Gepanzert unterwegsEin Schutzkäfig für den deutschen Kanzler
Neuer Job, neuer Dienstwagen: Wie James Bond bekommt auch Bundeskanzler Olaf Scholz ein handgemachtes Auto.

Nichts ist härter als der Regierungsalltag. Aufstehen, frühstücken, Welt retten. Mit Homeoffice ist es da nicht getan. Kanzler und Superman-Minister (m/w/d) brauchen also entsprechende Dienstfahrzeuge. Weil Cargovelos als «grüne» Vorzeigevehikel nicht sicher genug sind, müssen schwarze Limousinen her. Was schon mal einen ziemlichen Unterschied zu James Bond macht. Der würde nie so auffällig-unauffällige Spiesserautos fahren. Dann doch lieber einen alten Aston Martin DB5 in Silber oder Hellbraun metallic. Das elegante Coupé aus «Goldfinger» wurde 1964 stilprägend für Weltretter – bis hin zum Playmobil-Bastelset und zur Wiederauferstehung im jüngsten Bond-Film. Bekommt auch Olaf Scholz als Kanzler so eine coole Karre?
Nein, nach automobiler Action sehen die Fahrzeuge der Bundesregierung nicht aus, eher nach Werbespot: Die weltweit viertgrösste Volkswirtschaft macht Reklame für ihre Autoindustrie. Dass die Topmodelle von Audi, BMW, Mercedes gepanzert sind, muss den Steuerzahler nicht jucken. Hauptsache, die Sicherheitslimos kommen im Fernsehen gut rüber. Die Abstrahleffekte ins internationale Behördengeschäft sind derart hoch, dass die Hersteller ihre handgefertigten Sondermodelle in Deutschland fast zum Selbstkostenpreis abgeben. Noch billiger gibt es nur die Stunt-Fahrzeuge für Kinofilme – aber die haben mit der Wirklichkeit noch weniger zu tun.
Beruflich sind deutsche Spitzenpolitiker zum Beifahren verdammt: hinten rechts Nachsitzen zum Aktenstudium. Kanzler Helmut Kohl sass vorne rechts, weil er sonst seekrank wurde. Anders als Bond dürfen die Offiziellen nur den Staat, aber keine (Sicherheits-)Fahrzeuge lenken. Wobei sich die Frage stellt, ob der neue Finanzminister Christian Lindner jetzt seinen alten Porsche 911 einmotten muss. Gefragt sind ohnehin keine Gentleman-Racer, sondern Sicherheitsleute mit LKW-Führerschein. Autos wie der Mercedes S-Guard mit der höchsten zivilen Schutzklasse (VR 10) bringen 4,2 Tonnen auf die Waage – ohne Passagiere. So ein kopflastiges Auto für mehr als eine halbe Million Euro, das wankt, wippt und über die Vorderachse schiebt? Fährt kein normaler Mensch freiwillig.
Wenn Personenschützer die Schleuder-Wende üben, dann sieht das zwar lässig aus, ist aber harte Arbeit. Hochsicherheitsfahrzeuge sind ohnehin keine Kampfmaschinen, sondern Fluchtvehikel, um möglichst schnell aus dem Gefahrenbereich zu kommen. Dafür reichen Reifen, mit denen man auch bei einem Platten noch 30 Kilometer fahren kann. Längere Verfolgungsjagden sind genauso Kintopp wie die Schleuder-Choreografien durch enge, mediterrane Serpentinen. Das alles würde der Schutzperson in dem schaukelnden Schiff nicht sonderlich guttun. Kanzler oder Kanzlerin sind schliesslich keine Sechzigerjahre-Helden, die jedem noch so zerbeulten Auto mit knitterfreiem Jackett entsteigen.
Bonds Meistertechniker Q interessiert sich offensichtlich mehr für Elektronik-Gimmicks als für das menschliche Verschleissmaterial. In Wirklichkeit ist es genau andersherum. Weniger Elektronik (weil das Bundeskriminalamt Hackerangriffe fürchtet) und mehr Dummy-Forschung, damit dem Menschen in seinem Schutzkäfig kein Härchen gekrümmt wird. Nach Explosionstests wird genauestens geprüft, ob bei den Dummys Verletzungen – etwa in die «Haut» eingedrungene Splitter, Risse oder Beschädigungen der Kleidung – vorliegen. Was in den Bond-Filmen gern mit Küchenmessern in irgendwelchen Absteigen praktiziert wird.

Jeder Biofidel-Dummy in Lebensgrösse ist hinsichtlich Knochenbruchfestigkeit und Dehnbarkeit von Sehnen und Kreuzbändern menschenähnlicher als die unkaputtbare Roman- und Filmfigur. Das gilt ähnlich für die Autos: Schön, dass die Panzerglasscheiben des eleganten DB5 auch unter längerem Beschuss nicht splittern – dafür müssten sie in Wirklichkeit aber bis zu zehn Zentimeter dick sein. Etwa 400 Kilogramm wiegt allein die Frontscheibe einer Mercedes Guard S-Klasse. Sie schützt nicht nur gegen Kugeln aus (Maschinen-)Pistolen, sondern auch gegen militärische Spezialmunition, die fast doppelt so schnell fliegt und erheblich mehr Schaden anrichtet.
Was hat man in den vergangenen 90 Jahren nicht alles versucht, um die Ritterrüstungen auf Rädern halbwegs fahrbar zu machen? Zum Beispiel mit verschiebbaren Stahlplatten, die Mercedes 1931 bei einer Pullman-Limousine einbaute, um die Fenster von innen zu schützen. Die Frontscheibe konnte durch eine zusammenklappbare Stahlplatte abgedeckt werden. Was im Angriffsfall einige Zeit zur Installation erforderte und im entfalteten Zustand nur einen kleinen Sehschlitz freiliess. Auch das Periskop auf dem Dach, mit dem sich die Umgebung bei ausgefahrenen Schutzeinrichtungen beobachten liess, hat sich im Strassenverkehr nicht durchgesetzt.
Praktischer war die Staatskarosse für Queen Elizabeth II. Vor ihrem ersten offiziellen Deutschlandbesuch wurde 1965 unter grossem Termindruck eine beschusssichere Pullman-Limousine gebaut. Auffällig war der erhöhte Dachaufsatz, damit Englands Monarchin weder Hut noch Krone abnehmen musste. Das viele Panzerglas machte die hohen Türen allerdings sehr schwer. Sicherheitsleute und Hotelboys bekamen daher eine spezielle Einweisung: Mit einem kleinen Taster in der Griffmulde konnten sie das hydraulische Schliesssystem aktivieren und die schweren Portale öffnen.

Viele dieser Panzerglas-Oldies fahren heute noch. Mercedes versucht den Weiterverkauf zu kontrollieren, damit die Sicherheitsfahrzeuge nicht in dunkle Kanäle abdriften. Wobei der Name doppelt irreführend ist: Die Wagen entsprechen weder den neuesten Sonderschutzauflagen in Hinblick auf Sprengsätze und grosskalibrige Geschosse, noch den Anforderungen der modernen Crash-Sicherheit. Prallt so eine rollende Burg auf ein festes Hindernis, kann die kinetische Energie aufgrund des hohen Gewichts eher schlechter abgebaut werden. Fast jeder moderne Kleinwagen dürfte seine Passagiere ähnlich gut oder besser schützen.
Der Bedarf an Hochsicherheitsfahrzeugen ist in den vergangenen Jahren aber nicht geringer geworden. Das betrifft die deutsche Führungsriege vor allem auf Auslandsreisen: Die Bürgerkriege im Nahen und Mittleren Osten haben zur Verbreitung von modernen Kriegswaffen beigetragen. Scharfschützen mit Dragunow-Gewehren und Stahlhartkernmunition können eine moderate «Panzerung» aus Aramidfasern knacken, die auch für schusssichere Westen verwendet wird. Kleine, kameragesteuerte Drohnenschwärme sind zudem in der Lage, ihre Ziele punktgenau mit Sprengstoffen anzugreifen.
Eine der besten Schutzmethoden bleibt weiterhin ein gewisses Mass an Unauffälligkeit. Der Mercedes Guard ist von aussen kaum von anderen S-Klasse-Limousinen zu unterscheiden, die im Konvoi der Begleitfahrzeuge voraus- und hinterherfahren. Dagegen ähnelt das Hochsicherheitsfahrzeug des US-Präsidenten nur entfernt einem übergrossen Cadillac. Die militärische Panzerung mit 20 Zentimeter dicken Türen schützt zwar auch dann, wenn der Wagen auf eine Mine fährt. Rasante Verfolgungsjagden über kurvenreiche Strassen sind mit dem mehr als sechs Meter langen «Biest» aber nicht zu machen. Das gepanzerte Dach führt bei Richtungswechseln ein Eigenleben, und selbst ein Zwölfzylinder mit mehr als 600 PS macht aus so einem Ungetüm keinen leichtfüssigen Sprinter.
Ein Schwachpunkt des rollenden Passagierkäfigs aus hochfestem Stahl, Spezialfasern und bis zu zehnlagigem Glas bleibt bestehen: Er schützt zwar vor Handgranaten und Brandanschlägen, nicht aber gegen den Klimawandel. Mit einem Normverbrauch von fast 20 Litern und mehr als 400 Gramm CO₂ pro Kilometer (Mercedes S 680 Guard 4Matic) kann ein Klimakanzler unmöglich Vorbild sein. BMW hat auf der jüngsten IAA deshalb eine beschussfeste Alternative vorgestellt: ein Brennstoffzellenfahrzeug, das maximalen Schutz mit null Emissionen verbinden will. Selbst die Wasserstofftanks des BMW Concept iX5 Hydrogen Protection sind durch einen speziellen Unterboden geschützt, an dem kein Sprengkörper magnetisch haftet. Fehlt nur noch ein Serienmodell – und ein ausreichendes Tankstellennetz für Wasserstoff. Es ist eben nicht so leicht, die Welt zu retten.
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