«Es wurde viel getrunken und gepöbelt»
Saufende und lärmende Jugendliche werden in Reinach aus der Öffentlichkeit vertrieben. Damit werde das Problem nur in die Nachbargemeinden abgeschoben, kritisieren die Münchensteiner. Der Reinacher Gemeindepräsident Urs Hintermann (SP) stellt die Wegweisungspraxis dagegen als Erfolg dar.
BaZ: Wer muss in Reinach damit rechnen, von einem öffentlichen Platz verbannt zu werden?
Urs Hintermann: Nur wer sich total danebenbenimmt, wer Sachen zerstört, auf einem öffentlichen Platz uriniert, Passanten anpöbelt oder die Nachtruhe stört.
Spätabends reden, singen oder lachen – gilt auch das schon als «total daneben».
Sicher nicht. Entscheidend ist die Lautstärke. Wenn Jugendliche ein halbes Quartier um den Schlaf bringen, werden sie weggeschickt. Das kommt immer wieder vor. Eigentliche Wegweisungen, verbunden mit einem Verweilverbot, gab es aber noch nie.
«Die Polizei Reinach kann störende Personen vom öffentlichen Raum wegweisen», heisst es im Reinacher Polizeireglement. Rechtsexperten kritisieren solche vagen Formulierungen, weil diese dazu führen können, dass auch Randständige, Demonstrierende oder sonstwie Auffällige aus der Öffentlichkeit verbannt werden.
In Reinach besteht die Gefahr sicher nicht, dass jemand weggewiesen wird, nur weil sein Gesicht dem Polizisten nicht passt. Reinach hat vier Gemeindepolizisten und eine überschaubare Verwaltung. Hier redet man miteinander und entscheidet nach gesundem Menschenverstand. In Städten wie Basel mit Hunderten von Polizisten ist das wahrscheinlich anders. Dort muss es möglichst klare Regeln geben, damit auch der Vollzug einheitlich ist.
Sie halten es also für richtig, dass Reinach ein Reglement hat, das ganz unterschiedlich ausgelegt werden kann?
Für Reinach ist die Formulierung gut, gerade weil sie offen ist. So ist es einfacher, für jeden Einzelfall die richtige Lösung zu finden.
Wie gross waren denn die Probleme?
Vor dem Gemeindehaus trafen sich regelmässig Jugendliche, teilweise über 100. Es wurde viel getrunken, Passanten wurden angepöbelt und es gab Vandalenakte. Mehrere Anwohner hielten das nicht aus und zogen weg. Gemeinderat und Einwohnerrat mussten rasch handeln. Vor zwei Jahren sprachen wir ein abendliches Alkoholverbot für das Areal rund ums Gemeindezentrum aus und nahmen den Wegweisungsartikel in das Polizeireglement auf. Der Gemeinderat erhielt zudem die Kompetenz, «Verhaltensregeln und Verbote» für weitere öffentliche Areale zu verhängen.
Inzwischen ist es in Reinach ruhiger worden. Dafür beklagen sich jetzt die Münchensteiner: Die Szene habe sich in ihre Gemeinde verlagert, zur BLT-Station Gartenstadt und in die Grün 80. Hat Reinach das Problem nur abgeschoben?
Die Jugendlichen sind sehr mobil. Sie treffen sich mal in Reinach, mal in Therwil und dann wieder in Münchenstein oder am Rheinbord. Derzeit scheint mir Reinach etwas weniger «in» zu sein. Mag sein, dass auch unsere Massnahmen ein Grund dafür sind.
Das heisst, Sie haben das Problem tatsächlich nur abgeschoben?
Das kann ich nicht abschliessend beurteilen. Ich habe jedenfalls kein schlechtes Gewissen: Wir hatten ein Problem und handelten rasch. All jene, die sich danebenbenahmen, fühlen sich in Reinach jetzt nicht mehr wohl. Das ist gut so.
Die Jugendlichen ziehen in der ganzen Region herum, den Behörden gelingt dagegen nicht einmal die Zusammenarbeit über die Gemeindegrenzen hinweg. Das passt schlecht zusammen.
Eine bessere Koordination wäre sicher wünschenswert. Eine kantonale Regelung wäre vor allem in Sachen Wegweisung sinnvoll. Der Rechtsdienst des Regierungsrates stellt ja selber fest, dass es für die Kantonspolizei schwierig ist, unterschiedliche kommunale Bestimmungen zu handhaben. Auf regionaler Ebene könnte zudem die Zusammenarbeit der Gemeindepolizeien oder die Vernetzung der Sozialarbeit vorangetrieben werden. Wenn einer der Birstaler Gemeindepräsidenten das Bedürfnis nach einer besseren Zusammenarbeit hat, kann er dies an einem unserer Treffen thematisieren. Reinach wird einen entsprechenden Vorstoss jedenfalls nicht machen. Wir haben die Hausaufgaben gemacht und unsere Probleme gelöst. Auch die Zusammenarbeit mit den Gemeindepolizeien von Therwil und Ettingen funktioniert sehr gut.
Münchenstein will vor allem auf die Mobile Jugendarbeit setzen. Was unternimmt Reinach in diesem Bereich?
Vor zwei Jahren haben wir neben der Gemeindepolizei auch die Jugendarbeit neu organisiert und ausgebaut. Der leitende Jugendarbeiter ist eine wichtige Figur in unserem Konzept. Er war bei den intensiven Gesprächen mit dabei, die wir mit Jugendlichen, ihren Eltern und Anwohnern geführt haben. Und er ist auch Mitglied der 2006 neu geschaffenen Interventionsstelle, die Hinweise auf Probleme mit Jugendlichen entgegennimmt und weiterverfolgt. Dabei geht es nicht nur um Repression, sondern auch um unterstützende Massnahmen wie Therapien für suchtgefährdete Jugendliche. Der Jugendarbeiter unterstützt sämtliche Massnahmen, das ist mir ganz wichtig. Ebenso wichtig sind die vielen Angebote, die Reinach schon seit Jahren hat: Es gibt Vereine, Jugendtreffs und das Jugendhaus. Und am nächsten Wochenende wird nun auch noch über eine neue Freizeitanlage abgestimmt. Aber natürlich kann man auch immer noch mehr machen
Etliche Jugendliche treffen sich aber offenbar lieber ausserhalb der beaufsichtigten Institutionen. Ist das noch möglich in Reinach?
Solange sich die Jugendlichen an die Regeln halten, können sie sich überall in Reinach aufhalten. Wenn sie aber beliebig lange und beliebig laut feiern möchten, müssen sie weg von den Wohngebieten, an die Peripherie, wo sie niemanden stören. Auf einen Grillplatz am Waldrand zum Beispiel.
Etwas zentraler gelegene Freiräume gibt es nicht mehr?
In einer Agglo-Stadt wie Reinach ist absolute Ruhe nicht das oberste Gebot. Aber auch hier hört die Freiheit des Einzelnen dort auf, wo die Freiheit der anderen anfängt.
Hat inzwischen denn wieder jeder die Freiheit, ruhig zu schlafen?
Der Lärm hat ein erträgliches Mass erreicht. Probleme machen inzwischen weniger die Jugendlichen als Anlässe wie der Kehrausball, Gugge-Konzerte oder andere Feste. Letzthin musste die Polizei wegen Volksmusikern ausrücken, die auf keine bessere Idee kamen, als tief in der Nacht auf einem Parkplatz ein Ständeli zu geben.
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