Ein Patron mit Eloquenz und Detailblick
Auf «Weltklasse Zürich» hin arbeitet Meetingchef Patrick Magyar rund 100 Stunden die Woche. Einen Tag vor dem Anlass sind ihm die Strapazen nur einmal anzusehen.
Patrick Magyar pflügt sich wie ein Torpedo durch den Eingang des Letzigrund-Stadions. Magyar ist ein kräftiger Mann mit rasiertem Haar und dunkler Brille. In der Hand hält er sein Natel, im Ohr steckt ein Bluetooth-Kopfhörer. Er muss einem Journalisten gerade ein paar grundsätzliche Fragen beantworten. Er tut das auf ruhige und souveräne Art, wie er im Verlauf des Tages fast jedes Gespräch geduldig führt. «Warum sollte ich aufgeregt sein, wenn der grösste Teil der Arbeit bereits erledigt ist?», fragt er rhetorisch.
Letzte Details will der Meeting-Direktor von «Weltklasse Zürich» dennoch überprüfen, er marschiert darum auf die Bahn. Mit einem Team des Schweizer Fernsehens bespricht er dort ungelöste Problemchen. Als er plötzlich die Kamera unmittelbar nach dem 100-m-Start erblickt, gerät er in Verzückung. Magyars Sprache ist mitunter salopp, er sagt deshalb in einer fast schon kindlichen Freude: «so geil!» und schaut elektrisiert in den Bildschirm.
Seine Begeisterung ist insofern berechtigt, als die TV-Zuschauer noch näher bei den Athleten sind. Im alten Letzigrund musste eine Kamera aus 120 m Entfernung an den Start zoomen. Jetzt sind die Fans vor den Bildschirmen fast mittendrin. Gleichzeitig plärrt Musik aus den Boxen, da das Speakerteam seinen Ablauf von heute durchspielt. Infield-Moderator Michael Sokol absolviert zudem einen Moderationstest, den Magyar nur mit einem Ohr mitbekommt. Das reicht dem Chef, um umgehend sein Handy zu zücken und eine Detailkritik anzubringen. Sokol spreche die Namen der Athleten zu hastig aus.
Nachtschichten für die eigene Firma
Überhaupt ist während des letzten Vormeeting-Tags erstaunlich, wie präsent der 46-Jährige ist und an welche Kleinigkeiten er denkt. Als er im Hotel eine seiner Mitarbeiterinnen sieht, die in den vergangenen Tagen Halsschmerzen verspürte, erkundigt er sich nach ihrem Wohlbefinden. In seinem kleinen Büro, das wie die weiteren temporären Arbeitsplätze im Athleten-und-Manager-Hotel untergebracht ist, schwärmt seine Assistentin Nicole Gull deshalb von ihrem Chef. Er sei exzellent organisiert und plane weit im Voraus. Gull ist eine von zahlreichen Mitarbeiterinnen, die hauptberuflich in Magyars Firma arbeitet. Athletenverpflichterin Bettina Borner oder Marketingchef Christoph Joho, die mit ihm das Unternehmen aufbauten, gehören ebenso dem «Weltklasse»-Team an. Daneben sind weitere Meeting-Chargen durch Angestellte von Magyar und seinen Partnern besetzt.
Wobei die normale Arbeit parallel zum Meeting weitergeht. So quetscht er solche Termine frühmorgens oder spätabends ebenfalls in seinen dicht gedrängten Kalender. Arbeitsbelastungen von rund 100 Stunden die Woche sind da eher die Regel als die Ausnahme und frühes Aufstehen selbstverständlich. Obwohl er mit wenig Schlaf auskommt, ist ihm die Belastung der vergangenen Wochen zumindest beim technischen Meeting um 11 Uhr kurz anzusehen.
Dort werden die Trainer und Manager über die Serieneinteilungen und Sprunghöhen informiert. Nachdem er eine kurze Einleitungsansprache gehalten hat, nimmt Magyar im Plenum Platz und überlässt die Präsentation seinem stellvertretenden Meeting-Direktor Andreas Hediger. Und da passiert es: Die Augenlider fallen Magyar zu. Nur für ein paar Sekunden zwar, aber sie offenbaren seine Müdigkeit.
Die anschliessende internationale Medienkonferenz bringt er wieder hinter sich, als habe er eine zweite Lunge. Magyar parliert in ausgezeichnetem Englisch, das er gar zu Hause mit seinen zwei Söhnen spricht, weil er findet, diese Sprache sei wichtig. Daneben beantwortet er Fragen auf Französisch ebenso souverän, da er einen Teil seiner Kindheit in der Romandie verbrachte. Überhaupt scheinen ihn solche Auftritte vor Publikum keineswegs zu stören. Ohne sich in den Mittelpunkt rücken zu müssen, der er aufgrund seiner Statur und seiner Position ohnehin ist, führt er souverän und eloquent durch die Programmpunkte.
Die Wagnisse von 2007 korrigiert
Bei einem der anschliessenden Einzelinterviews lässt er jedoch kurz aufblitzen, dass er sehr wohl einen harten Kurs fahren könnte, er seine Ellbogen einzusetzen wüsste. Als ihm einer der Journalisten eine unliebsame Frage gleich zu Beginn des Gesprächs stellt, verengen sich seine Augen kurz und sein Baritonlegt an Volumen zu.
Gegenstand des Gesprächs ist, wie Magyar sein Meeting präsentiert. Im vergangenen Jahr verzichtete «Weltklasse» auf Tempomacher und bezahlte mitunter deutlich weniger Antrittsgelder. Beides missriet. Athleten, die in Topform waren, wollten diese nicht in einem taktisch geprägten Rennen ungenützt verstreichen lassen. Andere Sportler wiederum sagten für Zürich ab, um andernorts für mehr Geld zu starten.
Fragen nach Bolt und Doping
Magyar korrigiert erst den inhaltlichen Fehler in der Journalistenfrage und beginnt dann zu referieren. Seine Kernbotschaft ist, dass sie ihre damaligen Entscheidungen überdacht und für die aktuelle Veranstaltung verworfen hätten. Dann fügt er an: Von den permanenten Fragen nach möglichen Weltrekorden halte er zudem wenig. Er wolle dem Publikum nicht irgendwelche Weltrekorde versprechen, wenn er schon im Vorfeld wisse, dass einem Athleten die Klasse oder Kraft dafür fehle.
Am Morgen musste er einem Team von «10 vor 10» zum zweiten drängenden Thema des Tages Auskunft geben. Ob solche Leistungen, wie sie Usain Bolt erreicht, ohne Doping möglich seien, will der Journalist wissen. Magyar steht mit verschränkten Armen im Garten des Athletenhotels, und als er antworten will, muss er wegen Helikopterlärms abbrechen und nach dessen Abklingen erneut beginnen. Die Antwort ist lange, die Botschaft in wenigen Sätzen verständlich: Bolt ist ein Ausnahmetalent, seine Entwicklung linear, er glaube deshalb an die Sauberkeit des Jamaicaners, auch wenn die Leichtathletik in den letzten Jahren arg gelitten habe.
Dann erfährt er, dass Kenenisa Bekele eingetroffen ist. Umgehend läuft er zum Empfangsschalter, um den Doppelolympiasieger über 5000 m und 10 000 m zu begrüssen. Die Hochspringerin Blanka Vlasic hat er zuvor ebenso abgepasst und sie wegen ihres verpassten Goldes aufzumuntern versucht. Er weiss: Details entscheiden selbst bei Weltklasse. Die Aufgabe des Patrons ist es, sie zu pflegen.
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