Ein Präsident zum Vergessen
Von allen deutschen Staatsoberhäuptern erscheint Christian Wulff als historisch schwächstes: halbherzig ins höchste Amt gewählt, halbherzig agiert und abgetreten. Was macht eigentlich Joachim Gauck?
Zugegeben, die Ahnenreihe der deutschen Bundespräsidenten ist zum Teil beeindruckend: Theodor Heuss (1949–1959) zum Beispiel stand tatsächlich über den Parteien und bis Ende der Fünfzigerjahre für ein Deutschland ein, das bereit war, aus seinen Todsünden zu lernen. Richard von Weizsäcker beeindruckte in «seiner» Dekade von 1984 bis 1994 die Landsleute durch seine intellektuelle Schärfe und Unabhängigkeit – wie in einer Jahrestagsrede zum Ende des Zweiten Weltkriegs, als er den 8. Mai 1945 als einen «Tag der Befreiung» deutete. Von Konservativen trug ihm das harsche Kritik ein, obwohl er einer von ihnen war – doch nach seiner ersten Amtszeit wurde er ohne Gegenkandidat wiedergewählt, ein Novum in der deutschen Geschichte.
Und Christian Wulff? Der Mann mit dem Charme eines Musterschwiegersohns hatte nicht viel zu sagen und noch weniger zu bestellen. Einmal im Schloss Bellevue, fiel er immerhin durch Äusserungen zur Integration von Mitmenschen mit ausländischen Wurzeln auf. Bei seinem Besuch in der Schweiz sprach er vor der Presse allerdings mit einem rätselhaftem Dauerlächeln vom Bankenzank und Fluglärmstreit – keine diplomatische Mission mit dem Willen zum Erfolg, sondern Worte wie bei einem Kondolenzbesuch.
Volksliedsänger und Wanderfreunde
Natürlich gab es unter den Bundespräsidenten auch solche, die politisch blass blieben oder sich peinliche Auftritte leisteten. «Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger»: Diese Anrede soll Heinrich Lübke (CDU) einst tatsächlich bei einem Staatsbesuch in Liberia benutzt haben. Der Liberale Walter Scheel blieb weniger als geistreiches Staatsoberhaupt in Erinnerung denn als Sänger von Volksliedern – unter anderem dank seiner Einspielung von «Hoch auf dem gelben Wagen». Und der Konservative Karl Carstens präsentierte sich vor allem als wanderfreudiger Amtsträger, der die Republik auf Schusters Rappen durchquerte (siehe auch Artikel «Affären um das höchste Amt Deutschlands»).
Sie alle werden in besserer Erinnerung bleiben als Wulff, der das Amt in noch grösserer Verlegenheit verlässt als sein Vorgänger Horst Köhler, der immerhin mit einem Paukenschlag abdankte – wegen kritischer Reaktionen auf seine Äusserung, dass im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, «um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege». Heute geschieht genau das, nämlich der Einsatz deutscher Kriegsschiffe gegen somalische Piraten.
Ausharren im Amt, begleitet von Peinlichkeiten
Und Christian Wulff? Während sein Vorgänger die zweite Amtszeit immerhin aus eigenem Antrieb vorzeitig beendete, wurde der Niedersachse über Monate in aller Peinlichkeit aus dem Amt gepresst – Zug um Zug, Schritt für Schritt, zuerst von den Journalisten, die seine erwiesenen oder vermuteten Verfehlungen immer wieder thematisierten, und zuletzt durch die Staatsanwaltschaft in Hannover, die gegen ihn ermitteln und deshalb seine Immunität aufheben lassen will.
Selbst wenn die Vorwürfe der Vorteilsnahme im Amt als Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen sich als haltlos erweisen sollten: Wulffs Rücktritt war schon deshalb überfällig, weil sein Benehmen der Mehrheit der Bevölkerung zuwider ist. Und seine Versuche, mit Fernsehauftritten und Ansprachen mit seltsamer Mund- und Körpersprache wieder Fuss zu fassen, misslangen mangels Glaubwürdigkeit, weil auf jedes Dementi neuerliche Vorwürfe folgten.
Vor allem aber zeigte Wulff auch in der «Bild»-Affäre nicht die Grösse eines Staatsmannes, die man im Grossen Kanton erwartet. Von der mächtigen Boulevard-Zeitung attackiert zu werden, ist oftmals mehr Ehre als Schande – und gehört zum Erfahrungsschatz fast aller Politiker, die es in Deutschland zu etwas brachten. Doch Wulff verlor die Fassung, pöbelte zunächst den Anrufbeantworter des Chefredakteurs voll, um sich anschliessend in schwülstigen Worten via Mattscheibe dazu zu äussern, wie hoch er als Staatsoberhaupt die Pressefreiheit schätze.
Eine Präsidentschaft mit mehr Patzern als Akzenten
So endet eine Präsidentschaft zum Vergessen. Nicht einmal ein Auf und Ab, wie bei vielen seiner Vorgänger, sondern ein steter Niedergang. Das Amt bekam Wulff schon geschwächt, vor allem dank Kanzlerin Angela Merkel, die ihn durchboxte – im vollen Wissen, dass der ostdeutsche Pastor und ehemalige Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde, Joachim Gauck, nicht nur beim Volk beliebter gewesen wäre, sondern auch bei vielen konservativen Politikern.
Und Christian Wulff? Er schwieg zu viel, vor allem, wenn er offen hätte reden sollen. Sein gescheiterter Gegenkandidat meldete sich dagegen auch nach der Niederlage zu Wort. Für einen erwachsenen Menschen, so mahnte und schrieb Gauck immer wieder, sei Freiheit nichts anderes als Verantwortung – zuletzt zu lesen in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtmagazins «Focus». Ein Mann mit klaren und teils unbequemen Überzeugungen – geronnen, geschliffen und poliert im Ringen mit dem Regime der «Partei», dann als Chef der Behörde, die heute im Volksmund seinen Namen trägt, und schliesslich als «Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR».
Schwierige Suche nach Nachfolgerin oder Nachfolger
Wen immer Kanzlerin Angela Merkel in das Rennen um die Nachfolge schickt: Es sollte eine starke und unabhängige Persönlichkeit sein, die sich über die Parteipolitik und hinter die Bevölkerung stellt. Ein Mensch vom Kaliber eines Joachim Gauck: Für viele seiner Landsleute, nicht nur in östlichen Regionen, ist der mehrfache Ehrendoktor, Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse, des Grossen Verdienstkreuzes mit Stern und der Theodor-Heuss-Medaille seit langem und noch immer der gefühlte Präsident. Ganz anders eben als… – wie hiess er gleich?
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