Euch werden wir es zeigen!
Die Vegas Golden Knights spielen ab Montagnacht bereits in ihrem ersten NHL-Jahr um den Stanley-Cup.

Sie machen sich ihre Welt, wie sie ihnen gefällt, diese Vegas Golden Knights. Traditionen? I wo! Wieso auch? Diesen Club gab es vor einem Jahr schliesslich noch gar nicht. Und so taten seine Spieler letzten Sonntag etwas, das man in der NHL eigentlich nicht macht.
Deryk Engelland nimmt die «Clarence Campbell Bowl», die Trophäe für den Champion der Western Conference, entgegen.
Nachdem die goldenen Ritter ihren Playoff-Halbfinal in Winnipeg siegreich beendet und sich für die finale Serie um den Stanley-Cup qualifiziert hatten, packte Verteidiger Deryk Engelland den Pokal für den Gewinner der Western Conference und nahm ihn mit in die Garderobe, wo ein Gruppenfoto mit dem silbernen Ding sofort via Twitter-Kanal des Clubs ins weltweite Netz verbreitet wurde.
Der in der NHL weit verbreitete Aberglaube besagt, dass die Trophäen für die beiden Conference-Champions vom Captain am besten gar nicht erst angefasst werden sollten, schon nur das kurze Berühren bringe im Final danach Unglück – auch wenn die «Berührt/Nicht-berührt»-Statistik (ja, diese wird geführt!) eigentlich beweist, dass das gar nicht wahr ist. Dennoch hatte seit 2004 kein einziger Western-Conference-Champion diesen Pokal mehr berührt.
«Wir haben noch mehr Spiele zu gewinnen. Viele von uns, wie ich, warten seit 20 Jahren auf diesen Moment.»
Engelland kümmerte das nicht. Er ist ja nicht einmal Captain. Denn auch das ist besonders bei den Golden Knights: Sie haben gar keinen, dafür tragen gleich sechs Spieler das «A» des Assistenz-Captains auf der Brust, je drei bei Heim- und Auswärtsspielen – wie Engelland ist auch der Schweizer Verteidiger Luca Sbisa Teil dieses Sextetts.
Engelland wurde vom Team für die Entgegennahme des Pokals bestimmt, weil er mit 36 der mit Abstand Routinierteste im Team ist – und weil er seit 15 Jahren in Vegas wohnt und hier 2003 bereits für ein drittklassiges lokales Eishockeyteam spielte. Den Entscheid, die Tradition des «Nicht-Berührens» zu brechen, traf aber nicht Engelland selber, wie er betonte: «Sondern wir als Gruppe.»
Es zählt nur das Team
Der Entscheid in der Gruppe, der Verzicht auf den Captain. Das sind nur zwei von vielen Belegen, wie sehr bei den Golden Knights Wert auf das Team gelegt wird. Man könnte nun einwenden, dass es gar nicht anders gehe in dieser Mannschaft.
Denn in kaum einem anderen NHL-Team dürfte eine derart flache Hierarchie herrschen wie bei den Golden Knights. Die Mannschaft wurde letzten Sommer zu einem guten Teil aus Spielern zusammengestellt, für die die anderen Teams keine Verwendung mehr hatten.
«All die bisherige Arbeit, all die Rekorde, sie würden nichts bedeuten, wenn wir nicht das 'Last Team Standing' werden. Und wir haben noch viel Benzin im Tank.»
Vegas durfte von jedem der 30 anderen Teams einen Spieler ohne Kompensation verpflichten, jede Mannschaft durfte bloss einen Goalie, drei Verteidiger und sieben Stürmer (oder acht beliebige Feldspieler) schützen, zudem waren alle jungen Spieler mit NHL-Erstvertrag Tabu.
So konnte sich Vegas mehr oder weniger ein Team voller Zweit- und vor allem Drittlinienspieler zusammenstellen, mit Goalie Marc-André Fleury und Stürmer James Neal waren sogar zwei potenzielle Stars dabei.
Fans der letzten neuen NHL-Teams in Nashville sowie Columbus und Minnesota fühlen sich heute darum ein wenig verschaukelt, denn als ihre Mannschaften zwischen 1998 und 2000 in die Liga kamen, waren die Regeln für sie strenger gewesen – entsprechend harzig verliefen die ersten Jahre für alle drei Neulinge.
Kritik, Geschwätz – und Neid
Die nun immer häufiger gehörten Vorwürfe, Vegas sei zu sehr bevorteilt worden und der Vorstoss in den Final darum nichts wirklich Besonderes, kommen allerdings aus der Ecke der Schwätzer. Niemand erwartete vor der Saison ernsthaft, dass so vielen Vegas-Spielern (fast allen!) nichts weniger als das beste Jahr der Karriere gelingen würde.
Justin Bourne, ein Journalist des nordamerikanischen Online-Magazins «The Athletic», brachte es in einer ansonsten als Lobeshymne auf Vegas formulierten Kolumne kürzlich auf den Punkt: «Es gibt nur einen Grund, warum auch mein Herz noch nicht bereit ist für Vegas als Stanley-Cup-Sieger: Neid.»
Mindestens vier Faktoren
Die Suche nach dem Erfolgsrezept der Golden Knights ist ligaweit bei Verantwortlichen und Fans fieberhaft im Gang. Es gibt mindestens vier Faktoren, die eine grosse Rolle spielten:
1. Der Amoklauf in Vegas fünf Tage vor Saisonstart: Die Spieler, die viele der über 500 verletzten Überlebenden sowie Angehörige der 58 Todesopfer besuchten, wurden schnell zum Symbol der Heilung einer traumatisierten Stadt, Eishockey zur willkommenen Ablenkung. Die Mannschaft, die sich als eine Ansammlung verstossener Desperados versteht, wurde in dieser Rolle noch mehr zusammengeschweisst.
2. Die Attitüde: «Euch werden wir es zeigen!» Unter diesem Motto spielte Vegas die ganze Saison bis und mit Playoff. In keiner Prognose erhielten die Golden Knights Kredit, selbst als sie in der Qualifikation Sieg an Sieg reihten, warteten alle auf den Einbruch. Dieser erfolgte nie, auch im Playoff nicht: In den drei Best-of-7-Serien auf dem Weg in den Final verlor Vegas nur drei Spiele. Zurecht reden nun alle vom unglaublichen Spiel von Goalie Fleury, doch auch die Arbeitsethik der Feldspieler auf dem Eis ist einmalig. Beobachter stellten schon während der Regular Season erstaunt fest, wie die Mannschaft bereits damals ununterbrochen Playoff-Hockey spielte, was Backchecking und Opferbereitschaft beim Blocken der Schüsse angeht.
«Vor der Saison sagte mir Teambesitzer Bill Foley, dass er in drei Jahren ins Playoff und in sechs Jahren den Titel will. Aber ich als alter Spieler, der gerade mit Nashville einen Final verloren hatte, sagte ihm, dass ich nicht bloss fürs Playoff hierhergekommen sei.»
3. Der Headcoach: Auch Gerard Gallant ist auf seine Weise ein Desperado. Vor eineinhalb Jahren wurde er von den Florida Panthers unmittelbar nach einer Auswärtsniederlage in Carolina nicht nur entlassen, sondern gedemütigt: Er musste seine Rückreise selber organisieren. Die Bilder, wie er mit seinem Gepäck vor dem Hotel auf sein selbst bestelltes Taxi wartet, sind ein Internet-Hit:
Wichtiger für Vegas ist aber, wie Gallant sein Team coacht. Kritiker mokieren sich zwar über sein simples, auf Abwarten und extrem schnelle Konterangriffe spekulierendes Spiel. Die meisten aber sind fasziniert vom Tempo, mit dem die Knights den Gegnern immer wieder davonlaufen.
Ein typisches Vegas-Tor: Jonathan Marchessault ist schneller als der Gegner.
4. Der General Manager: George McPhee, den GM der Golden Knights, bezeichnen viele mittlerweile als Bankräuber. Nicht nur wählte er zu Saisonbeginn offenbar die richtigen Spieler aus den anderen Mannschaften aus. Er fädelte zudem diverse Neben-Deals ein, damit er bestimmte ungeschützte Spieler eben nicht nimmt. Das im Nachhinein betrachtet verrückteste Beispiel: William Karlsson, zuvor ein Mitläufer, wurde Vegas von Columbus zusammen mit je einem Erst- und Zweitrunden-Draft-Recht angeboten, damit McPhee die Hände von zwei anderen, ungeschützten Spieler lässt. McPhee griff zu – und nun hat Karlsson für Vegas bereits 49 Tore erzielt …
William Karlsson schiesst nicht nur viele Tore, er hat auch Sinn für Humor. Hier erzählt er im Interview, dass er schon als kleines Kind ein Fan der Golden Knights war …
Eine grosse Frage bleibt nun
Ob die Vegas Golden Knight sich nun bereits in ihrer ersten NHL-Saison zum Champion krönen oder im Final von Washington gestoppt werden – eine grosse Frage bleibt. Wie sehr wird Vegas andere Teams inspirieren? Da gibt es der Möglichkeiten viele:
- Sind die teuer bezahlten Top-Stars der Liga überbewertet in ihrem Einfluss auf den Erfolg? Bei Vegas verdienen nur zwei Spieler mehr als 5 Millionen Dollar im Jahr, Sbisa ist mit seinen 4 Millionen gar der bestbezahlte Verteidiger.
- Werden in Zukunft auch andere Teams ihren vermeintlichen Mitläufern mehr Chancen auf bessere Rollen offerieren? Denn einige Vegas-Spieler (wie eben Karlsson) glänzen im goldenen Jersey auch darum besonders, weil ihnen im alten Club auch wegen den Lohn-Hierarchien viel weniger zugetraut worden war.
- Macht das ausgeglichene Coaching Schule? Gallant verteilt die Eiszeit so gleichmässig, wie es nur geht, «zerstört» keinen Spieler wegen Überforcierens.
«Ich glaube, keiner von uns hat wirklich realisiert, was wir erreicht haben. Aber das ist gut, denn dann sind wir immer noch hungrig. Keiner ist wirklich zufrieden, genau dieses Gefühl willst du in einem Team spüren.»
- Ist es eben doch die Mischung, die es ausmacht? Die Golden Knights sind alles andere als alt, nebst Engelland sind bloss Ryan Reaves und der Franzose Pierre-Édouard Bellemare über 30 – beide sind defensive Rollenspieler in der vierten Sturmlinie. Aber Vegas ist eben auch nicht wirklich jung, die meisten Spieler sind im besten Hockeyalter, also rund 27 Jahre alt. Die Mannschaft gehört zwar zu den läuferisch schnellsten Teams der Liga, folgt also einerseits dem Trend. Andererseits aber auch nicht: Im Gegensatz zum im Halbfinal der Eastern Conference gescheiterten Tampa, dem Vorzeige-Team der Zukunft, verlassen sich die Golden Knights nicht fast ausschliesslich auf spielerische Mittel, sondern können auch besonders physisch starken Widersachern Paroli bieten – wie in Runde 1 Los Angeles und vor allem im Halbfinal Winnipeg.
Was Vegas kann, kann Owetschkin schon lange …
Übrigens: Zumindest, was das Brechen von Traditionen angeht, lernt die Konkurrenz schnell. Als drei Tage später die Washington Capitals sich zum Champion der Eastern Conference und damit zum Final-Gegner von Vegas machten, schnappte sich deren Captain Alex Owetschkin nicht nur die Trophäe, sondern nahm sie mit zum TV-Mann fürs Siegerinterview und hielt sie demonstrativ in die Kamera. Zumindest neben dem Eis ist das finale Duell also bereits lanciert, auf dem Eis geht es Montagnacht, 2 Uhr Schweizer Zeit, los.
Alex Owetschkin zeigt beim Interview mit CBC die «Prince of Wales Trophy», die Auszeichnung für den Champion der Eastern Conference
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