Ferdinand von Schirach startet InitiativeStarautor fordert neue Grundrechte für Europa
Der Jurist und Schriftsteller greift die Datenkraken, Ausbeuter, Umweltsünder und die Profilügner unter den Politikern an – mit einer neuen Erklärung unantastbarer Rechte.

Wer, wenn nicht er? Ferdinand von Schirach, 56, Strafverteidiger, Starautor mit 10 Millionen verkauften Büchern und Theaterbeleber, Enkel des Nazi-Kriegsverbrechers Baldur von Schirach, aber über den Urgrossvater der Urgrossmutter auch mit einem Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verwandt – dieser medienscheue Künstler ruft nun zu einer neuen Menschenrechtscharta auf.
Ferdinand von Schirach ist ein Mann, der sein Erbe nie vergisst. Sich selbst und uns hat er seit 2009 in aufsehenerregenden Bühnenstücken, klugen Essays und klarer Prosa mit schwierigen moralischen Fragen konfrontiert; seinen Werken gibt er Titel wie «Schuld», «Verbrechen», «Strafe», «Gott» oder «Die Würde ist antastbar». Jetzt geht er, um ebender Würde willen – die er, wie er sagt, mit jedem Buch verteidigen will –, noch einen Schritt weiter: hinein ins Politische.
Am 13. April erscheint sein bereits weithin gefeierter, rund 30-seitiger Band «Jeder Mensch». Signierte sein amerikanischer Urahn, dass «alle Menschen gleich erschaffen» seien und mit «unveräusserlichen Rechten versehen», so will von Schirach diese Rechte in der Grundrechtecharta der EU konkreter fassen; besser schützen.
Der Schriftsteller stellt sich in der Krise an die Speerspitze eines gesellschaftlichen, gesamteuropäischen Wandels.
«Die Mütter und Väter des Grundgesetzes beispielsweise wussten nichts vom Internet», erläutert von Schirach in einem Interview. «Sie kannten keine sozialen Medien, konnten sich keine Algorithmen vorstellen. Sie dachten nicht an den Klimawandel oder daran, dass Präsidenten so dauerhaft lügen.» Es sei daher höchste Zeit, die Charta zu modernisieren.
Sechs Artikel stellt von Schirach dafür zur Debatte:
«Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.»
Von Schirach fordert die «digitale Selbstbestimmung» ein und das Verbot von «Ausforschung und Manipulation».
Er rückt die künstliche Intelligenz unters Brennglas.
Von Amtsträgern verlangt er nichts weniger als «die Wahrheit».
Unter der Überschrift «Globalisierung» skizziert er ein umfassendes Lieferkettengesetz: Jeder habe ein Recht darauf, «dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte erbracht werden».
Die Krönung: Bei systematischen Verletzungen dieser Charta könne jeder Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.

Und ja: Der Jurist weiss, welche Einwände auf ihn einprasseln werden. Dass man ihm Weltfremdheit vorwerfen wird. Darum verweist er in der Einleitung auf den Gestus der alten Menschenrechtserklärungen: Vieles war damals nicht erfüllt; dennoch meisselte man die Rechte in die nationale Definition.
«Stellen Sie sich deshalb vor, es gäbe sechs neue Grundrechte. Die einfach sind, naiv und Ihnen utopisch erscheinen mögen. Aber genau darin könnte ihre Kraft liegen», hofft von Schirach. Und eine Menge Prominenz mit ihm. So der Münchner Juraprofessor Jens Kersten, der auch im Hörbuch spricht; auch die ehemalige österreichische Bundeskanzlerin und Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein und die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katarina Barley.
Aus der Kultur hat das Projekt den Support etwa von Benjamin von Stuckrad-Barre und Jan Böhmermann. Und ab dem 13. April werden, so die Idee, zahlreiche Bürgerinnen und Bürger der EU auf der Website Jeder-mensch.eu die Petition unterschreiben. Der zurückgezogene Schriftsteller stellt sich in der Krise an die Speerspitze eines gesellschaftlichen, gesamteuropäischen Wandels.
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