Federers Virtuosität gegen Wawrinkas Wucht
Roger Federer und Stan Wawrinka duellieren sich ab 14 Uhr um den Einzug in den Pariser Halbfinal. So unterschiedlich sie wirken und spielen, sie eint vieles.
Schon interessant: Die meisten gehen davon aus, dass Rafael Nadal und Novak Djokovic am Sonntag um die Coupe des Mousquetaires spielen werden. Doch für die Schlagzeilen sorgten bei den Männern bisher die beiden Schweizer, die sich heute um einen Platz im Halbfinal duellieren. Die Verehrung für Roger Federer bei seiner Rückkehr nach vier Jahren hat in der Stadt der Liebe beinahe religiöse Züge angenommen. Und Stan Wawrinka sorgt für Rock n Roll auf dem Court. Sein epischer Fünfsatzsieg über Stefanos Tsitsipas war der Match des Turniers. Ja des Tennisjahres.
Der Grieche war so zerstört, dass er kaum einen zusammenhängenden Satz herausbrachte. Zurück im Hotel, sortierte er seine Gedanken und twitterte erst das Beckett- Zitat auf dem Unterarm seines Bezwingers: «Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser.»
Dann schrieb er einen bemerkenswerten Aufsatz. Dessen Tenor: So intensiv wie gegen Wawrinka habe er das Gefühl des Wettkampfs noch nie erfahren. Der Schweizer reduziere den Sport auf dessen Essenz, auf den Kampf Mann gegen Mann. Und so sehr er gelitten habe, das mache den Charme des Tennis aus.
Ein langer Kampf endet mit einer Zentimeter-Entscheidung: Wawrinka schlägt Tsitsipas. Video: SRF
Wawrinka steht für Kampfgeist und Wucht, Federer für Eleganz und Virtuosität. Doch so unterschiedlich sie wirken, er sehe durchaus Parallelen zwischen den beiden, sagt der frühere Profi Yves Allegro, der als Headcoach bei Swiss Tennis wirkt. «Sie sind beide aggressive Spieler, auf ihre Weise. Und sie haben, was die grossen Champions auszeichnet: ein riesengrosses Herz fürs Tennis. Der eine ist bald 38, der andere 34, und beide wollen sich immer noch täglich verbessern.»
Federer mit dem Matchball gegen Leonardo Mayer. Jetzt wartet Wawrinka. Video: SRF
Das Klischee, dass Wawrinka der biedere Handwerker und Federer der Künstler sei, dem alles zufliegt, mag Allegro nicht bestätigen: «Mich nervt es immer, wenn jemand sagt, Stan habe kein Talent. Das ist kompletter Blödsinn. Um so eine Rückhand zu spielen wie er, musst du unglaublich begabt sein.» Über den Irrglauben, Federer arbeite nicht so hart wie andere, weil er an den Turnieren so locker sei, habe er jeweils geschmunzelt: «Ich machte viele Aufbauphasen mit Roger mit. Michael Lammer und ich teilten uns beim Tennistraining oft eine Seite, auf der anderen war Roger. Und nach vier Stunden waren wir erschöpfter als er.»
Mich nervt es immer, wenn jemand sagt, Stan habe kein Talent. Das ist kompletter Blödsinn.
Als Wawrinka Anfang 2005 in die Top 100 vorstiess, war Federer bereits vierfacher Grand-Slam-Champion. Inwiefern hat er die Karriere des Romands beeinflusst? Allegro: «Ohne Roger wäre Stan nicht da, wo er ist. Zuerst, weil Roger einwilligte, Pierre Paganini (den Fitnesstrainer) mit ihm zu teilen. Pierre ist für beide eine Schlüsselfigur. Dann half er Stan viel in dessen ersten Jahren auf der Tour. Er dachte: Cool, endlich ein guter junger Schweizer! Er sah ihn nicht als Konkurrenten.» Zudem habe Wawrinka mit Federer 2008 in Peking mit dem Doppelolympiasieg den ersten grossen Titel errungen - eine wertvolle Erfahrung.
Es ist aber wohl kein Zufall, dass Wawrinka Grand Slams zu gewinnen begann, als Federer schwächelte. In den Jahren 2014, 2015 und 2016, als Wawrinka seine drei Major-Titel errang, ging der Maestro auf höchster Bühne leer aus. Die beiden wechselten sich zuletzt schön ab. Seit 2003 durfte das Schweizer Tennis fast jedes Jahr einen Grand-Slam-Triumph feiern, mit Ausnahme von 2011 und 2013. Diese schöne Tradition möchten Federer und Wawrinka gern weiterführen. Dem Sieger ihres heutigen Duells winkt ein Halbfinal gegen Rafael Nadal, den elffachen Paris-Champion. Dieser trifft heute auf Kei Nishikori, der zwei Fünfsatzmatchs in den Beinen hat.
Apropos Müdigkeit: Für Wawrinka wird es entscheidend sein, wie er sein Marathonspiel gegen Tsitsipas wegsteckt. Es war mit fünf Stunden und neun Minuten sein längstes Einzel überhaupt – noch sieben Minuten länger als der Achtelfinal am Australian Open 2013, den er gegen Novak Djokovic verlor. Worauf er sich das Beckett-Zitat tätowieren liess. Wawrinka erschien gestern gar nicht erst zu einem Training auf der Anlage, nahm sich den Tag frei. Was auch seinem Kopf gutgetan haben dürfte.
Federer, «der grosse Bruder»
Zum achten Mal fordert Wawrinka Federer an einem Grand-Slam-Turnier, erst einmal gewann er. «Stan mag einen gewissen Rhythmus», analysiert Allegro. «Den bekommst du nicht gegen Roger. Bei ihm weisst du nie, was kommt. Kommt dazu, dass Roger für Stan wie ein grosser Bruder ist. Es ist für Stan gegen ihn schwieriger als gegen andere, die richtige Aggressivität zu finden.»
2015 fand er sie im Pariser Viertelfinal gegen Federer. Und wie damals spielen die beiden heute auf dem Court Suzanne Lenglen. Wawrinka mag die Atmosphäre in der zweitgrössten, intimeren Arena. Bühne frei für den fleissigen Künstler und den hoch begabten Handwerker!
Das letzte Duell der beiden Schweizer auf Pariser Sand im Jahr 2015
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