Euro-Staaten würden griechischen Zahlungsausfall hinnehmen
Angesichts der dramatisch zugespitzten Schuldenkrise hat die Eurogruppe die Tür zu weit umfangreicheren Rettungsmassnahmen aufgestossen. Ein Schuldenschnitt für Griechenland ist offenbar kein Tabu mehr.

Das geplante zweite Griechenland-Paket soll Presseangaben zufolge womöglich grösser ausfallen als die bisher geplanten bis zu 115 Milliarden Euro. Nach Angaben aus Kreisen der EU-Kommission und der Regierungen konzentrierten sich die Überlegungen der Minister derzeit auf den Aufkauf von Anleihen durch die griechische Regierung, berichtet die «Financial Times Deutschland». Danach soll Griechenland mithilfe des Rettungsfonds EFSF privaten Gläubigern anbieten, seine Anleihen mit einem Abschlag von durchschnittlich 50 Prozent zurückzukaufen. Athen würde dafür das Geld von der EFSF bekommen.
Eine Mehrheit der Euro-Staaten sei bereit, dafür eine zumindest zeitweise Einstufung der Anleihen als «teilweiser Zahlungsausfall» hinzunehmen, schreibt das Blatt. Die Minister kalkulierten bereits ein, dass wegen dieses Zahlungsausfalls eine zusätzliche Stützung der griechischen Banken nötig sei. Dies könne im Hilfspaket ebenfalls berücksichtigt werden, hiess es. Damit könnte das Defizit Griechenlands von derzeit über 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf etwa 120 Prozent gedrückt werden. Dies entspräche einer Verringerung um rund 70 Milliarden Euro.
«Alles wird in den Instrumentenkasten genommen»
Angesichts der dramatisch zugespitzten Schuldenkrise hat die Eurogruppe damit die Tür zu weit umfangreicheren Rettungsmassnahmen aufgestossen. Die Laufzeiten für Notkredite könnten verlängert und die Zinsen gesenkt werden. Darüber hinaus wird in Betracht gezogen, dass der befristete Rettungsfonds EFSF Altschulden von Pleitestaaten aufkaufen soll und dafür abermals aufgestockt wird. «Es wird jetzt wirklich alles in den Instrumentenkasten genommen», sagte der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
Selbst Eurobonds, also gemeinsame Anleihen der Währungsunion, schloss Schäuble nicht mehr kategorisch aus. Dies sei zwar derzeit nicht möglich, weil durch eine Schuldenaufteilung die Sparanreize für die Euro-Sorgenkinder wegfallen würden. «Aber vielleicht muss man darüber nachdenken, ob es bessere Lösungen gibt, wie in einer gemeinsamen Währung die Schuldentragfähigkeit eines Mitgliedsstaates sichergestellt werden kann. Das sind die Punkte, an denen wir arbeiten.»
Nach ihrer Marathonsitzung am Montagabend hatten sich die Euro-Finanzminister zwar mit «absoluter Entschlossenheit» dazu bekannt, alles zur Eindämmung der Schuldenkrise zu tun. Doch weil konkrete Beschlüsse ausblieben, reagierten die Märkte am Dienstag fast panisch. Nach Börsenöffnung schossen die Zinsen auf italienische Staatsanleihen auf über sechs Prozent, die Mailänder Börse verlor fast vier Prozent, und der Euro gab gegenüber dem Dollar um einen Prozent nach.
Dringlichkeitsgipfel am Freitag?
Alarmiert durch die Zuspitzung wurde am Dienstag erwogen, für Freitag einen Dringlichkeitsgipfel der Euro-Staats- und Regierungschefs einzuberufen. Das sei noch nicht endgültig entschieden, aber auch nicht ausgeschlossen, sagte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy.
In der Nacht zum Dienstag hatte die Eurogruppe erklärt: «Die Minister erkennen den Bedarf einer breiteren und weiter vorausschauenden politischen Antwort an, um der griechischen Regierung im Bemühen um eine stärkere Schuldentragfähigkeit zu helfen und damit die Finanzstabilität in der Eurozone zu bewahren.» Es werde geprüft, ob die Flexibilität und die Reichweite des Rettungsfonds EFSF erhöht werden müssten, hiess es. Dies könnte vor allem darauf hinauslaufen, den Fonds zu ermächtigen, am Sekundärmarkt Staatsanleihen von Pleitestaaten aufzukaufen. Das werde nicht mehr ausgeschlossen, erklärte EU-Währungskommissar Olli Rehn.
Deutschland hatte sich lange strikt dagegen gewehrt. In der Regierungskoalition galt der Aufkauf von Altschulden durch den Eurofonds als rote Linie, die nicht überschritten werden könne. Vor allem bei Finanzpolitikern der FDP wird dies als weiterer Schritt zu einer Transferunion gesehen.
Noch nichts entschieden
Ein Schuldenaufkauf durch den EFSF würde bedeuten, dass der Fonds dem Privatsektor griechische Staatsanleihen zu Marktpreisen abnimmt, also mit einem deutlichen Verlust, aber ohne Totalausfall. Sollten sich Banken und Fonds in grossem Stil darauf einlassen, könnte die Schuldenlast der Euro-Sorgenkinder erheblich reduziert werden.
Doch das würde auch bedeuten, dass der EFSF ein zweites Mal aufgestockt werden müsste. «Über die finanzielle Ausstattung werden wir reden müssen, je nach dem, wie ehrgeizig die neuen Aufgaben für den EFSF definiert werden», hiess es aus Diplomatenkreisen eines grossen Euro-Landes. Schäuble selbst lehnte es ab, auf die konkreten Werkzeuge im «Instrumentenkasten» einzugehen. Denn das führe nur dazu, «dass wir die Zeit für vernünftige Beratungen und Entscheidungen nicht finden, weil die Unruhe sonst so gross ist, dass wir von den Märkten überrollt werden.»
Verhandlungen über Privatsektorbeteiligung in der Sackgasse
Eine rote Linie will der deutsche Finanzminister aber nicht überschreiten: Ein neues Rettungspaket für Griechenland werde es ohne «hinreichende» Beteiligung des Privatsektors nicht geben, machte er klar. Die Verhandlungen darüber blieben indes auch am Dienstag in der Sackgasse stecken. Zwar sagte der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager, in der Eurogruppe werde nicht länger ausgeschlossen, dass für die Bankenmithaftung auch ein befristeter selektiver Zahlungsausfall in Kauf genommen werde. Doch die EZB stemmt sich weiter heftig gegen den Schritt.
Schäuble zeigte sich aber zuversichtlich, dass der Streit bis zur zweiten Augusthälfte gelöst werden könne. Spätestens bis dahin müsse ein neues Griechenland-Paket beschlossen werden, sagte er. Mit der Lösung der zahlreichen offenen Fragen wurde eine Arbeitsgruppe der Euro-Staaten auf Staatssekretärsebene beauftragt.
Obwohl die politische Krise in Italien ein Hauptgrund für die jüngste Zuspitzung der Schuldenkrise ist, wendeten sich die Euro-Finanzminister nicht ausdrücklich an Rom. «Wir sind uns gewahr, dass das Land im Visier der Märkte ist», sagte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker. Schäuble betonte aber, Griechenland sei der Kern des Problems, und es gehe nun darum, alles zu tun, um die Schuldentragfähigkeit Athens sicherzustellen.
dapd/jak
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