Er ist Caiuby
In Deutschland verfolgte ihn ein sehr zweifelhafter Ruf. In Zürich ist er ein Hoffnungsträger, dass diese Saison in Minne endet: Francisco da Silva Caiuby, der Brasilianer mit dem breiten Lachen.

Das ist er also. Francisco da Silva Caiuby, kurz Caiuby. In Deutschland nur noch der «Skandalprofi», weil er die Ferien eigenmächtig um Wochen verlängerte oder wegen Schwarzfahrens eine hohe Busse zahlen musste. In Zürich dagegen begrüsst als Spieler, der zur Rettung des taumelnden Schweizer Rekordmeisters beitragen soll.
Im ersten Stock des Trainingsgeländes in Niederhasli sagt Trainer Thorsten Fink: «Ich kann zu null Komma null nachvollziehen, was über Caiuby gesagt wird. Er ist keine Minute zu spät, er ist an den freien Tagen hier, um zu arbeiten. Er hat Disziplin. Er ist menschlich cool.»
Einen Stock tiefer, in der Cafeteria des Campus, verdrückt Caiuby im Stehen noch sein Dessert und räumt dann das Geschirr ab. Was er an Besteck fallen lässt, hebt er wieder auf. Im Gesicht trägt er das Strahlen, das ihm vorauseilt wie sein Ruf. Der FC Augsburg schrieb auf seiner Website: «Er ist der Mann mit der coolsten Frisur beim FCA. Er ist der Kabinen-Entertainer. Er ist der Gute-Laune-Mensch. Er ist Vollblutfussballer.»
Caiuby hört sich diese Würdigung an und sagt: «Ich spiele keine Rolle. So bin ich.» Sie ist inzwischen von der Augsburger Seite verschwunden. Er ist auch kein Augsburger mehr. Sondern ein Grasshopper.
Zürich hat er nicht erst entdeckt, seit er vor zwei Wochen zu den Grasshoppers kam. Hier war er während seiner Augsburger Zeit immer wieder einmal, um die brasilianische Gemeinde zu besuchen. Die Brasilianer haben das so an sich, dass sie sich fern der Heimat immer finden, egal, wo sie auf der Welt gerade sind. «Das ist doch gut», sagt Caiuby. Aber Zürich hat ihm beruflich einen Ausweg geöffnet, um seinen Ruf zu verbessern.
GC statt Brasilien
Über zehn Jahre war Caiuby in Deutschland, zehneinhalb genau. Wolfsburg, Duisburg, Ingolstadt und zuletzt während viereinhalb Jahren Augsburg waren seine Stationen. Er bestritt insgesamt 268 Spiele, davon 139 in der 1. Bundesliga, und erzielte 44 Tore. Nichts war dabei, was auch nur annähernd als Metropole durchginge wie São Paulo, wo er herkommt, dieser Moloch mit 20 Millionen Einwohnern. Es war nichts, was in der Schweiz sportlich für Aufsehen sorgte, weder VfL, MSV, FCI oder FCA.
Eigentlich sollte er nicht bei GC landen. Er wollte von Augsburg zurück nach Brasilien, zurück in die Nähe seines Buben, der inzwischen fünf ist und bei seiner Mutter lebt. Aber das klappte nicht. Und weil ihm die Verantwortlichen von GC ihre Pläne schmackhaft machen konnten und er begeistert war von dem, was sie vorhaben, kam er eben nach Zürich. Er nahm sich vor: «Ich nehme die Herausforderung an.»
Diese Herausforderung hat es in sich. Die Probleme von GC sind seit Jahren bestens dokumentiert, die steten Trainerwechsel und die fast endlose Umbesetzung des Kaders, die wirtschaftlichen und damit verbundenen sportlichen Nöte. Für Caiuby jedoch ist es kein Abstieg in seiner Laufbahn, hier gelandet zu sein. «Es ist eine grosse Umstellung», sagt er selbst nur.
Das krause Haar steht von seinem Kopf ab. Das schwarze Leibchen verdeckt das grosse Tattoo, das seinen Rücken ziert und allein schon für Aufsehen gesorgt hat. Die weissen Zähne sind unübersehbar, weil er oft lacht. «Wenn alle so wären, würde Chaos ausbrechen», zitierte die Onlineausgabe des TV-Senders Sport1 dagegen einmal einen Berater von Caiuby. Der Berater ist namenlos, Caiuby ist dankbar geworden für Schlagzeilen.
«Skandalprofi», sagt Caiuby selbst, «das ist doch übertrieben.» Es macht ihn nicht glücklich, wenn er das liest, und das kann er in Deutschland eigentlich seit Monaten tun. Er habe doch auch Familie, die das alles lese, sagt er. Darum ist er nicht glücklich.
Caiuby war bis zum vergangenen Frühling immer unauffällig. Dann begannen sich die negativen Nachrichten über ihn zu häufen. Letzten Mai soll er jemandem einen Kopfstoss verpasst haben, morgens um fünf in der Disco. Im folgenden Sommer kam er so spät aus den Ferien aus Brasilien zurück, dass er das komplette Trainingslager mit Augsburg verpasste. Er wurde so sehr gebüsst, dass der Augsburger Manager Stefan Reuter sagte: «Das war der teuerste Urlaub seines Lebens.»
Caiuby fuhr dann und wann ohne Billett mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, einmal, nach einem Besuch des Oktoberfests in München, schlief er im Zug ein. Er feierte daheim offenbar so lange gern Partys, bis er aus seiner Wohnung vertrieben wurde. Die Winterferien dehnte er so lange aus, bis er 22 Tage zu spät nach Augsburg zurückkehrte. Was ihn aber nicht daran hinderte, gleich wieder in die Disco zu gehen. Das war dann der Fauxpas zu viel, der schliesslich zur Trennung zwischen Augsburg und Caiuby führte. Und der dessen leihweisen Wechsel nach Zürich erst möglich machte.
All diese Vorfälle sind nicht das, worüber Caiuby gern und ausführlich redet. Seine grundsätzliche Sprachregelung heisst: «Ich habe meine Gründe gehabt. Was in Augsburg war, hat nichts mit hier zu tun. Darum will ich nicht gross darüber reden.»
Bei Caiuby wurde selbst schon zur Schlagzeile, als er sich Mitte Dezember vier Tage vor einem Bundesligaspiel ein Löwen-Tattoo auf dem Rücken stechen liess. Er ist sehr zufrieden mit dem Werk. «Aber das ist doch kein Fehler», sagt er, «ich habe im Spiel nachher meine Leistung gebracht.»
Es ist nun nicht so, dass er sich in jedem Fall frei von Schuld spricht. Einige Fehler hat er auch aus seiner Sicht gemacht. Und er hat dafür bezahlt und ist hingestanden. Zum Beispiel dafür, dass er wiederholt ohne Billett die öffentlichen Verkehrsmittel benutzte. «22000 Euro», sagt er, so viel waren es. Der Betrag ist enorm. Der 30-Jährige sagt: «Das ist alles ein wenig schiefgelaufen. Für dieses Geld sollten sie in Augsburg eine Caiuby-Linie machen.» Sagt es und lacht.
Der Spitzname von Magath
Caiuby ist eines von drei Kindern eines städtischen Angestellten aus dem Grossraum São Paulo. Mit sechs begann er in einem Club Fussball zu spielen. Er hatte aber noch andere Sportarten im Kopf, Handball, Volleyball, Karate, und als er 16 war und bei Ferroviara aus Araraquara, überlegte er sich auch, ganz mit dem Fussball aufzuhören und Sport zu studieren. Er blieb beim Fussball, weil ihn ein Trainer dazu überreden konnte.
20 war er, als er seinen Kulturschock erlebte und 2008 nach Wolfsburg zu Felix Magath kam, dem Freund der Disziplin und des Medizinballs. Wenn Caiuby an ihn zurückdenkt und an die Trainingslager mit ihm, schüttelt er den Kopf: «Ich habe nie mehr so etwas erlebt.» Magath taufte ihn Kai-Uwe, und dieser Name ist Caiuby geblieben. Der Kai-Uwe aus São Paulo ist in Deutschland der Spieler geworden, der überall auf Wohlwollen stiess.
Bis er eben im vergangenen Sommer private Probleme zu klären hatte und in Augsburg leicht verspätet zur Arbeit erschien, weil die Mutter des gemeinsamen Buben offenbar etwas dagegen hat, dass der Kleine mehr Zeit mit seinem Vater verbringt. Das würde noch lange keinen Kopfstoss in einer Disco rechtfertigen. Doch Caiuby betont: «Es war etwas, ja. Aber das war nicht ich.» Das Verfahren gegen ihn ist in Augsburg weiterhin hängig. Er hofft, im Mai sei das endlich geklärt.
Nun also ist er einmal bis zum Ende der Saison in Zürich. Letzten Sonntag beim Debüt in Thun rannte er viel länger als erwartet. 90 Minuten waren es letzten Endes, weil er spürte, dass ihn das Team brauchte. Vielleicht sagt er auch deshalb: «Ich bin kein schlechter Mensch.»
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