«Ein sexueller Bezug allein ist nicht kritisch»
Monika Hirzel untersucht Konflikte wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Aktuell hat sie zu einem Fall beim Bund einen Bericht erstellt. Er kam weder bei Opfer noch Gericht gut an.

Am Wochenende wurde der Fall einer Bundesangestellten publik, die von ihrem Chef sexuell belästigt worden sein soll. Als sie sich wehrte, wurde sie entlassen. Ihre Firma hat den Fall untersucht: Was ist da schiefgelaufen?
Auf den konkreten Fall darf ich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht näher eingehen. Aber was Sie gerade geschildert haben, trifft so nicht zu. Wie man dem öffentlichen Urteil entnehmen kann, gab es verschiedene Gründe für die Kündigung – unter anderem haltlose Mobbingvorwürfe. Solche Medienberichte erwecken den Eindruck, man könne als Frau nur verlieren, wenn man sich wehrt. Das ist falsch. Man soll den Schutz des Arbeitgebers am Arbeitsplatz einfordern.
Jetzt konnte man aber lesen, welche Art Sprüche der Beschuldigte gemacht hat: Da war von Küssen auf die Wange die Rede, von der Anrede «Schätzeli» – das ist doch ein eindeutiger sexueller Bezug.
Ich gebe Ihnen grundsätzliche Beispiele. Bei verbalen Belästigungen braucht es einen konkreten sexuellen Bezug, entscheidend ist der Kontext. Sagt der Chef zur Mitarbeiterin «Kommst du?», kann sie das auch als sexuell konnotiert interpretieren. Deshalb muss man immer den konkreten Einzelfall anschauen.
«Schätzeli» ist also nicht gleich «Schätzeli»?
Ein fiktives Beispiel: Ein Teamleiter und eine ihm unterstellte Mitarbeiterin haben einen lockeren Umgangston und schreiben sich Zettel eindeutigen sexuellen Inhalts. Beide fühlen sich wohl, lachen dazu. In diesem Fall gibt es zwar einen sexuellen Bezug, aber keine sexuelle Belästigung, weil das Kriterium der Unerwünschtheit nicht gegeben ist. Findet aber eine andere Mitarbeiterin einen solchen Zettel und fühlt sich belästigt, ist die Unerwünschtheit gegeben.
«Ein Nein muss beim Gegenüber so ankommen, dass er es versteht.»
Das Gericht kritisierte auch Ihren Untersuchungsbericht.
Vermutlich hat das Gericht aufgrund der Akten entschieden und die Personen nicht einvernommen. Es stellte lediglich die Frage, ob es beim Verhalten des Vorgesetzten einen sexuellen Bezug gab, und stellte fest: Ja. Es hat dann sämtliche Vorwürfe von sexueller Belästigung in einen Topf geworfen und schrieb dazu, man frage sich schon, wie man darauf kommen könne, es gebe keinen sexuellen Bezug. Das haben wir aber gar nicht gesagt, natürlich gibt es bei einem Teil der Äusserungen einen sexuellen Bezug. Trotzdem mussten wir auch die Frage der Unerwünschtheit im Kontext prüfen.
Hat das Gericht Ihren Bericht falsch gelesen?
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern hat sich auch mit unserem Bericht befasst. Die Betroffene hatte nämlich mich und meinen Kollegen aufgrund des Berichts wegen Beschimpfung und übler Nachrede angezeigt. Die Staatsanwaltschaft bescheinigte uns dann, dass wir umfassend befragt, die Aussagen angemessen gewürdigt, sachlich argumentiert hatten, der Bericht eine logische Konsistenz habe und das Fazit eine nachvollziehbare Schlussfolgerung sei. Das Verfahren wurde nicht einmal anhand genommen.
Nehmen wir einen Fall, zum Beispiel an einer Uni: Ein Professor lädt seine Doktorandin immer wieder zum Essen ein, sie lehnt immer wieder ab. Ist das schon Belästigung?*
Ja. Eine Einladung zum Kaffee oder klar kommunizieren, dass einem jemand gefällt, ist per se keine sexuelle Belästigung. Sobald das Gegenüber seine Grenzen aber gesetzt hat, also sagt: Ich möchte nicht Kaffee trinken mit dir, muss der andere das respektieren. Am Arbeitsplatz gilt die Devise: Einmal Nein sagen reicht.
Wie deutlich muss das sein?
Es muss beim Gegenüber so ankommen, dass er es versteht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir hatten einen 53-jährigen Chef, der seine 19-jährige Lernende immer wieder einlud, nach der Arbeit noch etwas trinken zu gehen. Sie sagte: Ich habe kein Geld oder keine Zeit oder ähnliches. Hier kann man nicht erwarten, dass die 19-Jährige sich explizit wehrt. Bei einer 45-jährigen Frau mit viel Berufserfahrung und einer guten Position hingegen darf man mehr erwarten. Zum Beispiel, dass sie dem Chef deutlich sagt, dass sie nur ein professionelles Verhältnis wünscht.
Wenn jetzt jemand ein Verhältnis eingeht und nach der Beendigung behauptet, sie habe eigentlich von Anfang an nicht gewollt: Wie stellt man fest, ob es sexuelle Belästigung war?
Wenn jemand mitmacht und es zu sexuellen Handlungen kommt, gemeinsamen Nachtessen, Ausflügen, wenn der Eindruck entsteht, dass zwei eine Beziehung oder eine Affäre haben, wird es schwierig. Dann müsste man schauen, ab welchem Moment die Person sich belästigt fühlte.
Wenn nun jemand Nachteile befürchtet, wenn sie ablehnt?*
Da muss man schon tiefer schürfen, man kann nicht automatisch sagen: Sie hat mitgemacht, also kann sie sich nicht belästigt gefühlt haben. Man muss die konkreten Umstände prüfen. Ich würde vielleicht auch näher auf die Ängste eingehen und etwa fragen: Hat sie Beispiele für Nachteile?
Im Fall ETH wurde kritisiert, dass diejenigen, die sich über den Professor beschwert hatten, im Verfahren nicht als Partei anerkannt wurden.
Die Frage ist immer, welches der Auftrag der untersuchenden Stelle ist. Meine Empfehlung ist Transparenz: Ein korrektes Verfahren sieht das Recht auf Begleitung vor, der Beschuldigte soll Raum bekommen, sich zu äussern und zu den Vorwürfen Stellung nehmen zu können. Jeder Verfahrensbeteiligte sollte zudem über den Ausgang des Verfahrens informiert werden.
An der ETH und in einem Fall bei den Wirtschaftsprüfern EY kam der Untersuchungsbericht zum Schluss, man habe kein strafrechtlich relevantes Vergehen feststellen können. Ist das überhaupt der Punkt am Arbeitsplatz?
Strafrechtlich relevante Belästigung muss nicht immer dem entsprechen, was am Arbeitsplatz als sexuelle Belästigung gilt. Aber wenn das die Fragestellung ist, kann dies schon das Ergebnis sein und ist dann auch korrekt.
Auch wenn es nicht dem «Code of Conduct» der Firma entspricht?
Thema Falschbeschuldigungen: Wie oft kommen die vor?
Wir machen seit 15 Jahren solche Untersuchungen, und ich kann mich an höchstens fünf Fälle erinnern.
* In einer früheren Version war hier von einer Doktorandin an der Uni Basel zu lesen. Sie legt Wert auf die Tatsache, dass sie nie zum Essen ein geladen wurde und es nicht aus dem Grund zu sexuellen Kontakten kam, weil sie Nachteile befürchtete.
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