Erstmals regiert eine schwarze Frau Chicago
Die 56-jährige Lori Lightfoot ist die erste Afro-Amerikanerin der Geschichte, die in der Stadt zur Bürgermeisterin gewählt wurde.

Eines war schon klar, bevor am Dienstag die Wahlurnen geschlossen wurden: Chicago, die drittgrösste Stadt der USA, wird erstmals von einer schwarzen Bürgermeisterin regiert. In der Stichwahl standen sich die beiden parteilosen Kandidatinnen Toni Preckwinkle und Lori Lightfoot gegenüber, die sich im ersten Durchgang Ende Februar ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert hatten.
Gewonnen hat am Ende die Anwältin Lori Lightfoot. Der Name sollte nicht täuschen. Lightfoot ist alles andere als ein Leichtfuss. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen, die Mutter arbeitete in der Gesundheitsfürsorge, der Vater war Fabrikarbeiter und Hausmeister. Einer ihrer Verwandten wurde in den 1920er Jahren von Mitgliedern des Ku-Klux-Klan umgebracht. Ihr älterer Bruder geriet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Das hat sie geprägt. Sie studierte Jura, wurde Staatsanwältin. Nicht nur für sich - sie wollte immer auch eine Stimme der afroamerikanischen Bevölkerung sein.
Als Anklägerin ermittelte sie gegen Korruption in Chicago. Zu ihren grössten Erfolgen gehörte die Festnahme des Stadtrates Virgil Jones im Rahmen der Operation «Silberschaufel».
Polizisten in 72 Prozent aller Fälle gefeuert
Sie übernahm danach wichtige Positionen innerhalb der Polizei von Chicago. Meist ging es darum, Fehlverhalten von Polizisten nachzugehen und aufzuklären. Empfahl sie allerdings Disziplinarverfahren gegen einzelne Polizisten, wurden diese oft von der Polizeiführung zurückgewiesen.
Lightfoot machte sich später als Anwältin selbstständig, blieb aber ihren Themen treu: Korruption und polizeiliches Fehlverhalten. 2015 wurde sie vom damaligen Bürgermeister zur Vorsitzenden des Chicago Police Board nominiert, einem Gremium aus Zivilisten, das in Disziplinarverfahren gegen Polizisten entscheidend mitwirkt. Unter ihrer Leitung wurden die beschuldigten Polizisten in 72 Prozent aller Fälle gefeuert.
Diese Erfahrungen mit der Polizei von Chicago dürften erheblichen Anteil an ihrem Wahlsieg gehabt haben. Sie gewann gegen Toni Preckwinkle mit 74 zu 26 Prozent.
Eine «stolze schwarze Lesbe» als Bürgermeisterin
Inhaltlich liegen beide gar nicht so weit auseinander. Sie haben sich als progressive und liberale Kandidatinnen präsentiert. Und sowohl Preckwinkle als auch Lightfoot konzentrierten sich im Wahlkampf auf zwei wichtige Themen: Bildung, und, vor allem, öffentliche Sicherheit.
Der einzige grosse Unterschied liegt in ihren Persönlichkeiten. Lightfoot, mit 56 Jahren 18 Jahre jünger als Preckwinkle, hatte sich als «stolze schwarze Lesbe» vorgestellt. Sie ist jetzt nicht nur die erst schwarze, sondern auch die erste offen homosexuell lebende Bürgermeisterin der Stadt.
Die Probleme, vor denen Lightfoot steht, sind gewaltig. Die 2,7-Millionen-Einwohner-Stadt gehört zu den gefährlichsten der USA. Vor zwei Jahren hat die Zahl der Tötungsdelikte den Rekordwert von 762 erreicht. Die Zahl ist seitdem gesunken. Aber 2018 waren es immerhin noch 550. Keine Stadt der USA verzeichnete mehr Morde. Zum Vergleich: In New York City, mit 8,6 Millionen Einwohner die grösste Stadt der USA, wurden im vergangenen Jahr 289 Tötungsdelikte gezählt.
Die sichtbarste Antwort auf das Sicherheitsproblem war bisher: mehr Polizei.
Chicago wird den Ruf, ein Ort der Gewalt zu sein, nur schwer wieder los. Für viele konservative Amerikaner, manche Touristen und Investoren gilt die Stadt als No-go-Area. Was auch dazu führte, dass nach Ansicht mancher Experten der US-weite wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen Jahre Chicago nicht so erfasst hat, wie es möglich gewesen wäre.
Die sichtbarste Antwort auf das Sicherheitsproblem war bisher: mehr Polizei. Innerhalb von zwei Jahren wurden fast 1200 zusätzliche Polizisten eingestellt. In neu geschaffenen 20 Unterstützungscentern fliessen Informationen über lokale Kriminalitätsschwerpunkte zusammen. Es gibt jetzt auch Sensoren in der Stadt, die Schüsse erkennen und melden können.
Für Trump ist Chicago ein «Kriegsgebiet»
Die Kriminalitätsrate ist zwar spürbar gesunken, sie liegt aber immer noch auf hohem Niveau. Für Lightfoot bleibt noch viel Spielraum für Reformen. Der komplette Polizeiapparat steht seit Jahren in der Kritik. Die Polizisten hätten den Kontakt zu den Bewohnern verloren, heisst es, sie werden eher als Gegner denn als Helfer wahrgenommen.
Auch das trägt dazu bei, dass etwa junge Familien zögern, sich in Chicago anzusiedeln, sagt Arthur Lurigio, Professor für Psychologie und Strafjustiz an der Loyola University Chicago. Ob Chicago wieder zu einem attraktiven Ort werden und die anhaltende Stadtflucht gestoppt werden kann, hängt für ihn auch davon ab, wie die neue Bürgermeisterin die Wahrnehmung des Themas Sicherheits verändere. Seit 2015 verliert der Grossraum Chicago Einwohner. Immer wieder wird Kriminalität als Grund für einen Wegzug genannt.
Die Hoffnung ist, dass die neue Bürgermeisterin das ändern kann. Lightfoot wird dafür ihre ganze Erfahrung aus ihren früheren Aufgaben einsetzen müssen. Gary Slutkin, Gründer und Vorsitzender von Cure Violence, sagt, mit Lightfoots Wahl seien zwei angstgetriebene, aber lange populären Ideen endlich zurückgewiesen worden: dass mehr Polizei die einzige Antwort auf die Gewalt sei. Und dass nur mehr Unternehmen die wirtschaftliche Entwicklung armer Viertel vortreiben könnten.
Ein Problem sticht besonders heraus: die eiserne Pipeline. So wird der ständige Zufluss an Waffen genannt, die aus den Nachbarbundesstaaten nach Chicago geschmuggelt werden. Strohmänner kaufen Waffen in Indiana oder Wisconsin, die ein sehr laxes Waffenrecht haben. Und verticken sie nach Chicago. Dort gilt das deutlich striktere Waffenrecht des Bundesstaates Illinois. Chicago liegt genau an den Grenzen zu Indiana und Wisconsin.
Hohe Gewaltrate ein beliebtes Angriffsziel von Trump
Allein in diesem Jahr hat die Polizei von Chicago über 1600 illegale Waffen aus dem Verkehr gezogen, sechs Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2018. Eine gute Idee, wie Chicago diese «eiserne Pipeline» veröden kann, hat Lightfoot aber auch nicht. zu viel hängt davon ab, dass die Nachbarstaaten ihre laschen Gesetze verschärfen - was unwahrscheinlich ist.
Die hohe Gewaltrate der Stadt ist ein beliebtes Angriffsziel von Präsident Donald Trump, auch, weil die Stadt seit 1931 durchgehend von Demokraten regiert wird. Er hat Chicago als «Kriegsgebiet», als «völlig ausser Kontrolle» bezeichnet. Und damit gedroht, Bundesbeamte nach Chicago zu schicken. Trump füht Chicago auch gerne als Beispiel dafür an, dass strenge Waffengesetz nichts bringen würden. Chicago leide schliesslich trotz der strengen Gesetze in Illinois unter hoher Waffengewalt. Von der «eisernen Pipeline» scheint Trump noch nie gehört zu haben.
Lightfoot wird also an zwei Fronten kämpfen müssen. Gegen die Kriminalität in ihrer Stadt. Und gegen die Einmischung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
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