Ein Tausendsassa lässt sich nicht unterkriegen
Eine Medienkampagne des «Blick» bescherte ihm die schwierigsten Jahre seines Lebens. Heute betreibt er ein Geschäft, in dem Überschüsse der Nahrungsmittelkette zum halben Preis abgegeben werden. Die Rede ist von Berto Dünki.

Wie ein Marktschreier steht Berto Dünki im Backwaren-Outlet an der Güterstrasse 120, schwenkt einen Laib und ruft: «Wer möchte das, ein kerniges Brot, noch frisch!» Eine Hand schiesst in die Höhe. Berto Dünki überreicht die Backware wie eine Kostbarkeit und nimmt eine Tüte Gipfeli zur Hand. Es ist Freitag, 19 Uhr. Um diese Zeit werden die Backwaren zum Nulltarif abgegeben.
«Ich kann locker Geld verdienen. Da möchte ich auch etwas zurückgeben», sagt Dünki. Normalerweise wird das Gebäck zum halben Preis verkauft. Der Hüne ist in seinem Element. Wie immer, wenn er wieder etwas aufgebaut hat. Und das hat er schon öfter.
Dünki ist ein Tausendsassa – und war doch im Jahr 2006 die meistgehasste Person der Schweiz, wie ein Journalist der NZZ schrieb. Das kam so: Der gelernte Therapeut für Rechenschwäche war schon in den 68er-Jahren engagiert, kämpfte gegen das Establishment, nahm später gemeinsam mit seiner damaligen Frau 13 Halb- und Sozialwaisen auf, gab ihnen eine Leitplanke.
Der «Blick» entschuldigt sich
Doch mit einem seiner Projekte hatte Dünki Pech: Dem Zürcher Sozialdepartement vermittelte er Jugendliche mit Problemen an verschiedene Gastfamilien und Institutionen, die bereit waren, Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen aufzunehmen. Die meisten Vermittlungen funktionierten bestens, eine Gastfamilie in einer spanischen Gemeinde namens Sant Llorenç de la Muga verursachte jedoch Probleme: Dort gab es einen Käfig aus Metall, in den der Verantwortliche einen Jugendlichen für kurze Zeit wegsperrte, nachdem er mit einem Messer auf seinen Kollegen hatte losgehen wollen.
Für diese Erziehungsmethode machte der «Blick» Berto Dünki verantwortlich. Foltercamp, Wildschweinkäfig, Fotos mit schwarzen Balken, Dünki ging durch die Hölle. Doch der heute 65-Jährige ist kein Mann, der sich als Opfer eignet. Er kämpfte, sechs Jahre lang. Und gewann. Der «Blick» musste ihm eine sechsstellige Summe als Entschädigung zahlen und sich entschuldigen. «Entschuldigung» stand am 6. Februar 2012 in grossen Lettern auf der Titelseite. Und weiter: Man anerkenne, dass Dünki, damals Inhaber des Unternehmens Time-out, durch die Berichterstattung über die Ereignisse in Spanien («Foltercamp», «Wildschweinkäfig») in seiner Persönlichkeit verletzt wurde. Der «Blick» bedaure dies und entschuldige sich dafür.
Der Projektentwickler
Jetzt steht der 1.90-Meter-Mann im Backwaren-Outlet, lächelt fein und sagt: «Ich finde, ich habe im Leben viel Glück gehabt. Doch das, was ich damals erlebt habe, würde ich niemandem wünschen.» Doch das bekräftigte ihn noch mehr in seinem Bestreben, sinnvolle Projekte aufzuziehen.
Seine Lebenspartnerin, Ursula Moser, hatte ebenfalls Lust, Neues zu bewegen – neben ihrem Job im Sozialbereich. Dünki, seines Zeichens Projektentwickler, schlug ihr immer wieder mal Ideen vor. Doch nichts zündete den Funken. Bis ein Vorschlag eine Saite in ihrer Seele zum Klingen brachte: «Wir verkaufen Brot, das im Überschuss produziert oder bis Ladenschluss in den Bäckereien nicht verkauft wurde», schlug Dünki vor. Vor ihrem geistigen Auge stiegen unverhofft Düfte und Erinnerungen der Kindheit auf: Ihre Grossmutter sei Bäckerin gewesen und die Backstube stets ein magischer Ort für die Kinder, so Moser.
So haben Berto Dünki und Ursula Moser diesen Laden aufgebaut, in dem fast das gesamte Sortiment eigentliche Überproduktionen sind, wie Moser sagt. Heute gibt es dort nicht mehr nur Brot zu haben, sondern auch andere Lebensmittel. Das Team sammelt sie bei Bäckereien und Detailhändlern ein. Es ist Ware, die sonst weggeworfen würde. Im Backwaren-Outlet werden sie zu symbolischen Preisen, meist um die Hälfte des üblichen Bäckerpreises, verkauft.
Ob die Produkte tasächlich noch geniessbar sind, prüft regelmässig ein Lebensmittelinspektor.«Wir bevorzugen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf dem Arbeitsmarkt keine idealen Bedingungen haben», sagt Ursula Moser.
Arbeitsplätze bieten sie mittlerweile einige an: Es braucht einen Chauffeur, Verkaufsmitarbeiter im Morgen- und Abenddienst und weiter auch mehrere Helfer, die wie Dünki und Moser ehrenamtlich arbeiten. Und das sind keineswegs gelangweilte Hausfrauen. «Wir haben ehrenamtliche Hilfskräfte, die mitten im Berufsleben stehen», sagt Moser. So kommt ein Jurist einmal pro Woche, eine Dentalhygienikerin, aber auch Menschen, die im Backwaren-Outlet Tagesstruktur und Teamzugehörigkeit durch eine sinnvolle Tätigkeit finden.
Vor vier Jahren hat der kleine Laden hinter dem Bahnhofeingang Gundeldingen eröffnet. Schon nach vierzig Tagen sei der Betrieb selbsttragend gewesen. Ohne Unterstützung des Staates.
Einfach verweilen
Das Backwaren-Outlet ist auch eine Zufluchtsstätte. Hier kann jemand ohne Konsumationszwang am kleinen Tischchen etwas verweilen oder den Klavierklängen lauschen, die jeweils am Mittwoch und Donnerstag zwischen 14 und 15.30 Uhr ertönen. Es sei wohl die einzige Organisation gegen Food-Waste weit und breit, die der menschlichen Nahrungskette nichts entziehe, sagt Dünki. Die Ware, die keine Käufer findet, wird abends zuerst an Arme und später an Passanten verteilt. Eine Erfolgsgeschichte, die weitere Kreise zieht.
An der Vogesenstrasse wird zurzeit ein Ableger aufgebaut. Doch an der Güterstrasse 120 hat es mittlerweile einen Dämpfer gegeben. Der Mietvertrag läuft im Frühling aus, die Eigentümerin will das Haus verkaufen. Daher verlängert sie das Mietverhältnis nicht. Jetzt ist man auf der Suche nach einer neuen Unterkunft. Doch Dünki und Moser sind beseelt von der Sache – aufgeben werden sie nicht. Und natürlich ist Berto Dünki schon bei der Organisation seines nächsten Projekts. Er ist dabei, eine Beratungsstelle für Whistleblower auf die Beine zu stellen.
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