Einsprachefrist verpasst
Landschaftsschützer opponieren nicht gegen den geplanten Windpark Grenchenberg. Stecken sie im Dilemma?

Die Schweiz ist weltberühmt für ihre Landschaften. Vor allem die weitgehend unverbauten Alpen- und Juraregionen gelten als Naturspektakel. Doch das Landschaftsbild ist durch die Errichtung von Windparks bedroht, die bis 200 Meter hoch sind. Im Rahmen der Energiestrategie 2050 sollen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mehrere Hundert, wenn nicht sogar 1000 Anlagen errichtet werden.
Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) gehört zu den wichtigen Playern in Sachen Erhaltung der Natur. Sie wäre also in erster Linie gefordert, sich gegen die drohende Verschandelung zu wehren. In der Tat zählen für die SL Windkraftanlagen an besonders exponierten Stellen lautet eigenem Bekenntnis zu den «No-Gos»: Die Stiftung lehne Windpärke «auf Kreten (insbesondere erste Jura- oder Alpenkette) und in kleinräumigen, wenig veränderten Landschaften» ab, hielt sie etwa in ihrem Jahresbericht 2017 fest.
160 Meter hohe Anlagen
Der geplante Windpark auf dem Grenchenberg im Kanton Solothurn erfüllt alle Kriterien, die den Widerstand der Landschaftsschützer hervorrufen müsste. Vorgesehen sind sechs mächtige Anlagen, die inklusive Rotoren über 160 Meter hoch in den Himmel ragen. So grosse Turbinen stehen in der Schweiz bis jetzt noch nirgends. Der Grenchenberg gehört zudem zur ersten, also vom Mittelland aus vordersten Jurakette. Die Türme wären darum bis zu 100 Kilometer weit sichtbar.
Das Projekt auf dem Grenchenberg ist zudem dasjenige unter den grossen Windparks der Schweiz, dessen Planung am weitesten fortgeschritten ist. Die Bezeichnung «Leuchtturm-Projekt» ist durchaus zutreffend, auch wenn Windräder nicht leuchten, sondern Strom erzeugen. Wird der Park Grenchenberg gebaut, so dürften in der Schweiz wohl bald auch weitere Projekte mit ähnlicher Beeinträchtigung der Landschaft realisiert werden können.
Für die Stiftung Landschaftsschutz müsste die Bekämpfung des Windparks Grenchenberg oberste Priorität haben – sollte man meinen. Doch im Planungsverfahren zum Projekt, das derzeit läuft, kann die SL nicht mitreden. Denn von ihrer Seite ist keine Einsprache eingegangen. Eine solche hat seitens der Umweltschützer nur die Vogelschutzorganisation BirdLife erhoben.
«Unprofessionelle Anwälte»
Roman Hapka, stellvertretender Geschäftsführer von SL, bestätigt das Gerücht, das über das Abseitsstehen der Landschaftsschützer kursiert: Die Stiftung hat die Frist verpasst, um im Rahmen des Planungsverfahrens Einsprache gegen den Windpark Grenchen zu machen. Als Grund macht Hapka «technische Probleme» bei der Überweisung des finanziellen Vorschusses geltend. «Auch Anwälte arbeiten manchmal unprofessionell», fügt er an. Gemeint sind die eigenen Anwälte. Laut Roman Hapka ist es aber «nicht gravierend», dass die SL die Frist verpasst hat: «Der Lead liegt sowieso bei BirdLife.»
Es ist aber zu bezweifeln, dass das Fehlen der SL unter den Einsprechern kaum Bedeutung hat. Denn BirdLife ist auf Vogelschutz spezialisiert, nicht auf Landschaftsschutz. Zudem sind Einsprachen im Rahmen des Verbandsbeschwerderechts nicht nur juristisch von Bedeutung, sondern haben auch Signalwirkung: Sie zeigen der Öffentlichkeit, dass es um die Verteidigung wichtiger Naturschutz-Anliegen geht.
Einsprache erhoben hat die Stiftung Landschaftsschutz dagegen im Rahmen des Baugesuchs-Verfahrens zum Windpark Grenchenberg – nebst Organisationen wie Pro Natura und Helvetia Nostra. Doch laut Roman Hapka will die SL diese Einsprache demnächst zurückziehen. Sie betreffe eine vorgesehene Waldrodung. Es sei aber «aussichtslos», dass diese Einsprache gutgeheissen werde.
Mit angezogener Handbremse
Selbst wenn dieser Rückzug sachlich gerechtfertigt sein sollte: Man bekommt den Eindruck nicht los, dass die SL beim Widerstand gegen Windparks sehr zögerlich vorgeht. Vermutlich sieht sich die Stiftung im Dilemma, dass sie zwar die Landschaft schützen will, sich aber dennoch nicht gegen das Energiegesetz gewehrt hat, das letztes Jahr vom Volk angenommen wurde.
Mit diesem Gesetz können Energieanlagen wie Windparks und Wasserkraftwerke neu «nationale Bedeutung» erlangen und damit unter Umständen auch in geschützten Landschaften errichtet werden. Zwar kritisierte Raimund Rodewald, Geschäftsführer der SL, den entsprechenden Gesetzes-Artikel vor der Abstimmung. «Man setzt hier unnötig und mutwillig die schönsten Landschaften der Schweiz aufs Spiel», sagte er in der Sendung «10vor10» des Schweizer Fernsehens. An anderer Stelle bezeichnete er den Artikel als «dumm und unnötig».
Dennoch wehrte sich die SL nicht gegen die Vorlage als Ganzes. Als sich vor der Abstimmung ein «Umwelt-Komitee» gegen das Energiegesetz formierte, stand die Stiftung Landschaftsschutz abseits. Dem Komitee gehörte nur Rodewalds Vorgänger Hans Weiss an – als Privatperson. Rodewald selber plädierte für ein Ja zum Energiegesetz. Jetzt, nach der Annahme des Gesetzes, scheint die SL beim Widerstand gegen Windparks mit angezogener Handbremse unterwegs zu sein.
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