EU will neue Regeln für Grenzgänger
Arbeitslose aus den Nachbarländern könnten die Schweiz teuer zu stehen kommen.

Die Personenfreizügigkeit bringt der Schweiz möglicherweise Mehrkosten von mehreren Hundert Millionen Franken. Wie einer dieser Tage eingereichten Interpellation des St. Galler CVP-Nationalrats Nicolo Paganini zu entnehmen ist, plant die EU bei der Unterstützung von arbeitslosen Grenzgängern einen Paradigmenwechsel. Neu sollen diese nicht mehr von dem Staat unterstützt werden, in dem sie leben, sondern von jenem, in dem sie zuletzt Beiträge ins Sozialversicherungssystem einbezahlt haben.
Offenbar sind die Verhandlungen zu diesem Kurswechsel in der EU bereits weit fortgeschritten. Wie das St. Galler Tagblatt kürzlich berichtete, haben sich die EU-Staaten auf Botschafterebene darüber verständigt. Das Dossier soll den zuständigen EU-Ministern an deren Treffen vom 21. Juni in Luxemburg vorgelegt werden. Voraussichtlich im Herbst soll das EU-Parlament über diese Änderung befinden. Allerdings sind noch Detailfragen offen – die eine Menge Zündstoff bergen. Zum Beispiel jene, wie lange ein Grenzgänger im Gastland gearbeitet haben muss, um einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung zu haben. Die EU-Kommission soll zwölf, Frankreich neun oder sechs und Bulgarien sogar nur drei Monate vorgeschlagen haben. Unklar ist auch, wie die mit der Unterstützung einhergehenden Verpflichtungen der Arbeitslosen, etwa sich um einen neue Arbeit zu bemühen, grenzüberschreitend kontrolliert werden können.
Grosses Missbrauchspotenzial
Heute ist die Schweiz nicht verpflichtet, eine solche Neuregelung zu übernehmen. Wenn hingegen ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU bestehen würde, dann würden die neuen Bestimmungen automatisch auch für die Schweiz gelten. Weil die Verhandlungen zum Abkommen derzeit noch laufen, fragt Nicolo Paganini in der Interpellation, inwiefern der Paradigmenwechsel Auswirkungen auf die laufenden Verhandlungen über ein Rahmenabkommen habe. Auch will der CVP-Nationalrat wissen, ob der Bundesrat die Übernahme der neuen Regelung anstrebe, falls diese für die EU-Staaten in Kraft trete, und welche Kostenfolge dies für die Schweiz hätte.
Wie teuer der Kurswechsel der EU die Schweiz zu stehen kommt, hängt auch davon ab, wie hoch die Unterstützungsgelder ausfallen sollen. Paganini will deshalb vom Bundesrat wissen, ob er sich für eine Regelung einsetzen würde, bei der sich die Höhe der auszurichtenden Arbeitslosengelder an der Kaufkraft der Staaten orientiert, in denen die arbeitslosen Grenzgänger leben.
Dabei denkt der Nationalrat allerdings nicht nur daran, für die Schweiz eine möglichst kostengünstige Lösung zu finden. «Das grosse Gefälle bei der Kaufkraft und den Sozialversicherungsleistungen zwischen den Staaten ist ein Problem», sagt Paganini. «Wenn die Betroffenen Arbeitslosenunterstützung nach Schweizer Ansätzen erhalten würden, dann wären sie wohl in den meisten Ländern besser gestellt als die dortigen Arbeitslosen.» Er befürchtet, dass damit der Anreiz gross wäre, das System zu missbrauchen. «Etwa indem sich jemand nur kurz in der Schweiz anstellen lässt, um dann von unseren grosszügigeren Sozialleistungen zu profitieren.»
Widerstand aus Luxemburg
Bereits heute fliessen Arbeitslosengelder von der Schweiz in die Nachbarländer. Allerdings nicht direkt zu den Betroffenen. So erhält beispielsweise ein arbeitsloser französischer Grenzgänger die Arbeitslosenleistungen von seinem Staat nach den dort geltenden Standards ausbezahlt. Die Schweiz erstattet dann Frankreich die effektiv geleisteten Beiträge. Dies während drei oder fünf Monaten – letztere Frist gilt, wenn der Grenzgänger mehr als ein Jahr in der Schweiz gearbeitet hat.
Allein letztes Jahr bezahlte die Schweiz insgesamt rund 242 Millionen Franken an die EU-Nachbarländer. Laut St. Galler Tagblatt scheint dies allerdings nicht allen zu genügen: Die französische Arbeitslosenkasse kritisiere schon länger, sie müsse für arbeitslose Grenzgänger mehrere Hundert Millionen Euro mehr ausgeben, als sie von der Schweiz erhalte.
Zwar wird erwartet, dass die zuständigen EU-Minister an ihrem Treffen in Luxemburg am geplanten Systemwechsel festhalten. Allerdings gibt es bezüglich der noch offenen Detailfragen durchaus kritische Stimmen. Dazu gehört offenbar Luxemburg. Dort kommen rund 40 Prozent der Arbeitnehmer aus dem Ausland – viele von ihnen sind Grenzgänger. Daher überrascht es nicht sehr, dass sich Arbeitsminister Nicolas Schmit verschiedentlich gegen die Neuregelung ausgesprochen hat. Laut St. Galler Tagblatt soll sich das Grossherzogtum nun für eine Übergangsfrist von sieben Jahren einsetzen.
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