«Falls eine Krise oder ein Krieg ausbricht»
Schweden verteilt einen Ratgeber für militärische Konflikte, Terroranschläge und Blackouts an alle Bürger. Was steckt dahinter?

Was wäre, wenn den Läden die Lebensmittel ausgehen? Kein Wasser mehr aus dem Wasserhahn kommt? Kreditkartenterminals, Handys und das Internet nicht mehr funktionieren? Solche Szenarien thematisiert die schwedische Regierung in einer Broschüre, die diese Woche an alle 4,8 Millionen Haushalte verteilt wird. Unter dem Titel «Falls eine Krise oder ein Krieg ausbricht» skizzieren die Autoren das richtige Verhalten der Zivilbevölkerung – inklusive Checkliste für den Notvorrat. Letztmals erhielten die Schweden eine solche Broschüre vor über 50 Jahren, mitten im Kalten Krieg.
«Obwohl Schweden sicherer ist als andere Länder, sind die Sicherheit und die Unabhängigkeit dennoch bedroht», heisst es im Vorwort. Ziel der Broschüre ist, sich auf ernste Störfälle, extreme Wetterbedingungen, Cyberangriffe und militärische Konflikte vorzubereiten. Unter anderem warnt sie vor Fehlinformationen und zeigt auf wie man diesen auf die Schliche kommt, erklärt das Verhalten bei einem Terroranschlag und liefert Informationen über Schwedens militärische und zivile Abwehr, Sirenenwarnungen und Zivilschutzbunker.
Zugang zu Wasser, Nahrungsmitteln und Wärme sowie die Möglichkeit, Informationen von Behörden und Medien zu empfangen, seien die wichtigsten Grundbedürfnisse. Auf zwei Seiten ist aufgelistet, welche Notvorräte man zu Hause anlegen sollte: Kartoffeln, Eier, haltbares Brot, Milchpulver, Pasta, Reis, gekochte Hülsenfrüchte in Konserven, Sardinen, Konfitüre, Kaffee, Schokolade, Nüsse und Wasser in Flaschen.

Geeignet seien «nicht verderbliche Lebensmittel, die schnell zubereitet werden können, wenig Wasser benötigen oder ohne Zubereitung verzehrt werden können». Nützlich seien ausserdem Wollkleider, Schlafsäcke und Camping-Matten, ein batteriebetriebenes Radio, ein Handyladegerät fürs Auto, Bargeld in kleinen Scheinen und Treibstoff im Fahrzeugtank. Die Tipps erinnern an das Vorgehen von «Preppern» – Menschen, die sich auf Krisenzeiten vorbereiten.
Reaktion auf Krim-Annexion durch Russland
«Die Gesellschaft ist verwundbar, deshalb müssen wir uns als Individuen vorbereiten», sagt Dan Eliasson von der schwedischen Zivilschutzbehörde, die für das Projekt zuständig ist, zum «Guardian». «Es gibt auch ein Informationsdefizit in Bezug auf konkrete Ratschläge, die wir nun anbieten wollen.» Schweden hatte erstmals während des Zweiten Weltkriegs 1943 eine ähnliche Broschüre verteilt, die bis 1961 regelmässig aktualisiert wurde.
Das 20 Seiten lange, mit Bildern von Sirenen, Kampfjets und flüchtenden Menschen illustrierte Heft wurde im Auftrag der Regierung von der Swedish Civil Contingencies Agency erstellt. Grund ist die Diskussion über Sicherheit, die in Schweden von der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und der Verletzung des schwedischen Hoheitsgebietes durch russische Flugzeuge und U-Boote angeheizt wurde.
Schweden hat seither für die Wiedereinführung der Wehrpflicht gestimmt, 2016 beschlossen, die Militärausgaben wieder zu erhöhen und gemeinsame Pläne mit Dänemark zur Bekämpfung russischer Cyberangriffe und Desinformation enthüllt. 2017 fand zudem eine gross angelegte Militärübung statt.
Wasser im Notfall das Wichtigste
Auch in der Schweiz sorgte die russische Invasion auf der Krim für eine Notvorrats-Diskussion. Der damalige Schweizer Armeechef André Blattmann empfahl im April 2014, man solle Vorräte anlegen, um für Risiken wie Cyberattacken oder Stromausfälle vorzusorgen. «Was auf der Krim geschah, zeigt: Wir müssen den Nachrichtendienst und die Mobilmachung verbessern», sagt er in einem Interview mit der Schweiz am Sonntag (Schweiz am Wochenende). Die Schweizer seien zu wenig auf den Ernstfall vorbereitet.
Er selber habe als Notvorrat 30 bis 40 Sechserpackungen Mineralwasser im Keller (rund 300 Liter) sowie Holz fürs Cheminée, weil bei einem Stromausfall auch die Heizung nicht mehr funktioniere. Wasser sei im Notfall das Wichtigste, sagt er: «Für den täglichen Bedarf braucht jeder mindestens acht Liter. Zum Trinken, Kochen, sich waschen.»
Das rote Büchlein der Schweiz
Die Schweiz verteilte letztmals 1969 ein ähnliches Informationsbüchlein. Das rote Büchlein mit dem Titel «Zivilverteidigung» und einem Vorwort des Bundesrats wurde im Herbst an alle Haushalte verteilt. Neben Tipps zum Anlegen eines Notvorrats – pro Person zwei Kilo Reis und Zucker sowie ein Liter Speiseöl – zur Ersten Hilfe oder zur Brandbekämpfung enthielt es auf 320 Seiten auch Passagen über die Geistige Landesverteidigung, irreführende Meldungen, den revolutionären Kampfapparat und ein fiktives Beispiel für eine subversive Zelle – und stiess damit auf heftige Kritik.
Es habe einen Affront für die pluralistisch gewordene Schweiz dargestellt, schreibt der Basler Geschichtsprofessor Georg Kreis im Oktober 2009 in der Basler Zeitung. «Das Zivilverteidigungsbüchlein war ein typisches Produkt des Kalten Krieges. Es pflegte gegen aussen wie gegen innen ein doppeltes Feindbild.» Im Verdacht: Intellektuelle, Künstler, Pazifisten, Linksparteien, Atomgegner, Gewerkschaften.

Herausgegeben wurde es vom EJPD und verfasst von Albert Bachmann, einem Oberst, der im Auftrag des Militärdepartementes in den 70er-Jahren den ausserordentlichen Nachrichtendienst aufbaute, sowie dem Geografen und Historiker Georges Grosjean.
Der definitive Text war das Ergebnis mehrerer Überarbeitungen, an denen zwei Kommissionen und verschiedene freie Mitarbeiter und Vertreter der Bundesverwaltung beteiligt waren. Die Gesamtkosten betrugen schliesslich über vier Millionen Franken. Das Bundesarchiv hat mehrere Dokumente veröffentlicht, die zeigen, wie das rote Büchlein entstand.
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