#FaceTheDepressionEin Selfie von meiner Depression
Unter dem Motto #FaceTheDepression teilen gerade zig Menschen mit psychischen Problemen Gute-Laune-Fotos. Ist das mehr als eine substanzlose Lifestyle-Kampagne?

Das Internet ist voller fröhlicher Selfies – lächelnd vor dem Eiffelturm, grinsend mit dem Gelato in der Hand, glücklich im frisch geshoppten Outfit. Wie es hinter der schönen Fassade aussehen könnte, teilen gerade zahlreiche Menschen auf Twitter oder Instagram.
«In der Zeit, in der es mir am schlimmsten ging, gab es die meisten ‹Happy Grinsebilder› von mir», schreibt etwa ein junger Mann mit breitem Lachen im Gesicht und Hut in Käseform auf dem Kopf. Dazu das Hashtag FaceTheDepression, das auf sozialen Medien gerade die Runde macht.
Darunter teilen Betroffene scheinbar glückliche Fotos aus einer depressiven Phase. Damit wollen sie einander ermuntern, sich der Krankheit zu stellen – und zeigen, dass ein Lächeln noch lange kein Beweis dafür ist, dass es einem gut geht. Im Gegenteil: Den #FaceTheDepression-Posts nach zu urteilen, versuchen Depressive mit fröhlichen Fotos, ihre Krise zu vertuschen.
Wie die eine Frau auf Instagram, sie sitzt entspannt am Strand, das Gesicht von der roten Abendsonne erleuchtet, im Hintergrund das Meer. «Dieses Foto entstand einige Tage nach meiner ersten Panikattacke. Etwas, was ich niemandem wünsche. Trotzdem habe ich gelächelt. Und ich habe oft gelächelt, obwohl ich im Innern wütend und traurig war», schreibt sie dazu.
Junge teilen Probleme mit der virtuellen Welt
Wie viele genau an einer Depression leiden, weiss niemand so genau. In der Schweiz erlebt schätzungsweise jede dritte bis vierte Person mindestens einmal in ihrem Leben eine depressive Phase. An die grosse Glocke hängt man dies aber in der Regel nicht, zu gross ist die Angst vor der Stigmatisierung.
Schätzungsweise jede dritte bis vierte Person erlebt mindestens einmal in ihrem Leben eine depressive Phase.
Vor allem bei der jüngeren Generation ändert sich das jedoch, es gibt einen klaren Trend, seine Probleme zumindest mit der virtuellen Welt zu teilen – animiert durch Prominente wie Meghan Markle, die beispielsweise offen über Suizidgedanken sprechen.
Marcel Wisler von der Schweizer Stiftung Pro Mente Sana ist zwiegespalten. «Derartige Social-Media-Aktionen schaffen ein besseres Bewusstsein für die Krankheit, und das Community-Gefühl kann für die Betroffenen bestärkend wirken», sagt der Co-Leiter Kommunikation. «Aber viele sind sich nicht bewusst, dass solche spontanen Aussagen negative Konsequenzen haben können.»
Spontane Postings können sich rächen
Denn das Internet vergisst nie, solche Outings sind nicht mehr einfach rückgängig zu machen und bleiben für alle sichtbar, auch für potenzielle Arbeitgeber oder Zusatzversicherungen, die Informationen über einen einholen. Selbst gelöschte Tweets und Posts bleiben auf Servern gespeichert.
Die zweite Problematik: Solche Aktionen können schnell zu einer substanzlosen Lifestyle-Kampagne verkommen, die den Betroffenen nicht gerecht wird und die Krankheit verwässert. Das sieht auch Wisler so. «Nicht jeder, der zwei Nächte hintereinander schlecht schläft, hat gleich eine Depression.» Bevor man darüber twittere oder poste, solle man lieber zuerst durchatmen und sich über die Krankheit informieren.
Zum Beispiel auf den Plattformen Wie-gehts-dir.ch oder Feel-okay.ch. Letztere ist speziell für Jugendliche, inklusive Test, mit dem sie herausfinden können, ob sie möglicherweise eine Depression haben. «Eine Selbstdiagnose ist schwierig, aber solche Plattformen helfen, ein erstes Gefühl zu bekommen und sich zu reflektieren», sagt Wisler. Das sei ein wichtiger erster Schritt. «Wenn es sich wirklich um eine ernsthafte Krankheit handelt, muss man sich professionelle Hilfe holen. Dann reicht ein öffentliches Outing nicht.»
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