Ein Weiler setzt sich zur Wehr
Die 90 Bewohnerinnen und Bewohner von Schmidrüti wollen mit allen Mitteln verhindern, dass der Bund in ihrem «kleinen Paradies» ein Asylzentrum einrichtet.
Von Daniel Schneebeli Turbenthal – Es gibt kaum eine abgelegenere Ecke im Kanton Zürich als Schmidrüti. Zwischen Saland und Wila zweigt die Strasse ab in die Tösstaler Hügel. Die Bise peitscht Schnee über die Felder, die Fahrbahn ist schmal und steigt langsam an, verzweigt sich und wird in engen Kehren immer steiler. Zehn Minuten und fünf Kilometer später ist die Anhöhe erreicht. Schmidrüti liegt auf 811 Metern – lieblich am Hang, ein paar Häuser, ein kleines Schulhaus und das stattliche Gasthaus Freihof. Überragt wird die Siedlung von einem Hügel. Aber der Chapf ist für die Schmid-rütener tabu: Er ist militärische Sperrzone, abgeschirmt mit Zaun und Stacheldraht. Während des Kalten Krieges bellten hier Schäferhunde, wenn man sich näherte; zwischen den Fichten ragten geheime Bloodhound-Lenkraketen in den Himmel – alle gegen Osten gerichtet. 1998 wurden sie demontiert, doch der Chapf blieb gesperrt, manchmal kamen Soldaten und dann, 1999, die Kosovo-Albaner. Gemüse und Wäsche gestohlen In jenem Sommer war es plötzlich vorbei mit der Idylle. Jakob Furrer, schon damals Wirt im Freihof, erinnert sich, wie die Fremden herumstreunten, wie sie stundenlang am Strassenrand sassen und in seine Gaststube schauten. «Wir fühlten uns ständig belästigt.» Die Asylbewerber hängten aber nicht nur herum. Sie bettelten, stahlen Gemüse aus den Gärten und Wäsche von der Leine. Oder sie nahmen sich ein Velo, um ins Tal hinunterzufahren. «Wir sind nicht generell gegen Asylbewerber», sagt Furrer, «aber so geht es nicht.» Und nun sollen die «Asylanten» wieder kommen. Als die Pläne des Bundes für ein Asylzentrum am Montag bekannt wurden, war Schmidrüti augenblicklich wieder im Ausnahmezustand. Und als sich gestern Mittwoch die Journalisten im Freihof versammelten, füllte sich die Gaststube in Kürze. Furcht vor den Fremden «Beschönigen Sie bitte nichts», sagt der dreifache Vater Martin Lieberherr in die TeleZüri-Kamera. Den Sommer 1999 haben er und seine Frau Ursula in schlechter Erinnerung. Am Wochenende habe man im Haus bleiben müssen, weil der Garten besetzt gewesen sei. Und wenn Ursula Lieberherr daran denkt, dass nicht «nur» Albaner, sondern Afrikaner kommen, wird ihr angst und bang. «Man weiss ja, wie die ihre Frauen behandeln.» Die zweifache Mutter Yvonne Meier findet es eine Zumutung, was «die in Bern» planen: «Wir lassen uns unser kleines Paradies nicht kaputt machen», sagt sie kämpferisch. Sie will mit den Kindern im Garten spielen und ohne Angst auf den Bus gehen können. «Es wäre ein gewaltiger Einschnitt für uns, wenn man diese Pläne verwirklicht.» Erika Mohr wohnt im «Bundeshaus», wie das alte Abwartshaus der Militäranlage im Turbenthaler Weiler genannt wird. Sie macht sich Sorgen, dass die Fremden ihrem Hund etwas antun könnten, «weil Muslime Hunde als unrein ansehen». Mit allen Mitteln will auch Nicole Erne kämpfen. 100 Asylbewerber seien für ein 90-Seelen-Dorf zu viel. «Das gäbe eine Eins-zu-eins-Betreuung», meint sie lakonisch. Sie hat bereits Aufkleber bestellt: «Asylzentrum Schmidrüti, nein danke!» Und am Samstag will sie mit Gleichgesinnten in Wila und Turbenthal Unterschriften gegen das Asylzentrum sammeln. Dort sei noch Überzeugungsarbeit nötig. Am Radio hat sie einen Mann aus Turbenthal gehört, der kein Problem mit den Asylbewerbern hätte, weil sie «dort oben» niemanden störten. «Na dann prost», sagt Erne. Rekurs ist gewiss Zählen kann sie auf den Turbenthaler Gemeindepräsidenten Georg Brunner (FDP). Auch er sitzt mit besorgter Miene im Freihof und sagt den Schmidrütnern Unterstützung zu. Brunner betont, dass das Tösstal bereits zwei Durchgangszentren habe. Die Züge seien stets gut besetzt mit Asylsuchenden, was oft unangenehm sei, etwa für seine Tochter, die auf dem Schulweg von den Fremden angesprochen werde. Und wie soll es nun weitergehen? Brunner will erst hören, was der Bund genau plant, bevor er «auf die Barrikaden» steigt. Die Schmidrütner sind kompromissloser. «Wir rekurrieren garantiert», sagt Nicole Erne. «So geht es nicht»: Wirt Jakob Furrer, Gemeindepräsident Georg Brunner, Erika Mohr, Ursula und Martin Lieberherr (v. l.). Das Areal der ehemaligen Lenkwaffenbasis ist für die Anwohner tabu. Nun sollen Asylbewerber einziehen. Fotos: Reto Oeschger
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