Ungenierter Hass auf FlüchtlingeEin Rassist sitzt im Rathaus
Der Bürgermeister der türkischen Stadt Bolu schikaniert ausländische Bewohner, etwa indem er die Gebühren nur für sie massiv erhöht. Er ist mit der Ablehnung nicht alleine.

Ohne diesen Bürgermeister würde kaum einer von Bolu reden – jedenfalls nicht so. Die nette, kleine Stadt auf halber Strecke zwischen Istanbul und Ankara im Nordwesten Anatoliens ist bekannt für ihre herrliche Lage mit Bergen, Wäldern und Seen. Jetzt wird sie zum hässlichen Gesicht der Türkei. Der Grund ist Tanju Özcan. Der Bürgermeister gibt sich so ausländerfeindlich, dass er nicht nur in der Türkei, sondern auch ausserhalb der Grenzen bekannt wurde.
Der 2019 ins Amt gewählte Özcan will Nicht-Türken – also Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan – zehnmal so hohe Strom- und Wasserrechnungen schreiben wie den Einheimischen. Bei Hochzeiten will er von den Migranten 100’000 Lira für die Registrierung, umgerechnet rund 7200 Franken. Türken zahlen 250 Lira, gut 20 Franken. Im Stadtrat bekommt der Bürgermeister Mehrheiten dafür.
Özcan, ein Rechtsanwalt, behauptet: «Ich weiss, dass mir in den sozialen Medien und auf der Strasse 90 Prozent zustimmen.» Und sein Stellvertreter Rasim Özdemir betont: «Der Bürgermeister redet nicht nur für Bolu, er spricht für die ganze Türkei.»
«Die Syrer leben in der Türkei. Aber in Syrien sterben türkische Soldaten.»
Özdemir macht seinem Chef alle Ehre: «Zu den Flüchtlingen gibt es klar kulturelle Unterschiede. Sie stehen den Tag über in Gruppen auf der Strasse herum, das ärgert die Menschen.» Özdemir und sein Chef haben besonders die Syrer im Blick: «In Syrien ist Krieg. Warum gehen sie nicht zurück und kämpfen für ihr Heimatland? Stattdessen müssen wir unsere Armee schicken. Die Syrer leben in der Türkei, aber in Syrien sterben türkische Soldaten? Das missfällt den Bürgern, in Bolu und in der Türkei.»
Das mit den 90 Prozent Zuspruch in den sozialen Medien kann man glauben oder nicht. Aber der Bürgermeister zeigt sich so ungeniert als Flüchtlingshasser, dass die meisten Türken seinen Namen inzwischen kennen dürften. Und manche ihm offen zustimmen. Optikerin Nadire, die ihren Laden an der Flaniermeile hat, sagt, die Syrer starrten Frauen unverhohlen an. «Und dann, wie die aussehen und wie die sich bewegen – wie richtige Terroristen.» Ihr Kollege sagt, er kenne einen Flüchtling, der fahre Mercedes. «Und jetzt hat er noch einen Rover gekauft.»
Özcan selbst schwadroniert in Interviews davon, die weltweite Flüchtlingskrise sei «ein amerikanisches Projekt», um in imperialistischer Manier «die Türkei zu destabilisieren». Man könnte all das als Einzelfall abtun, aber was in Bolu passiert, wirft auch ein Schlaglicht auf das Land.
Türkei ist die weltgrösste Flüchtlingsherberge
Eigentlich sind die Türken Migranten gegenüber offen: Das Land mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern beherbergt 3,7 Millionen Syrer. Hunderttausende Afghanen kommen dazu, ausserdem Hunderttausende andere Illegale aus aller Welt: Mit mehr als fünf Millionen Ausländern ist die Türkei zur weltgrössten Flüchtlingsherberge geworden.
Doch die Ausländerfeindlichkeit nimmt zu, ausgelöst vor allem durch die Wirtschaftslage. Die Wirtschaft wächst zwar wieder, aber die Inflation liegt bei mehr als 20 Prozent, die Lira hat in einem Jahr fast die Hälfte ihres Wertes verloren. Die Preise sind auch in der Türkei der Massstab für den Normalbürger, deren Geld auf einmal nicht mehr für Fleisch reicht. Da wendet sich die Stimmung. Da findet einer wie Özcan Zuspruch.
Bürgermeister Özcan verstosse «klar gegen türkisches Recht».
Özcan ist Mitglied der sozialdemokratisch ausgerichteten CHP, der wichtigsten nationalen Oppositionspartei. Auch die CHP achtet auf die Stimmung in der Bevölkerung. Sie weiss, dass für die jahrelang grosszügige Flüchtlingspolitik Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan verantwortlich ist. Der sagte vor einigen Monaten über die Syrer: «Solange wir an der Macht sind, werden wir die Gläubigen Allahs, die bei uns Zuflucht gesucht haben, nicht zurück in die Arme von Mördern schicken.»
Offiziell fremdelt die CHP mit dem Bürgermeister. Bolus CHP-Vorsitzender Kazım Karsu sagt, Özcan verstosse mit seinen Schikanen «klar gegen türkisches Recht». Ein internes Verfahren laufe, «aber ein Parteiausschluss ist schwierig». Karsu weiss aber genau, was sein eigener Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu Anfang August gesagt hat: «Mein Wort an diese Nation ist: Ich werde alle, alle Flüchtlinge, in spätestens zwei Jahren mit Pauken und und Trompeten zurück in ihre Heimatorte schicken.» Offenbar ist Bolus Bürgermeister Özcan kein Einzelkämpfer.
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