Gipfel in BrüsselEU präsentiert Putin die Drohkulisse
Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union drohen Sanktionen an für den Fall einer Invasion in die Ukraine. Zugleich wollen sie aber mit dem russischen Präsidenten im Gespräch bleiben.

Die Drohkulisse steht: Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union warnen Russland vor «massiven Konsequenzen und hohen Kosten» einer weiteren militärischen Aggression gegen die Ukraine. Das geht aus der Abschlusserklärung des EU-Gipfels am Donnerstag hervor. Konkrete Sanktionen beschliessen will die EU aber erst, wenn es zu einer Invasion kommen sollte.
Der neue deutsche Kanzler Olaf Scholz betonte zu Beginn des Treffens, dass «die Unverletzbarkeit der Grenzen eine der ganz wichtigen Grundlagen des Friedens in Europa» sei und die EU-Staaten alles dafür tun würden, dass dieses Prinzip gewahrt bleibe. Der litauische Präsident Gitanas Nausėda warnte, man befinde sich in der «gefährlichsten Lage der vergangenen dreissig Jahre». Lettlands Premier Krišjānis Kariņš sprach von einer «Reihe von Attacken, die alle miteinander verbunden sind». Er nannte auch das Verhalten des weissrussischen Diktators Alexander Lukaschenko, der Migranten an die Grenzen von EU-Staaten bringen lasse, sowie künstlich hoch gehaltene Preise für russisches Gas und Desinformationskampagnen Moskaus.
Ausschluss vom Zahlungsverkehr
Die EU bekräftigte damit die Haltung, auf die sich zuvor die USA und die anderen Nato-Staaten sowie die G-7-Aussenminister verständigt hatten. Sollten die angedrohten Wirtschaftssanktionen tatsächlich verhängt werden, käme der EU aber die wesentliche Rolle zu. Gesucht werden Sanktionen, die am Ende nicht der EU mehr schaden als Russland. Im Gespräch ist, Russland vom internationalen Zahlungsverkehr auszuschliessen. Oligarchen aus dem Umfeld von Putin könnten den Zugriff auf ihre Konten oder Immobilien in der EU verlieren.
Einige Mitgliedsstaaten forderten, sofort Strafmassnahmen gegen Russland zu verhängen und nicht erst als Reaktion auf eine mögliche weitere Militärintervention Russlands in der Ukraine. Am Ende setzte sich aber die «strategische Zweideutigkeit» durch. Wladimir Putin soll über den genauen Preis im Dunkeln gelassen werden. Bei einer Diskussion über präventive Sanktionen wären aber auch die unterschiedlichen Sensibilitäten unter den Staats- und Regierungschefs gegenüber Moskau aufgebrochen.
Die roten Linien
Offengelassen wurde, wo genau die «roten Linien» sind, welche Schritte genau Sanktionen auslösen würden. Eine offene Invasion der russischen Streitkräfte an der Grenze zur Ukraine gilt nicht als die wahrscheinlichste Variante. Putin könnte dann die Behauptung nicht mehr aufrechterhalten, dass auf dem Territorium der Ukraine ein «Bürgerkrieg» tobe, mit dem Russland nichts zu tun habe. Möglich ist auch, dass die Führung in Moskau wieder «Freiwillige» in Uniformen ohne Kennzeichen über die Grenze schickt, um die Rebellen dort zu unterstützen.
Olaf Scholz sah sich in Brüssel erneut mit Forderungen konfrontiert, die umstrittene russische Erdgaspipeline Nord Stream 2 zu stoppen. Eine Entscheidung über die Inbetriebnahme der Röhre wird es aber ohnehin nicht vor Juli geben. Es fehlt noch die energierechtliche Zertifizierung nach EU-Recht.
Russland forderte unterdessen Verhandlungen mit den USA und deren Nato-Alliierten über Sicherheitsgarantien. Nach Ansicht des Kreml müssen diese unter anderem enthalten, dass die Ukraine niemals in die Nato aufgenommen wird. Kremlsprecher Dmitrij Peskow sagte, Entwürfe eines entsprechenden Vertrages habe Vizeaussenminister Sergei Riabkow der US-Diplomatin Karen Donfried am Mittwoch in Moskau übergeben.
Putins aussenpolitischer Berater Juri Uschakow habe zudem mit Jake Sullivan telefoniert, dem Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden. Riabkow stehe bereit, sofort zu Verhandlungen mit den USA in einem neutralen Land aufzubrechen, auch könne es eine weitere Videokonferenz zwischen Biden und Putin geben.
Dagegen bekräftigen die EU-Staats- und Regierungschefs, Verhandlungen über die Lage in der Ukraine müssten im sogenannten Normandie-Format geführt werden, bei dem Frankreich und Deutschland zwischen Kiew und Moskau vermitteln. Bislang hat sich der Kreml zu einem solchen Treffen nicht bereitgefunden. Vor dem EU-Gipfel hatten Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski in Brüssel beraten.
Russischer «Staatsterrorismus»
Belastet wird das Format derzeit durch Verstimmungen zwischen Russland und Deutschland nach dem Schuldspruch eines deutschen Gerichts im sogenannten Tiergarten-Mord. Es hatte Russland des «Staatsterrorismus» bezichtigt. Ein russischer Staatsangehöriger war wegen Mordes an einem Georgier mit tschetschenischer Herkunft zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach Auffassung des Gerichts handelte er im Auftrag staatlicher Stellen in Russland.

Nachdem das deutsche Auswärtige Amt als Reaktion auf das Urteil zwei Angehörige der russischen Botschaft in Berlin des Landes verweisen hatte, kündigte Russland Vergeltungsmassnahmen an.
Das Aussenministerium in Moskau kritisierte das Urteil als «politisch abgekartete Sache» und beharrte, der Angeklagte sei unschuldig. Kremlsprecher Peskow sagte, Russland sei mit dem Urteil «entschieden nicht einverstanden». Die Auseinandersetzung darüber dürfe aber «die Perspektiven für den Aufbau eines Dialogs zwischen Präsident Putin und dem neuen Kanzler in keiner Weise beeinflussen». Scholz verteidigte jedoch die Entscheidung von Aussenministerin Annalena Baerbock, zwei russische Diplomaten auszuweisen.
Stephan Israel ist in Zürich aufgewachsen, hat in Genf Science Politique studiert und ist in Bern in den Journalismus eingestiegen. Er war während der Jugoslawienkriege Korrespondent in Südosteuropa. Seit 2002 schreibt er aus Brüssel über die schwierige bilaterale Beziehung und die Krisen der EU.
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