«Eine feurige Stimme gegen Desillusionierung»
Im New Yorker Rathaus weht bald frischer Wind. Nach zwölf Jahren Michael Bloomberg will Bill de Blasio die Politik in der Metropole in eine andere Richtung lenken. Einfach wird dies laut US-Medien nicht.
Nach zwei Jahrzehnten hat der Demokrat Bill de Blasio das New Yorker Rathaus für seine Partei zurückerobert. Der 52-Jährige ist zum neuen Bürgermeister der US-Metropole gewählt worden. Der Nachwahlbefragung und ersten Hochrechnungen zufolge stimmten fast drei Viertel der New Yorker für de Blasio – nur etwa 24 Prozent für seinen republikanischen Konkurrenten Joe Lhota.
Damit kam alles wie erwartet. Und die grösste Zeitung New Yorks feiert den neuen Mayor. «Der Erdrutschsieg widerspiegelt seinen Wandel von einem unbekannten Arbeiter in einem dunklen Büro zur feurigen Stimme gegen die Desillusionierung in New York», schreibt die «New York Times».
«Grazie a tutti»
In einer 18 Minuten langen Ansprache bedankte sich der frisch gekürte Bürgermeister bei seinen Anhängern in Brooklyn. «New York hat laut und deutlich für den Wandel gestimmt. Aber jetzt fängt die Arbeit erst an», sagte er vor der jubelnden Masse. Noch mehr Applaus bekam er, als er dasselbe in Spanisch wiederholte. Mit einigen Wortsplittern Italienisch erinnerte er schliesslich an seine Herkunft aus einer Migrantenfamilie. «Grazie a tutti», schrie er in die Menge.
Die Vielfalt, die der Lebensentwurf des Demokraten verkörpert, kommt bei den New Yorkern gut an. Der Politiker mit deutsch-italienischen Wurzeln ist mit einer afroamerikanischen Schriftstellerin verheiratet, die sich vor der Ehe dereinst öffentlich als Lesbe zu erkennen gab. Noch im Juli lag de Blasio in Umfragen deutlich zurück. Dann setzte er auf seine ethnisch gemischte Familie mit seiner Frau Chirlane McCray und den beiden gemeinsamen Kindern, der 18-jährigen Chiara und dem 16-jährigen Dante.
Vor allem Dante entwickelte sich zu einem Star der Wahlkampagne. «Bill de Blasio wird ein Bürgermeister für alle New Yorker sein, egal, wo sie wohnen oder wie sie aussehen», sagte der dunkelhäutige Teenager mit Afro-Haarpracht in einem Wahlspot. «Und ich würde das sogar sagen, wenn er nicht mein Vater wäre.» (Siehe Box)
Diese Botschaft verfing in einer Stadt, in der drei der mehr als acht Millionen Einwohner im Ausland geboren sind und geschätzte 200 Sprachen gesprochen werden. Im Schmelztiegel New York sind 33 Prozent der Menschen weiss und gut 25 Prozent schwarz. Knapp 29 Prozent der Bevölkerung haben lateinamerikanische Wurzeln, fast 13 Prozent stammen aus Asien. Der Wahlspot mit Dante sorgte dafür, dass der 1,95-Meter-Hüne de Blasio nicht mehr als ein weiterer weisser Politiker wahrgenommen wurde.
Herr über ein 70-Milliarden-Dollar-Budget
Politisch ist er das Gegenstück des scheidenden Amtsinhabers und Milliardärs Michael Bloomberg: De Blasio hat sich dem Kampf gegen die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich in der Metropole verschrieben. Er will die Steuern für New Yorker erhöhen, die mehr als 500'000 Dollar im Jahr verdienen. Mit den Einnahmen will er unter anderem die Nachmittagsbetreuung an Schulen ausbauen, eine umfassende Versorgung mit Kindergartenplätzen finanzieren und neue Sozialwohnungen schaffen.
De Blasio wird sein neues Amt am 1. Januar 2014 antreten. Damit stellt die Demokratische Partei erstmals seit 1989 wieder den Bürgermeister der linksliberal geprägten Ostküstenmetropole. Dem Neuling im Rathaus steht eine Reihe von unmittelbaren Herausforderungen bevor. Er übernimmt die Verantwortung für eine Stadtregierung mit rund 300'000 Mitarbeitern, einem 70-Milliarden-Dollar-Budget und stark gespaltenen Interessen.
Unmittelbare Herausforderungen
Vor allem das Polizeidepartement, das zurzeit wegen grundloser Kontrollen in New York kritisiert wird, wird de Blasio einige Stunden in Beschlag nehmen. Bereits vor seiner Wahl verurteilte er das sogenannte Stop-and-Frisk (Anhalten und Filzen) scharf, das oftmals jüngere Schwarze und Hispanics trifft.
«Ihn erwarten grosse Herausforderungen», sagt Hank Sheinkopf, ein demokratischer Stratege aus New York gegenüber der «Washington Post». «Wie schafft es ein Bürgermeister, die grosse Einkommensschere zu überwinden? Die Umstände dafür sind denkbar schwierig. Weder der Präsident noch die Gouverneure waren bisher in der Lage dazu.»
Ein Machtgerangel
Zum Problem könnte zudem die Zusammenarbeit de Blasios mit dem New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo werden. Die «New York Post» beschreibt den drohenden Konkurrenzkampf in einem Artikel mit dem Titel «Der bevorstehende Cuomo-de-Blasio-Krieg».
Zum Streitpunkt zwischen den beiden könnte demnach das Thema Steuern werden. Es gab nur wenige, die sich vehementer gegen Steuererhöhungen für Millionäre aussprachen als Cuomo. Geschweige den von der Einführung neuer Steuerabgaben. In Anbetracht dieser Ausgangslage könnte ein Gerangel um die Dominanz im Froschteich New York entstehen. Wie er ausgeht wird sich zeigen. Doch de Blasio verfüge über eine gewichtige Waffe: Seinen guten Umgang mit Menschen. An dieser Fähigkeit mangelt es Cuomo, wie die Zeitung schreibt, kräftig.
De Blasio hatte seine Karriere Anfang der 1990er-Jahre in der New Yorker Stadtverwaltung begonnen. Ab 1997 setzte er sich als Regionaldirektor des US-Bauministeriums für bezahlbaren Wohnraum in den Bundesstaaten New York und New Jersey ein. Anschliessend sorgte de Blasio als Wahlkampfmanager von Hillary Clinton dafür, dass die frühere First Lady im Jahr 2000 in den US-Senat einzog. Von 2002 an sass er dann acht Jahre im Stadtrat und wurde Ende 2009 zum Bürgerbeauftragten von New York gewählt.
Angereichert mit Material der Nachrichtenagentur AFP.
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