Ein Piks zum Glück
Botulinumtoxin hilft bei der Behandlung von Depressionen – die Psychiatrische Universitätsklinik Bern plant eine grössere Studie.

Botulinumtoxin bekämpft Falten, das wissen viele. Weniger bekannt sind die anderen Anwendungsgebiete des Nervengifts, das die meisten unter dem Markennamen Botox kennen. Je nachdem, wo ein Arzt es spritzt, soll Botulinumtoxin sogar die Stimmung heben. Und das nicht nur, weil man plötzlich weniger faltig aussieht. Ärzte testen die Substanz als Behandlungsmöglichkeit bei Depressionen. Hinweise, dass das Faltenmittel Menschen mit Depressionen helfen könnte, gibt es schon länger. Die Psychiatrische Universitätsklinik Bern plant nun eine grössere Studie zum Thema.
Ursprünglich kamen die Hinweise von Dermatologen. Ihnen hatten Patienten, die sich aus kosmetischen Gründen Botulinumtoxin injizieren liessen, erzählt, dass sie sich nach der Lähmung der Zornesfalte allgemein besser fühlten. In die Falte oberhalb der Nasenwurzel spritzen auch die Ärzte an der Psychiatrischen Uniklinik Bern. Sie bieten diese Methode bereits seit rund einem halben Jahr an. Menschen mit einer diagnostizierten Depression können sich gegen einen Unkostenbeitrag behandeln lassen. Weil Botulinumtoxin für diese Indikation in der Schweiz noch nicht zugelassen ist, müssen die Betroffenen die Behandlung selbst zahlen.
Fünf Einstiche in der Muskelpartie
Eine grössere klinische Studie soll ab Herbst bessere Hinweise liefern, ob die Muskellähmung depressiven Menschen tatsächlich helfen kann. Das Team um Psychiater Gregor Hasler plant, rund 100 bis 150 Patienten in die Studie aufzunehmen. Kosmetische Wirkungen sollten die Probanden nicht erwarten, da die Behandlungen bei Dermatologen meist umfassender sind und mehr Gesichtsareale einschliessen.
Die Psychiater beschränken sich auf fünf Einstiche in die Muskelpartie zwischen den Augenbrauen. Dabei geht es weniger um Stirnrunzeln als vielmehr darum, wenn jemand umgangssprachlich mürrisch oder böse schaut. «Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, warum eine Lähmung dieser Muskeln bei Depressionen hilft», sagt Hasler.
Bessere soziale Kontakte?
Die Verbindungen zwischen Körper und Psyche sind eng. Das weiss jeder, der schon einmal aus Nervosität Durchfall bekommen hat. Eine mögliche Erklärung wäre das sogenannte Facial Feedback. Die Facial-Feedback-Theorie besagt, dass es eine enge Verbindung zwischen Bewegungen der Gesichtsmuskulatur und emotionalen Zuständen gibt. Die Frage ist dabei, was bedingt was. Lacht jemand, weil er sich gut fühlt, oder lösen die Gesichtsbewegungen beim Lachen angenehme Gefühle aus?
Hasler vermutet zudem, dass eine Lähmung der Zornesfalte Auswirkungen auf die sozialen Kontakte der Depressiven haben könnte. Schaut jemand nicht ganz so mürrisch drein, fallen vermutlich auch die Reaktionen der Umwelt positiver aus, was wiederum das eigene Empfinden stärken kann. «Depressive haben häufig ein negatives Selbstbild», sagt Hasler.
Der Effekt der Spritzen soll rund drei Monate anhalten. Wenn die Patienten spüren, dass die Wirkung nachlässt, werde ihnen wieder bewusst, dass sie die Augenbrauen zusammenziehen. Was man normalerweise nicht spürt, sondern einfach macht. Zu diesem Zeitpunkt könnten Betroffene wegen der gesteigerten Wahrnehmung aktiv versuchen, die Muskeln an der Nasenwurzel weniger anzuspannen, um die Wirkung der Spritzen zu verlängern.
Langzeitfolgen des Giftes unbekannt
Neue Behandlungsansätze sind dringend gesucht. Depressionen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen, und nicht alle Betroffenen sprechen auf die gängigen Antidepressiva an oder leiden unter den Nebenwirkungen der Medikamente. Bei der Botulinumtoxin-Behandlung gibt es wenig Nebenwirkungen. Unklar ist, wie lange die Wirkung andauert und ob man nicht immer wieder spritzen muss.
Kaum erforscht sind zudem die Langzeitfolgen der Spritzen. Niemand weiss, ob das starke Nervengift Botulinumtoxin, wenn man es über viele Jahre wiederholt anwendet, irgendwelche negativen Wirkungen hat. Schon eine sehr kleine Dosis könnte für den Menschen tödlich sein. Für die Spritzenbehandlungen ist die Substanz abgeschwächt.
Ihre Wirkung bei Depressionen wissenschaftlich zu untersuchen, ist methodisch nicht ganz einfach. Den Patienten in der Kontrollgruppe injizieren die Ärzte Salzwasser, niemand weiss, wer was bekommt, doch merken die Betroffenen relativ schnell, ob sie Botulinumtoxin erwischt haben oder nicht, was die Resultate beeinflussen kann.
Neue Ansätze zur Behandlung nötig
Aus diesem Grund möchte Hasler auch Dermatologen miteinbeziehen. Sie sollen den Probanden anstatt Salzwasser Hyaluronsäure in die Zornesfalte spritzen. Die Hyaluronsäure polstert die Falte auf, lähmt aber die Muskeln nicht. Interessant wäre dann, ob der antidepressive Effekt ebenfalls auftritt oder eben nicht.
Bisher gab es drei Studien zum Thema, die alle einen positiven Einfluss nachgewiesen haben, aber zu klein waren, um allgemeingültige Aussagen zu machen. «Es ist wichtig, dieser Frage in einem grösseren Zusammenhang nachzugehen», sagt Professor Martin Hatzinger von der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Solothurn. Hatzinger war an einer früheren Studie der Uni Basel zum Thema beteiligt.
«Das Spritzen von Botulinumtoxin ist bei Depressionen bisher eine experimentelle Therapie», sagt Annette Brühl, die an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich das Zentrum für Depressionen und Angsterkrankungen leitet. Es sei noch nicht klar, ob und wie das Mittel wirke, und das müsse man seriös erforschen. «Weil die Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen aber beschränkt sind, wären neue Ansätze sehr willkommen», sagt Brühl.
Die bisherigen Erfahrungen seien in Bern durchweg positiv, sagt Hasler. Die Patienten erzählten ihm, sich emotional stabiler zu fühlen, sie seien besser gestimmt, fühlten sich weniger schnell abgelehnt und spürten mehr positive Emotionen. Allerdings hat nicht jeder Depressive eine ausgeprägte Zornesfalte, das hängt auch von der Mimik und Gesichtsanatomie ab. Ob ein Depressiver ohne Zornesfalte auch von der Behandlung profitiert, wissen die Ärzte noch nicht.
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