier. Sonst könnte ich auch Almbutterreklame schauen.
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