Es tut mir ja so leid
Wer ein Indianerkostüm trägt oder sich ein Bindi auf die Stirn klebt ist neuerdings ein Rassist und muss sich bei der dauerempörten Öffentlichkeit entschuldigen.

Sich selbst kleinmachen, damit andere nicht beleidigt sind, gehört heute zum festen Bestandteil der westlichen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich selbst und ihr privilegiertes Leben offenbar so wenig leiden kann, dass sie sich erst besser fühlt, wenn sie sich mit permanenten Schuldeingeständnissen auf die Seite von Opfergruppen schlägt.
In Amerika bewegt ein Begriff die zarten Gemüter: «Cultural Appropriation», kulturelle Aneignung. Weisse Menschen sollten nicht Symbole, Kleidungsstücke oder Handlungen übernehmen von anderen ethnischen Gruppen – weil sie damit den Minderheiten ihre kulturelle Identität und auch das Ansehen rauben, das sie dafür verdienen. Kulturelle Aneignung ist, wenn man an einer Mottoparty ein Indianerkostüm trägt oder sich ein Bindi auf die Stirn klebt – es wird als rassistische Tat angesehen. Besonders en vogue ist das Anprangern von Prominenten – genauso en vogue sind Prominente, die dann flugs auf Twitter Abbitte leisten.
Empörung!
Supermodel Karlie Kloss löste 2012 einen Sturm der Entrüstung aus, weil sie bei einer Victoria's-Secret-Show eine indianische Federhaube trug. Kloss' Tweet: «Es tut mir zutiefst leid, wenn das jemanden beleidigt hat.» Schauspielerin Hillary Duff trug das falsche Halloweenkostüm. Empörung! Tweet: «Ich entschuldige mich aus tiefstem Herzen bei den Leuten, die ich beleidigt habe. Es war nicht richtig durchdacht.» Musiker Pharrell Williams posierte in einer indianischen Federhaube auf einem Elle-Cover. Empörung! Williams' Statement bei Buzzfeed: «Es tut mir aufrichtig leid. Ich respektiere und ehre jede Rasse und Kultur.» Justin Timberlake erwähnte, dass Jesse Williams, ein Afroamerikaner, ihn inspiriere. Empörung! Tweet: «Ich entschuldige mich bei allen, die das daneben fanden. Ich habe nichts ausser Liebe für euch alle.» «Thor»-Star Chris Hemsworth verkleidete sich an einer Mottoparty als Indianer. Empörung! Tweet: «Ich entschuldige mich aufrichtig und uneingeschränkt bei allen Ureinwohnern für diese gedankenlose Aktion. Ich hoffe, dass ich mit dem Unterstreichen meiner eigenen Unwissenheit ein bisschen helfen kann.»
Aus der Perspektive von Minderheiten wie Ureinwohnern ist die Entrüstung teilweise nachvollziehbar, wenn ihre traditionellen Symbole oder Kleidungsstücke zweckentfremdet werden. Es gibt aber zwei Sichtweisen: Man kann es als Aneignung sehen, das wäre es aber nur, wenn die Ethnie selbst das Objekt nicht mehr benützen könnte. Oder als Hommage an die Kultur, als ein Teilen oder Sich-inspirieren-lassen. Was zählt, ist doch die Absicht. Es möchte wohl kaum jemand mit dem Bindi den Hinduismus herabwürdigen oder mit dem Pocahontas-Kostüm die kulturelle Identität von Amerikas Ureinwohnern stehlen.
Nur Schwarze dürfen Dreadlocks tragen
Vertreter der Cultural Appropriation fordern auch, dass Rappen oder Dreadlocks Schwarzen vorbehalten bleiben. Spinnt man diese These weiter, dürfte ja auch niemand ausser den Griechen einen demokratischen Staat ausrufen. Oder mathematische Formeln der Babylonier verwenden. Wie stehts mit Musik? Weit genug zurück verschmilzt doch alles miteinander. Wer alles verbannt, verbannt auch das Bewusstsein für Traditionen. Und wo zieht man die Grenze? Offenbar dort, wo man nicht lautstark für Opfergruppen eintreten kann – denn White Cultural Appropriation existiert nicht.
Ich entschuldige ich mich bei allen, die sich über diesen Text empören. Ich habe nichts ausser Respekt für Sie, liebe Leserinnen und Leser.
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