Er
Mit Matias Delgado verliert der FC Basel so viel mehr als einfach nur einen Spielmacher und Captain.

Es war sein Tor. Er wollte es schiessen und – wer weiss? – vielleicht musste er es auch. Da war der Antritt, zehn Meter, fünfzehn, zwanzig. Er sah die Lücke in der gegnerischen Abwehr, dann übernahm der Instinkt. Dass er beim Schuss noch am Fuss getroffen wurde und anschliessend auf die Seite fiel, das hat er bei all der Freude vermutlich gar nicht gespürt. Und selbst wenn: Was bedeutet schon ein bisschen Schmerz im Vergleich zu all den Emotionen?
Dieses 1:0 im Cupfinal gegen den FC Sion vor wenigen Wochen, es war sein Tor. Und es war der letzte Höhepunkt in seiner Karriere; er wusste es damals nur noch nicht. Vielleicht hat er es gespürt, tief in sich drin. Dass es kaum noch mal so schön werden würde wie in diesem einen Moment.
Was hat er nicht alles erlebt in den Jahren beim FC Basel? Was hat er die Zuschauer nicht alles erleben lassen? Was hinterlässt er jetzt, wo plötzlich alles vorbei sein soll, für eine Lücke? Und welche Lücke hinterlässt es bei ihm, da die Karriere beendet ist?
Glück in Basel
Als er zum ersten Mal nach Basel wechselte, 2003, war nicht nur der Club noch ein anderer, sondern auch er selbst. Für ihn war alles neu, das Land, das Essen, die Sprache, der Umgang, die Distanz. Alles. Nicht nur einmal hat er daran gedacht, sich einfach wieder ins Flugzeug zu setzen und zurückzukehren in seine Heimat. Das Abenteuer schien für einen schüchternen, 21-Jährigen zu gross. Wären da nicht Christian Gimenez, Julio Hernan Rossi und die Frau, die er später heiraten würde, gewesen; heute wäre alles anders.
Doch sie konnten ihm zeigen, dass er in Basel auch glücklich sein kann, wenn er nicht auf dem Rasen steht, wenn er nicht den Ball am Fuss hat.
Denn einfach nur Fussball spielen, das ging bei ihm nicht, er brauchte auch das private Glück. Fussball war nicht nur ein Job für ihn, sondern immer ein bisschen mehr, so hat man zumindest das Gefühl gehabt. Und das haben dann auch die Menschen beim FC Basel relativ schnell begriffen.
Eine Saison hat es gedauert, das Ankommen. Mit Trainer Christian Gross war er aneinandergeraten, einmal so arg, dass er dachte: «Das war es jetzt.» Aber das war es nicht, weil nicht nur der Trainer längst gesehen hatte, was für ein Juwel er da formen kann, wenn er ihn nur an den europäischen Fussball und seine Ideen würde gewöhnen können. Zumindest ein bisschen.
Als er das Vertrauen spürte, als er spürte, dass Gross ihm helfen wollte, blühte er auf.
Haare im Wind
Er schoss Tore, er bereitete Tore vor, aber viel beeindruckender war das, was er sonst noch tat und was neben ihm kaum ein anderer Spieler in der Schweizer Liga tun konnte. Er machte ein Metier, in dem es auch damals schon um Punkte, Tore und Zahlen ging, zu einem Erlebnis. Auch wenn er nicht der Einzige war, der Besonderes machte, so wirkte es bei ihm doch immer ein bisschen besonderer.
Seine Haare wehten im Wind und meistens reichte ihm schon ein kleiner Augenblick, um mit einer Aktion die ganze Balance des Spiels auf den Kopf zu stellen. Die Zuschauer kamen wegen den Toren von Rossi und Gimenez ins Stadion. Und wegen seinen Ideen, diesen kurzen Momenten. Schon damals haben ihn die Fans verehrt, was ihm gar nicht so recht war. Er hat nie verstanden, was er mit den Menschen gemacht hat. Weil er doch einfach nur Fussball spielte und das machte, was ihm Freude bereitet.
Aber er hat halt diese Gabe, das hat er dann auch in Istanbul gemerkt. Noch heute singen die türkischen Fans hin und wieder ein Lied, in dem auch sein Name vorkommt. Neben all den Legenden des Vereins mit seiner heissblütigen Anhängerschaft steht sein Name. Er hat zwar 109 Spiele für Besiktas bestritten, aber die ganz grossen Erfolge waren nicht dabei. Doch die Menschen hat er auch dort fasziniert.
Spiele in der Wüste
Eine Idee oder ein Pass aus dem Fussgelenk lässt den Zuschauern in jedem Stadion der Welt den Atem stocken. Egal in welchem Land, egal auf welchem Kontinent. Dann gibt es dieses Geräusch, wenn mehrere Tausend Fans für einen Moment still werden, weil alle gemeinsam einatmen. Ein Geräusch der Bewunderung, für das er immer auch gespielt hat. Aber nicht nur.
Der Wechsel in die Wüste war keiner, bei dem er sportlich argumentieren konnte. Er hat gemerkt, dass nach Besiktas nicht der nächste Schritt nach oben folgen würde. Es war eine finanzielle Entscheidung, eine andere Erklärung hätte ihm ohnehin keiner abgenommen. Es war der Moment, in dem er den sportlichen Aspekt hintenanstellte. Nicht mehr gegen die Besten spielen, dafür alle Freiheiten neben dem Platz geniessen – und natürlich auch auf dem Konto.
Bilder oder Videos aus seiner Zeit in Abu Dhabi gibt es keine. Es gibt ein paar vage Erzählungen von ihm und denjenigen, die ihn damals zurück nach Basel gelotst haben. Aber ihn dort spielen sehen, das haben nur die wenigsten. Doch allein die Vorstellung: Wie er vor ein paar hundert Zuschauern durch die Hitze trottet, das Spiel aber mit einem Pass beschleunigt; vielleicht will man sich das aber auch nur so vorstellen. Weil es ja schliesslich um ihn geht.
Brillanten im Ohr
Er selber hätte nicht gedacht, dass er in seiner Karriere noch mal gegen die Besten spielen würde. Champions League. Europa League. Aber der Gedanke gefiel ihm offenbar so sehr, dass er sein eigenes Denkmal aufs Spiel setzte. Er hätte sich bei seiner Rückkehr nach Basel ja alles zerstören können, wenn er im Vergleich mit seinem früheren Ich den Kürzeren zieht. Und – so ehrlich muss man dann schon sein – diese Befürchtung musste man einige Male haben. Besonders am Anfang, als es wirkte, als habe er das meiste seiner Magie in der Wüste gelassen.
War er wirklich noch der Gleiche? Die Haare waren kürzer, in den Ohren steckten Brillanten, die Hosen waren an den Knien zerrissen, und an den Feiertagen stellte er seinen röhrenden Sportwagen direkt vors Stadion. Schon das Äussere verriet, dass er sich geändert hatte. Doch er hat die Diskussionen um seine Qualität verstummen lassen. Auch wenn es nicht immer einfach war unter Murat Yakin oder Paulo Sousa und auch nicht unter Urs Fischer. Es hat ihn geschmerzt, dass er der Letzte seiner Art war.
Er wusste, dass die Vergangenheit nicht zurückkommt. Dass die Wundermittel der Moderne Gegenpressing und Umschaltspiel heissen. Und trotzdem hat er seine Kunst mit in eine andere Epoche hinübergerettet. Bis zuletzt. Bis er gespürt hat, dass es trotz dem neuen Vertrag und trotz der Liebe zum FC Basel nicht mehr geht.
Es war sein Tor. Das 1:0 im Cupfinal gegen den FC Sion. Es war der letzte Höhepunkt in seiner Karriere; Matias Emilio Delgado wusste es damals nur noch nicht.
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