EU-Kommission boykottiert EM in der Ukraine
Der Protest gegen den Umgang mit der Oppositionellen Julia Timoschenko zieht immer weitere Kreise: Heute beschloss die gesamte EU-Kommission, die EM-Spiele in der Ukraine nicht zu besuchen.

Die ukrainische Regierung kommt wegen ihres Umgangs mit der Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko unter zunehmend stärkeren Druck europäischer Spitzenpolitiker. Nach EU-Kommissionschef José Manuel Barroso kündigte auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am Donnerstag einen Boykott der Fussballeuropameisterschaft in dem Land an. Der Sprecher der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton stellte allerdings klar, dass die Kommission die Euro 2012 nicht als Ganzes boykottiere.
Derweil schlug der designierte russische Präsident Wladimir Putin vor, Timoschenko in Moskau behandeln zu lassen. Der ukrainische Generalstaatsanwalt lehnte dies unter Verweis auf die Gesetze seines Landes ab. Diese sähen keine Behandlung von Inhaftierten im Ausland vor, sagte Viktor Pschonka im ukrainischen Fernsehen.
«EM findet nicht nur in der Ukraine statt»
Ashtons Sprecher Michael Mann stellte in einer E-Mail selbst die Frage: «Boykottiert die Kommission die Euro 2012?» Die Antwort: «Nein, tut sie nicht.» Man müsse bedenken, dass die EM «nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Polen stattfinden wird».
Aussenminister Guido Westerwelle sagte, es könne keine Fortschritte beim Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine geben, solange die rechtsstaatliche Lage in dem Land nicht vorankomme. Eine Ratifizierung des ausgehandelten Abkommens sei derzeit nicht möglich. Immer mehr europäische Staaten seien in Sorge um Timoschenko, sagte der FDP-Politiker am Rande eines Besuches in Washington.
Polen findet Boykott-Forderungen unangemessen
Polen lehnte einen Boykott der Ukraine als Mitgastgeber der Fussball-Europameisterschaft ab. Sowohl Ministerpräsident Donald Tusk als auch Staatspräsident Bronislaw Komorowski wiesen entsprechende Forderungen aus dem Westen wegen der Behandlung der inhaftierten ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko zurück. «Im Vergleich zu der Situation in der Ukraine sind die Forderungen nach einem Boykott unangemessen», sagte Komorowski in einem Interview des polnischen Fernsehsenders TVP1.
Komorowski erinnerte daran, dass es bisher nur bei den Olympischen Spielen in Moskau 1980 und Peking 2008 Boykottaufrufe gegeben habe: «Diese waren jedoch dem Einmarsch der Russen in Afghanistan und den brutal niedergeschlagenen Freiheitsbestrebungen der Tibeter geschuldet, wo es zu Blutvergiessen und Massenverhaftungen kam. Dies ist in der Ukraine aber nicht der Fall.» Zudem mahnte Komorowski, ein Boykott könne die Annäherung der Ukraine an den Westen stoppen.
Tusk erklärte, auch Polen sei wegen der Behandlung Timoschenkos irritiert und fordere die Regierung in der Ukraine auf, die Menschenrechte zu achten. Aber er glaube auch, dass Timoschenko selbst wolle, dass die Vorbereitungen auf die Euro 2012 nicht verschwendet seien.
Hungerstreik wird fortgesetzt
Timoschenko setzte unterdessen ihren Hungerstreik in der zweiten Woche fort. Das sagte ihre Tochter Jewgenija Timoschenko am Donnerstag vor der Strafanstalt in Charkiw zu Journalisten. «Sie wird weiter die Nahrungsaufnahme verweigern, obwohl sich ihr gesundheitlicher Zustand sehr verschlechtert hat. Sie ist schwach und sehr blass. Es tut mir weh, sie so zu sehen», so Jewgenija Timoschenko.
Aussenminister Guido Westerwelle prophezeit der Ukraine Fan-Proteste während der Fussball-Europameisterschaft, falls Timoschenko eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wird. «Politiker, Sportler, Medien und Fans werden es sich nicht nehmen lassen, während der EM gegen die Verletzung der Menschenrechte in der Ukraine ein Zeichen zu setzen», sagte der FDP-Politiker der «Bild»-Zeitung.
Es kann nur eine europäische Lösung geben
Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit hält die deutsche Boykottdiskussion über die Fussball-Europameisterschaft in der Ukraine für unsinnig. Im Fall Timoschenko könne es «nur eine europäische Antwort geben oder keine», sagte Cohn-Bendit am Donnerstag in Berlin. «Das wird nur europäisch gelingen.» Die innenpolitische Debatte in der Bundesrepublik, welcher deutsche Politiker zur Fussball-EM in die Ukraine fahren wolle und welcher nicht, sei daher «absurd».
Die SPD-Sportexperten des Bundestages und der Landtage halten einen politischen Boykott der Fussball-Europameisterschaft in der Ukraine für nicht notwendig. Die momentane Aufmerksamkeit könne genutzt werden, um auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, nach einer Konferenz der SPD-Sportpolitiker in Bremen.
Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, sagte, aus heutiger Sicht sei es ein Fehler gewesen, die EM an die Ukraine zu vergeben. Bei der Vergabe des Turniers habe der europäische Fussballverband Uefa aber wohl auch die Ereignisse der sogenannten Orangenen Revolution würdigen wollen. Diese hatte in den Jahren 2004 und 2005 verhindert, dass der heutige Präsident Viktor Janukowitsch Staatschef wurde. Timoschenko wurde damals Ministerpräsidentin.
dapd/mrs/fko
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch