Ein Schwätzer lobt Mussolini
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani beschönigt die Rolle Mussolinis in der Geschichte Italiens – und erntet dafür viel Empörung.

Der Römer Antonio Tajani neigt dazu, viel zu reden. Sturzbachartig. Man braucht ihm nur ein Stichwort zu geben, und schon legt der Präsident des Europaparlaments los, ohne Punkt und Komma. Vor den Europawahlen ist der konservative Politiker sehr gefragt in Italien, überall tritt er auf, in Talkshows und auf Podien. Nun war er auch bei «La Zanzara», einem Programm auf Radio 24. Dessen Moderator, Giuseppe Cruciani, hat die Gabe, seine Gäste dazu zu bringen, sich um Kopf und Kragen zu reden.
Tajani wagte einen historischen Exkurs zum Faschismus, der ihm viel Ärger einträgt. Cruciani fragte ihn, ob Benito Mussolini, der Faschistenführer, auch etwas Positives geleistet habe. Darauf Tajani: «Bevor er der ganzen Welt den Krieg erklärt hat und Hitler folgte, bevor er sich zum Fürsprecher der Rassengesetze machte und abgesehen vom dramatischen Vorfall um Matteotti (dem 1924 ermordeten Sozialistenführer, Red.), hat er positive Dinge gemacht – beim Bau von Infrastrukturen in unserem Land etwa.» Natürlich könne man über Mussolinis Methode streiten, er selbst sei kein Faschist. Die Rassengesetze seien «verrückt» gewesen, der Eintritt in den Krieg «ein Selbstmord».
«Doch wenn man ehrlich sein will: Er hat Strassen, Brücken, Gebäude, Sportanlagen gebaut, und er hat viele Sümpfe in unserem Italien trockengelegt.» So sei das nun mal, und wenn jemand ein historisches Urteil fälle, müsse er objektiv sein. Mussolini sei «kein Meister der Demokratie» gewesen, sagte Tajani noch.
«Absolut inakzeptabel»
Im Europaparlament in Strassburg sorgte Tajanis Interview für helle Aufregung. «Die Äusserungen sind eines Präsidenten des Europäischen Parlaments unwürdig und absolut inakzeptabel», kritisierte etwa Ska Keller. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion verlangt vom Italiener, die «unsägliche Verharmlosung des Faschismus» zurückzunehmen oder sein Amt niederzulegen. Gabi Zimmer, die Fraktionschefin der Linken, hat sich schon festgelegt und fordert den «sofortigen Rücktritt» Tajanis. Udo Bullmann, der Chef der sozialdemokratischen S&D-Fraktion, klagt über «unglaubliche Zitate», die den «Charakter des Faschismus» verleugnen. Verärgert sind auch die eigenen Leute, wie aus der EVP-Fraktion zu hören ist: «Antonio Tajani entwickelt sich zu einem Quartals-Irren. Das schadet der Reputation des gesamten Parlaments.»
Die Mussolini-Schwärmerei bestätigt jene Kritiker, die ihn stets als Fehlbesetzung ansahen. Tajani, im Amt seit Anfang 2017, gilt in Brüssel als Schwätzer. Die Kritik beeindruckt ihn aber nicht: Er erklärt stets, dass er sich um eine Wiederwahl bewerben wolle, wenn die EVP nach der Europawahl wieder den Parlamentspräsidenten stellen sollte.
Oft hört man in der Bar die Formel: «Quando c'era lui...», begleitet von einem Seufzer.
In Italien wären Tajanis Äusserungen zunächst beinahe untergegangen im Strudel aller anderen erstaunlichen Wortmeldungen von Politikern, die jeden Tag über dem Land niedergehen. Seit die Populisten regieren, ist die Flut noch gewaltiger geworden. Von den grossen Zeitungen im Land nahm sich nur «La Stampa» Tajanis in einem längeren Artikel an. Der «Corriere della Sera» beliess es bei 37 Zeilen, «La Repubblica» gar bei gerade mal 14 Zeilen.
Seit dem Ende des Faschismus, schreibt «La Stampa», habe sich in Italien die Idee festgesetzt, dass die «Diktatur all'italiana» nur ein bisschen böse gewesen sei. Tatsächlich hört man auf der Piazza und in der Bar oft die Formel: «Quando c'era lui...», begleitet von einem Seufzer. Als er da war. Das «Er» bezieht sich auf den Duce, auf Mussolini. Damals seien die Züge pünktlich gefahren. Man habe bei offener Haustür schlafen können. Die Häuser seien nicht eingestürzt, weil seine Architekten die besten gewesen seien.
Berlusconis Nachfolger?
Das Schönreden des Faschismus sei ein «Tic», den Italien nie abgelegt habe, schreibt «La Stampa». Silvio Berlusconi sagte einmal: «Mussolini hat nie jemanden umgebracht, er schickte die Leute nur in die Verbannung, damit sie dort Ferien machten.» Nun fragt sich natürlich, ob Tajani ein Signal an die rechte Rechte aussenden wollte, um dort dem bereits sehr rechten Matteo Salvini von der Lega Konkurrenz zu machen. Kürzlich, bei einer Gedenkveranstaltung zum Zweiten Weltkrieg, schloss Tajani seine Rede mit der Losung: «Es lebe das italienische Istrien und Dalmatien.» Die Slowenen und Kroaten empfanden das als Geschichtsrevisionismus, sogar als aggressiven Territorialanspruch und protestierten umgehend empört.
Tajani beschwichtigte damals, wie er es jetzt auch wieder tut – per Tweet: «Schäme sich, wer meine Worte zum Faschismus instrumentalisiert!» Tajani soll dereinst Berlusconi als Chef der bürgerlichen Partei Forza Italia beerben. Das sagt man allerdings schon seit vielen Jahren. Berlusconi ist jetzt 82, Tajani 65.
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