Elender Teufelskreis
Der dramatische Zerfall der Währungen in Schwellenländern wie Argentinien oder der Türkei zeigt Parallelen zu früheren Krisen. Und was haben wir daraus gelernt? Das Absturzszenario in fünf Punkten.
1. Das Giftgemisch
Unter bestimmten Bedingungen, wie sie besonders in Argentinien und der Türkei aktuell gegeben sind und wie sie sich auch während der Asienkrise Ende der 1990er-Jahre gezeigt haben, können Währungskrisen rasch aus dem Ruder laufen. Die Giftmischung dazu enthält die folgenden sechs Zutaten: erstens hohe Leistungsbilanzdefizite, was im Kern bedeutet, dass das Land mehr aus dem Ausland bezieht, als es ins Ausland exportiert. Zweitens müssen die Importe in einer fremden Währung – meist in US-Dollar – bezahlt werden, womit auch die Verschuldung auf eine fremde Währung lautet. Drittens finanziert das Land seine Defizite durch kurzfristige Kredite aus dem Ausland. Viertens sind die Währungsreserven der Notenbank des Landes knapp. Fünftens ist die Teuerung hoch und sechstens kommt oft noch eine instabile politische und wirtschaftliche Lage dazu. Die Ausprägung der einzelnen Faktoren ist bei den betroffenen Ländern nicht immer die gleiche.
2. Der sogenannte Sudden Stop
Ein verhältnismässig geringer Auslöser kann das Giftgemisch zur Explosion bringen – ganz so, wie es sich in den letzten Tagen wieder gezeigt hat. Kommen Zweifel an der Zahlungsfähigkeit eines Landes mit den oben geschilderten Charakteristiken auf, werden internationale Investoren risikoscheu oder sie erwarten andernorts höhere Renditen. Weil in den USA wegen einer weniger expansiven Geldpolitik künftig höhere Zinsen erwartet werden, wird das aktuell als wichtigster Auslöser bezeichnet. Ein anderer waren Sorgen um das chinesische Wachstum, die Zweifel an den Schwellenländern generell geweckt haben. Die Investoren ziehen dann Geld aus diesen Ländern rasch ab und verkaufen die Währung, beziehungsweise sie erneuern die kurzfristig gewährten Kredite nicht mehr, was auf dasselbe hinausläuft. Der Ökonom Guillermo Calvo hat für diesen plötzlichen Abbruch der Finanzierung den Begriff des Sudden Stop geprägt. Die Währung verliert dadurch weiter an Wert. Weil sich in der Folge die Importe verteuern, steigt die bereits hohe Inflation weiter an. Ebenfalls nimmt dadurch die Aussenverschuldung gemessen in der Heimwährung zu. Angesichts der Kurzfristigkeit der Verschuldung wird zweifelhaft, dass diese rechtzeitig bedient werden kann. Das verschärft die Kapitalabflüsse weiter. Sie werden auch durch die Inländer befeuert, die sich angesichts der abstürzenden Heimwährung in eine stabile Währung retten wollen.
3. Einladung an die Spekulanten
Die Notenbank eines betroffenen Landes kann mit Stützungskäufen der eigenen Währung versuchen, deren Zerfall aufzuhalten. Aber dazu muss sie Devisenreserven verkaufen. Doch wenn diese knapp sind, funktioniert das nicht lange. Deshalb lädt das Währungsspekulanten ein, auf eine Abwertung zu wetten. So lange die Notenbank die Heimwährung noch stützt, verkaufen die Spekulanten gegen Dollar die gefährdete Währung, was den Druck auf diese weiter erhöht. Wenn die betroffene Notenbank die Stützungskäufe bei zu knappen Reserven aufgeben muss und die Währung abstürzt, kaufen die Spekulanten die nun schwächere Währung für weniger Dollar zurück. Die Differenz ist ihr Gewinn. Dass die argentinische Notenbank ihre Stützungskäufe reduziert hat, liegt vor allem an den schrumpfenden Währungsreserven. Es ist der Versuch, den Wertverlust der Währung noch in geordnete Bahnen zu lenken, bevor sie in einen freien Fall übergeht.
4. Wenig glaubwürdige Gegenmassnahmen
Einem betroffenen Land bleiben nur noch zwei Möglichkeiten: Es kann die Zinsen erhöhen oder den Kapitalverkehr einschränken. Leider sind beide Massnahmen bei fortgeschrittener Krise wenig erfolgsversprechend: Höhere Zinsen haben zum Zweck, Anlagen in der eigenen Währung wieder attraktiver zu machen, was sie stützen würde. Doch wenn das Vertrauen einmal weg ist, kann die Massnahme als Verzweiflungstat gewertet werden – umso mehr, als die höheren Zinsen die Verschuldungslage verschlimmern und die Wirtschaft weiter abbremsen. Das ist im Fall von Brasilien im Zuge der Asienkrise geschehen. Die Folge ist dann ein weiterer Währungsabsturz. Kapitalverkehrskontrollen sind ebenfalls ein Zeichen für die Hoffnungslosigkeit. Sie sorgen deshalb ebenfalls dafür, dass die Bürger eines betroffenen Landes ihre Bemühungen noch verstärken, ihr Geld nach Möglichkeit ins Ausland abzusetzen. Weil das dem stärker international vernetzten und meist auch reicheren Teil der Bevölkerung besser gelingt, sorgt das ausserdem für soziale Unruhen und die politische Stabilität leidet. Auch das verschärft das Misstrauen in die Währung weiter.
5. Ansteckung
Die Logik eines solchen Währungsabsturzes und die damit drohenden Verluste für die einen und die Gewinnmöglichkeiten für andere (wie die Spekulanten) haben zur Folge, dass auch Länder in einen solchen Strudel geraten können, die zuvor noch nicht in einer Krise gesteckt haben. Alles was es braucht, sind Ähnlichkeiten mit den Ländern in der Krise, wie bei den im ersten Punkt genannten Faktoren: hohe Leistungsbilanzdefizite, eine hohe Inflation, relativ knappe Währungsreserven, eine kurzfristige Aussenverschuldung, eine schwache Wirtschaftslage. So kann sich eine Währungskrise rasch auf weitere Länder ausbreiten. So kam es, dass sich 1998 die Asienkrise von Südostasien nach Russland und am Ende auch nach Lateinamerika ausgewirkt hat. Auch jetzt sind nach Argentinien und der Türkei eine ganze Reihe weiterer Schwellenländer in Mitleidenschaft gezogen worden. Selbst Aktienmärkte können in Mitleidenschaft geraten. Ein Ansteckungskanal ist alleine die wachsende globale Risikowahrnehmung, die zu Rückzügen aus dieser Anlageklasse motiviert. Ein anderer sind mögliche Verluste von Grossinvestoren, sollten sie im Zuge der internationalen Währungsturbulenzen auf eine Entwicklung gesetzt haben, die nicht eintrat. Dann müssen sie als Folge davon Anlagen abstossen. Ein Beispiel dafür ist der Hedgefonds Long Term Capital Management, der in der Folge der Asienkrise vom Staatsbankrott Russlands überrascht wurde, was ihm hohe Verluste verursacht und wegen seiner Vernetzung zeitweise die Gefahr einer Finanzkrise heraufbeschworen hat.
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