Sinken die CO₂-Bussen? Es fehlen E-Ladestationen – nun droht das Geld dafür knapp zu werden
Neuwagen stiessen 2021 zu viel CO2 aus, wie unveröffentlichte Daten zeigen. Die Importeure verfehlen das Klimaziel. Dennoch müssen sie weniger Bussen zahlen – mit weitreichenden Folgen.

Noch nie war die Busse so hoch: 133 Millionen Franken mussten die Autoimporteure 2020 zahlen, weil sie das Klimaziel des Bundes verpasst hatten – ein Plus von über 50 Millionen Franken gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2019. Die Neuwagen stiessen durchschnittlich 124 Gramm CO₂ pro Kilometer aus; das ist deutlich über der Zielmarke von 95 Gramm.
Die Bilanz für das letzte Jahr hat der Bund noch nicht publiziert. Doch gemäss Informationen dieser Redaktion lag der CO₂-Ausstoss bei rund 134 Gramm pro Kilometer. Das Bundesamt für Energie (BFE) bestätigt diesen Wert. Die Bussen, so müsste man folgern, werden 2021 also nochmals höher als 2020 sein. Auto-Schweiz, die Vereinigung der Schweizer Autoimporteure, geht jedoch vom Gegenteil aus: «Die Sanktionen werden recht gering ausfallen», so Präsident François Launaz.
Das scheint widersprüchlich. Doch Launaz dürfte richtigliegen. Warum? Seit letztem Jahr basiert der Vollzug der CO₂-Emissionsvorschriften auf einem neuen Emissionstestverfahren (WLTP). Es bildet den Spritverbrauch der Fahrzeuge in der Praxis genauer ab; die alte Methode (NEFZ) hatte die Werte zu tief ausgewiesen, weshalb die Fahrzeuge auf dem Papier weniger klimaschädlich waren, als sie es tatsächlich sind. Die neuen realitätsnäheren Werte sind im Schnitt laut BFE etwa ein Viertel höher.
Entscheidend ist nun, wie der Bund auf diese Neuerung reagiert hat: Er hat das bisherige Klimaziel für Neuwagen – analog zur EU – entsprechend nach oben angepasst, von 95 auf 118 Gramm CO₂ pro Kilometer. Zupass kommt der Autobranche zudem das sogenannte Phasing-in: Für das Jahr 2021 bleiben die 10 Prozent CO₂-intensivsten Fahrzeuge von der Sanktionsberechnung ausgeklammert; so sehen es die gesetzlichen Bestimmungen des Bundes vor. Der durchschnittliche CO₂-Ausstoss sinkt damit, gemäss Berechnungen von Auto-Schweiz betrug er 2021 so berechnet circa 123 Gramm. Das neue Klimaziel von 118 Gramm ist damit in Griffweite gerückt.
«Die neuen Werte zeigen eindrücklich, dass die Autobranche die Leute über Jahre mit mangelhaften Messsystemen getäuscht hat.»
Klimaschützer sind dennoch kritisch, weil die Autobranche vom Zero-Emission-Ziel weiter entfernt sei als bislang ausgewiesen. «Die neuen Werte zeigen eindrücklich, dass die Autobranche die Leute über Jahre mit mangelhaften Messsystemen getäuscht hat», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen, der den Elektromobilitätsverband Swiss E-Mobility präsidiert.
Immerhin, so Grossen, «stimmt die Richtung» der Entwicklung. Aufzeigen lässt sich das, wenn man die CO₂-Bilanz der Neuwagen für die Jahre 2020 und 2021 mit der alten Messmethode berechnet und sie so vergleichbar macht. 2021 waren es so nur noch 108 Gramm CO₂ pro Kilometer, deutlich weniger also als 2020 mit 124 Gramm. Das BFE resümiert auf Anfrage denn auch, dass die 2021er-Flotte «deutlich klimafreundlicher» als jene 2020 war.
Das ist nicht zuletzt die Folge des Elektrobooms. Knapp 240’000 Neuwagen wurden letztes Jahr in Verkehr gesetzt. Sogenannte Steckerfahrzeuge, also reine Elektroautos und Plug-in-Hybride, machten gut 22 Prozent davon aus. Bereits 2025 werden sie rund 38 Prozent Marktanteil haben, wie Auto-Schweiz schätzt.
Der Elektroboom schafft indes auch Probleme. Zwar entstehen immer mehr Ladeplätze, der Bund ist daran, ein Schnellladenetz entlang der Nationalstrassen zu schaffen, und auch einige Kantone fördern die Ladeinfrastruktur finanziell. Doch der Ausbau erfolge nicht schnell genug, kritisiert Auto-Schweiz. Ende 2020 kamen 12 Steckerfahrzeuge auf eine öffentliche Ladestation, ein Jahr später sind es bereits 17, ideal wären es gemäss Auto-Schweiz 10. Nur 7 der 26 Kantone liegen unter dieser Schwelle.
Bund rechnet mit Bussen für die Finanzierung des Ausbaus
Dazu kommt: Es ist nicht sicher, in welchem Umfang der Bund den weiteren Ausbau mitfinanzieren kann, namentlich den Bau von Ladeinfrastrukturen in Wohnhäusern, Unternehmen und auf öffentlichen Parkplätzen. Der Grund: Das Geld dafür soll – befristet bis 2030 – aus den Sanktionszahlungen der Autoimporteure stammen. So plant es der Bundesrat im neuen CO₂-Gesetz, das derzeit in der Vernehmlassung ist. Er rechnet für die Jahre 2025 bis 2030 mit Sanktionserträgen im tiefen dreistelligen Millionenbereich, und das bei einem Förderbedarf, der «deutlich» höher ist.
Nur: Je besser die Importeure das Klimaziel erfüllen, desto weniger Geld fliesst in den Ausbau. Der Bund solle deshalb jedes Jahr mindestens 30 Millionen Franken für die Förderung bereitstellen, die notfalls aus anderen Quellen finanziert würden, fordert Auto-Schweiz.
Bleibe das Klimaziel bis 2025 so bestehen, gehe wertvolle Zeit «im Kampf gegen die Klimaerhitzung» verloren.
Auch Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP) findet eine Finanzierung rein aus Sanktionszahlungen «nicht nachhaltig»; es brauche andere Lösungen. Eine Option wäre für ihn eine Abgabe auf Elektroautos. Der Bund hatte dies ursprünglich für die Zeit ab 2020 geplant, die Einführung aber auf unbestimmte Zeit vertagt, weil er die Attraktivität der E-Mobilität nicht mindern will. Zusätzliche Impulse verspricht sich Wasserfallen von der Privatwirtschaft. Mit dem Bau und Vertrieb von Ladestationen betreiben Unternehmen heute schon ein Geschäft, sie könnten dies künftig aber verstärkt tun.
Der Verband Swiss E-Mobility würde es ebenfalls begrüssen, wenn sich die E-Mobilität ohne zusätzliche Förderung durchsetzen würde, wie Präsident Grossen klarmacht. Bis es so weit sei, brauche es aber Überbrückungshilfen. Dazu zählt Grossen die vom Bundesrat geplante Verwendung der Sanktionszahlungen. Er sei überzeugt, dass nicht alle Flottenbetreiber ohne Sanktionen durchkämen und es Einnahmen geben werde. Sicher ist das freilich nicht.
Gewiss ist hingegen, dass das neue Klimaziel von 118 Gramm CO₂ pro Kilometer vorerst bestehen bleibt; nach 2025 will es der Bundesrat weiter verschärfen. Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) kritisiert dies. «Die Autobranche muss sich erst dann wieder anstrengen, die Emissionen weiter zu senken», sagt VCS-Experte Martin Winder. Damit gehe wertvolle Zeit «im Kampf gegen die Klimaerhitzung» verloren.
Stefan Häne ist Redaktor im Ressort Inland. Er schreibt und recherchiert zum aktuellen Politgeschehen in der Schweiz.
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