Gummischrot an Demos?Es müssen deutliche Hinweise auf ein Gewaltpotenzial vorliegen
Ob ein Polizeieinsatz verhältnismässig war oder nicht, ist mit zuverlässiger Regelmässigkeit Thema von gehässigen Debatten in Basel. Umstritten ist derzeit insbesondere die Bewilligungspflicht für Demonstrationen.

Es sind nicht nur die Krawalle und Sachbeschädigungen, es ist auch die Beanspruchung des öffentlichen Raums durch Demonstrierende, die die Basler SVP mit ihren am letzten Dienstag lancierten Initiativen zumindest teilweise unterbinden will. In ihrem Fokus stehen unter anderem die zahlreichen unbewilligten Demonstrationen durch die Innenstadt.
Bereits am Mittwoch hat die Basler Kantonspolizei mit ihrem Einsatz keinen Zweifel aufkommen lassen, dass sie bereit ist, unbewilligte Demos auch mit Zwangsmitteln aufzulösen. Aber: Darf sie das überhaupt? Und warum weigern sich gewisse Kreise von Demonstrierenden partout, ein Bewilligungsgesuch einzureichen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Warum verlangt die Kantonspolizei Basel ein Bewilligungsgesuch für Demonstrationen?
Ein Bewilligungsgesuch stellt sicher, dass die Polizei bei Demonstrationen und Kundgebungen einen Ansprechpartner hat und vorgängig mit den Gesuchstellenden die Route festlegen kann. «Damit kann sichergestellt werden, dass jeweils allen öffentlichen Interessen Genüge getan wird», sagt Polizeisprecher Adrian Plachesi. Beachtet werden sollen auch die Interessen von Gewerbetreibenden und jenen, die etwa samstags gerne einkaufen oder durch die Innenstadt bummeln und auf intakte ÖV-Verbindungen angewiesen sind.
Die Bewilligungspflicht ist in der kantonalen Verordnung über den Strassenverkehr verankert und ist in der Schweizer Rechtsprechung auch unbestritten, wie Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Basel, sagt. Demnach muss ein Gesuch in der Regel drei Wochen vor der Durchführung eingereicht werden. Unter anderem das Datum, die Zeit, der Ort, zu benützende Strassen sowie eine verantwortliche Person müssen dabei angegeben werden.
Die Frist von drei Wochen kann in Ausnahmefällen auch umgangen werden, wenn eine Kundgebung zu einem aktuellen Vorkommnis Stellung nimmt. Doch auch in diesem Fall müssen Ort, Route und verantwortliche Ansprechperson der Polizei mitgeteilt werden.
Kann ein Bewilligungsgesuch auch abgelehnt werden?
Ja. Eine Bewilligung kann gemäss Verordnung aus verkehrspolizeilichen Gründen oder aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verweigert werden. Das kommt allerdings selten vor. Gemäss Basler Regierung sind im vergangenen Jahr 9 von 197 Gesuchen abgelehnt worden.
Davon sechs wegen Nichteinhaltens der Eingabefrist, eines wegen einer gleichzeitig stattfindenden und vorgängig bereits bewilligten Demonstration und zwei aus sonstigen Gründen. In einer Erläuterung des Basler Justiz- und Sicherheitsdepartements zur Basler Demopraxis wird betont: Die Kantonspolizei «verfolgt dabei keine eigene politische Strategie, sondern behandelt alle Gesuche unabhängig von ihrer politischen Stossrichtung strikt gleich.» Diese Aussage wird zuweilen bezweifelt. So sagt Marvin Aelen vom Klimastreik Basel auf Anfrage, er habe das Gefühl, dass die verschiedenen Organisationen unterschiedlich behandelt würden. «Gegenüber Klimastreik-Demonstrationen stelle ich eine Offenheit fest, die bei anderen Kollektiven in Basel noch nie beobachtet werden konnte», so Aelen. Das würde sich auch in den Bewilligungsverfahren niederschlagen.
Ist die Teilnahme an oder die Organisation von unbewilligten Demos illegal?
Gemäss kantonalem Übertretungsstrafgesetz können Personen, die ohne Bewilligung Versammlungen oder Demonstrationen im öffentlichen Raum durchführen, mit einer Busse bestraft werden. Gleiches gilt bei Widerhandlung gegen behördliche Auflagen an solchen Veranstaltungen sowie beim Tragen von Waffen oder Gegenständen, die geeignet sind, Sachen zu beschädigen. Eine Busse kann es auch geben, wenn man sich bei Menschenansammlungen unkenntlich macht, sich etwa vermummt.
Diese kantonale Regelung ist allerdings umstritten. Franziska Stier vom feministischen Streik Basel sieht durch die Bewilligungspflicht das Grundrecht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschnitten. Sie ist überzeugt: «Das Recht auf Meinungsäusserung besteht unabhängig von einer polizeilichen Bewilligung.» Tatsächlich stehe auch eine unbewilligte Demonstration unter grundrechtlichem Schutz, sagt Staatsrechtler Markus Schefer. Die Polizei dürfe eine unbewilligte Demo nur dann auflösen, wenn sie klare Hinweise habe, dass von der Veranstaltung ein grosses Potenzial von Gewalt, sei es gegen Lebewesen oder Gegenstände, ausgehe.
Eine geringfügige Busse gegen den Veranstalter einer unbewilligten Demo könne zulässig sein. Aber: Das Verteilen von Bussen gegen friedliche Teilnehmer einer unbewilligten Demo hält Schefer nicht für vereinbar mit der Versammlungsfreiheit.
Welche Gruppierungen verzichten auf das Einreichen von Bewilligungsgesuchen?
Gemäss einer Statistik, die Anfang Jahr von der Kantonspolizei veröffentlicht wurde, haben im vergangenen Jahr 99 Demonstrationen, Standkundgebungen oder Mahnwachen stattgefunden, ohne dass im Vorhinein ein Bewilligungsgesuch eingereicht wurde. Für viele dieser unbewilligten Demos war die Critical Mass Basel verantwortlich. Es handelt sich hierbei um eine lose Gruppierung, die sich jeweils am letzten Freitag im Monat mit dem Fahrrad auf eine unbestimmte Rundfahrt begibt, um dem motorisierten Individualverkehr in der Stadt die Stirn zu bieten. Dabei werden auch Staus und Verkehrsverzögerungen in Kauf genommen.
Weitere unbewilligte Demos oder Standkundgebungen richteten sich gegen die damals geltenden Corona-Massnahmen, gegen den Kapitalismus oder bezogen sich auf den militärischen Konflikt in kurdischen Gebieten, den Ukraine-Krieg oder auf Gewalt gegen Frauen. Auch für die Demos von Basel nazifrei wurde jeweils kein Gesuch eingereicht. Auf Anfrage erklären Vertreter von Klimastreik und Frauenstreik sowie Mitglieder des kurdischen Vereins Dem Kurd, sich nach Möglichkeit jeweils rechtzeitig für eine Bewilligung einzusetzen. Die Gruppe Critical Mass hat auf eine Anfrage dieser Zeitung nicht reagiert. Zumindest von Gewalt gegen Lebewesen distanzieren sich all diese Gruppen.
Warum verzichten diese Gruppierungen auf eine Bewilligung?
Insbesondere die Sorge, belangt zu werden für an einer Demo begangene Straftaten, hält Demonstrierende davon ab, sich bei der Polizei als verantwortliche Person oder Organisator registrieren zu lassen. Ferner könne die Frist von drei Wochen nicht immer eingehalten werden. Franziska Stier sagt aber auch: «Es geht der feministischen Bewegung auch um die Aneignung von öffentlichem Raum. Wir wollen uns für unser wichtiges Anliegen diesen Platz nehmen. Dazu gehört es manchmal auch, Grenzen zu überschreiten.» Polizeisprecher Adrian Plachesi sagt zwar: «Gesuchstellende einer bewilligten Demo können nicht haftbar gemacht werden für das Verhalten oder Sachbeschädigungen einzelner Demoteilnehmender – solange sich die Gesuchstellenden an die Auflagen der Bewilligung halten oder sie versucht haben, die Auflagen durchzusetzen.»
Gleichwohl kursieren immer wieder Erzählungen, wonach solchen Ansprechpersonen eben doch Nachteile erwachsen sind. Ein Beispiel: Weil an einer bewilligten und friedlichen Demo nicht alle Auflagen der Polizei erfüllt wurden, ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen die Ansprechperson der Demonstrierenden. Zwar konnten ihr keinerlei strafbare Handlungen oder Verfehlungen nachgewiesen werden. Ihr parallel laufendes Einbürgerungsverfahren wurde dennoch für ein ganzes Jahr sistiert.
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