«Europas Museen sollen in Afrika Ausstellungshäuser mitfinanzieren»
Ethnologe Till Förster erklärt, warum Justizreformen nötig sind, wenn Frankreich afrikanische Kunst zurückgeben will.

Till Förster, der französische Präsident Emmanuel Macron und viele deutsche Historiker fordern eine weitgehende Restitution von Kulturgütern aus Afrika. Was halten Sie davon?
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nur tun sich auf dem Weg zum Ziel sehr viele Probleme auf. Macrons Initiative bringt dennoch eine wichtige Neuerung, nämlich die Umkehr der Beweislast. Mussten bislang die Besitzer aus Afrika beweisen, dass ein Objekt ihnen gehört, liegt die Beweislast jetzt bei den europäischen Museen.
Das ist noch nicht geltendes Recht. Aber angenommen, die Verschiebung der Beweislast zu den Museen findet in den europäischen Ländern wirklich so statt – was dann?
Es gibt dann noch eine ganze Reihe weiterer rechtlicher Probleme: Wer ist denn der Claimant, also der Antragsteller, der die Objekte zurückverlangt? Viele dieser Objekte, die einst Afrika auf moralisch zweifelhafte Weise verlassen haben, werden ja nicht von den ursprünglichen Eigentümern oder deren Rechtsnachfolgern zurückverlangt, sondern von Staaten oder Unterorganisationen dieser Staaten. Deren Vorgänger waren aber nicht Eigentümer dieser Sachen. Eigentlich müssten es die Rechtsnachfolger der damaligen Eigentümer sein, die diesen Rückerstattungsanspruch stellen. Genauso wie das bei der unrechtmässig veräusserten Kunst aus Nazideutschland der Fall ist, wo zum Beispiel die Rechtsnachfolger der jüdischen Familien die Rückgabe von Raubkunst verlangen können.
Und wer sind denn dieursprünglichen Eigentümer?
Viele der Objekte aus Afrika waren ursprünglich nicht in individuellem Besitz, sondern gehörten einem Kollektiv. Diese Gemeinschaften sind aber nach heutigem Recht in den meisten Ländern keine Rechtspersonen. Sie oder deren Nachfolger können also keine Klage auf Herausgabe stellen – es sei denn, alle Mitglieder einer solchen Gemeinschaft würden je einzeln Klage führen. Das ist aber kein realistisches Prozedere.
Sehen Sie einen Ausweg?
Es gibt in vielen afrikanischen Ländern einen sogenannten Legal Pluralism, das heisst, neben dem internationalen Recht, das sie oft von England übernommen haben, gibt es noch ein Customary Law, ein Gewohnheitsrecht, das afrikanische Gemeinschaften und Institutionen als Rechtspersonen anerkennt. Nach französischem Recht gibt es das nicht: La république unie et indivisible erlaubt das nicht. Auch in den ehemals deutschen Kolonien gibt es das nicht. In den ehemals englischen Kolonien kann man aber bei Restitutionsforderungen unterscheiden, ob etwas nach dem Common Law, dem britischen Privatrecht, erworben wurde, oder nach dem Customary Law, also dem lokalen Gewohnheitsrecht. Wenn Letzteres der Fall war, werden diese Institutionen, die sonst nicht anerkannt sind, auch zu Rechtspersonen.
«Macrons Initiative bringt eine wichtige Neuerung: Die Beweislast liegt jetzt bei Europas Museen.»
Was geschieht nun, wenn Deutschland Benin-Bronzen an das ehemals englische Nigeria zurückgeben soll, wo es ein Customary Law gab?
Man müsste prüfen, wer der Erwerber und wer der Verkäufer war. Zudem müsste man klären, nach welchem Recht die Objekte damals veräussert worden sind. Wenn sie nach Customary Law erworben worden sind, dann gäbe es wahrscheinlich Rückerstattungsansprüche. Aber keines der Museen hat ausschliesslich Stücke aus einem Rechtsgebiet. Da gibt es Sachen, die rückerstattungsfähig sind, und solche, die nicht rückerstattungsfähig sind. Das führt letztlich zu einer Reproduktion der kolonialen Grenzen. Es ist paradox: Man tut rechtlich das, was man eigentlich vermeiden will.
Plädieren Sie also für eine Ausweitung dieser doppelten Rechtsstrukturen?
Wenn wir im Bereich der Restitution afrikanischer Kulturgüter vorwärtsmachen wollen, dann müssen die ehemaligen französischen Kolonien, die sich im Grunde noch immer auf den Code Napoléon berufen, auch ein Customary Law nach englischem Vorbild einführen. Man müsste also im Rechtssystem sowohl der ehemaligen Kolonialmächte – Stichwort Umkehr der Beweislast – als auch in demjenigen der Nachfolgestaaten der europäischen Kolonien weitgehende Rechtsreformen vornehmen. Das wäre ein gemeinsames Projekt für Europa und Afrika, eine umfassende Rechtsreform, die eine Grundlage schafft, damit man mit den Restitutionswünschen an solche Sammlungen umgehen kann.
Damit hat Afrika aber noch keine Museen, um die Objekte auszustellen.
Ich schlage vor, dass die Museen, welche Sammlungen mit afrikanischen Kulturgütern in ihrem Besitz haben, mit Partnern in Afrika zusammen Ausstellungshäuser finanzieren. Dort können dann die Objekte aus der Kolonialzeit, die im Besitz der europäischen Museen sind, ausgestellt werden.
Sollen die Länder Europas inklusive Schweiz in Afrika beginnen, Museen zu bauen?
Praktisch kein afrikanisches Museum, von wenigen Ausnahmen abgesehen, verfügt heute über die Infrastruktur, die Objekte so auszustellen, wie wir das von einem zeitgenössischen Museum erwarten. Wenn wir nun zum Beispiel sagen, wir haben Objekte, die aus der Region stammen, die später einmal Mali wurde oder Kamerun, können wir gemeinsam mit den dortigen Staaten Ausstellungshäuser entwickeln, um diese Objekte zu zeigen.
Welchen Vorteil hätte ein solches Vorgehen?
Auf diese Weise können wir auch Objekte nach Afrika ausleihen, deren Provenienzen ungeklärt sind. Die europäischen Museen müssten nicht das Eigentumsrecht abtreten, was in vielen Fällen mangels Informationen einfach nicht möglich ist. Und sie könnten erst noch die Bedingungen aushandeln, unter welchen die Objekte gezeigt werden. Schliesslich wäre so auch gewährleistet, dass die Bevölkerung in diesen Ländern die Kunstwerke aus der Zeit ihrer Vorfahren geniessen könnte und die Werke nicht irgendwo auf der Welt in einer privaten Sammlung verschwinden.
Hat der Bau von Museen in Afrika mit europäischer Hilfe nicht den Beigeschmack von Bevormundung und Kolonialismus?
Da kommt es darauf an, wie man das aufzieht. Es braucht Komitees, in denen Vertreter von hier und dort gleiches Stimmrecht haben. Das könnte ein sehr kreativer Prozess sein. Es braucht auch eine Co-Finanzierung, die sich nach den Möglichkeiten des betreffenden Staates ausrichtet. Auf jeden Fall können die wenigsten afrikanischen Länder heute aus eigener Kraft Museen aufbauen. Die internationale Zusammenarbeit und die Finanzkraft der Europäer würden da mittelfristig zu brauchbaren Lösungen führen.
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