Pariser Out in der Champions LeagueEin Milliardär verliert komplett die Nerven
Handgemenge, Drohungen, wütende Spieler: Nach Abpfiff war in den Katakomben des Bernabéu-Stadions von Madrid fast mehr los als auf dem Rasen.

Nasser Al-Khelaifi fühlte sich betrogen, so viel steht wohl fest. Und falls alles stimmt, was Mitarbeiter von Real Madrid verbreiteten, als die 60’000 Zuschauer nach dem denkwürdigen 3:1-Sieg gegen Paris Saint-Germain ihre Herzrhythmen noch lange nicht wieder unter Kontrolle gebracht hatten – dann liess der katarische PSG-Präsident, der katarische Milliardär, in den Katakomben des Bernabéu-Stadions seinen Gefühlen derart freien Lauf, dass die Polizei nicht ohne Grund gerufen wurde.
Demnach wütete Al-Khelaifi im Kabinentunnel. Zusammen mit PSG-Manager Leonardo wollte er dem Schiedsrichter Danny Makkelie, 39, an die Wäsche. Denn in dem Niederländer sah Al-Khelaifi den Grund, dass sein Globetrotter-Projekt am Mittwochabend im Bernabéu kollabiert war. Der Traum vom ersten Champions-League-Titel für PSG überhaupt? Gescheitert. Vor aller Welt und mit gewaltigem Karacho. «Es war die Kapitulation des finanziell mächtigsten Clubs des Kontinents vor den Königen Europas», jauchzte Madrids Sportblatt Marca. Real Madrid ist mit 13 Titeln Rekordsieger der Champions League.
Wer nach mildernden Umständen für den Ausbruch Al-Khelaifis sucht, voilá: So einfach zu verdauen war es nicht, was sich auf dem Feld zugetragen hatte, es war keine Niederlage von der Stange. Sondern ein 1:3, das auf eine 1:0-Führung für PSG folgte, die bis zur 60. Minute Bestand hatte. Ach ja, und dann war PSG auch noch mit einem 1:0-Sieg aus dem Hinspiel nach Madrid gereist. In anderen Worten: Der Viertelfinaleinzug schien beschlossene Angelegenheit zu sein. Doch am Ende einer irren halben Stunde stand ein peinlicher und auch bezeichnender Champions-League-K.-o.. Obschon im Team nicht nur Mbappé steht, sondern auch Neymar und Lionel Messi. Aber eben auch Gianluigi Donnarumma, Torwart der italienischen Europameistermannschaft.

Donnarumma hatte urplötzlich im Zentrum der Partie gestanden, und am Ende auch der ganzen Turbulenzen im Kabinentrakt, die von PSG nicht in allen Details, aber grosso modo bestätigt wurden. PSG führte noch mit 1:0, als Donnarumma einen Rückpass am eigenen Fünfmeterraum annahm und sich so übertrieben selbstsicher gerierte, wie es die gesamte Mannschaft von PSG vorher gewesen war.
Todesdrohung gegen Real-Mitarbeiter
Fatal war das deshalb, weil Karim Benzema herangestürzt kam. Donnarumma spielte den Ball überhastet in die Füsse von Reals Stürmer Vinicius. Der brasilianische Stürmer passte zurück auf Benzema, und der schob ein. Das bedeutete nicht nur den zwischenzeitlichen Ausgleich. Sondern: das ganze Spiel kippte. In der 76. Minute spielte Luka Modric einen genialen Pass in den Strafraum auf Benzema, 2:1. Zwei Minuten später spielte PSG-Captain Marquinhos im Strafraum den Ball zu Benzema, und ehe Marquinhos das bereuen konnte, hatte Benzema seinen Hattrick komplettiert und damit auch noch die 308 Pflichtspieltreffer des unvergleichlichen Alfredo Di Stéfano im Dress von Real Madrid übertroffen. «Ich bin stolz», sagte Reals Captain.
Der Rest war dann irrelevant, zumindest im Vergleich dazu, dass Al-Khelaifi nach Spielschluss in die Katakomben hinunterlief, mit drohenden Gesten nach dem Schiedsrichter suchte, aber offensichtlich die falsche Tür aufbrach. Er landete bei einem Angestellten von Real Madrid, den er beschimpfte, bis es zu einem Handgemenge und einem Ruf kam, der Al-Khelaifi zugeschrieben wurde: «I'll kill you!», ich bring Dich um. Angeblich war er sauer, dass der Real-Bedienstete Handyaufnahmen vom versuchten Überfall auf Makkelie gemacht hatte. «Lösch die, sofort!», rief Leonardo.
Sauer auf Makkelie war der frühere Tennis-Profi Al Khelaifi deshalb, weil er im Duell zwischen Benzema und Donnarumma vor dem 1:1 ein Foul gesehen haben wollte. In Realzeit sah das – Fussball ist ja kein Tennis – eher nach einem zulässigen Körpereinsatz aus. Ein Einsatz des Videoschiedsrichters war also alles andere als zwingend geboten. Dass man es eher mit donnarumma'scher Dummdöseligkeit zu tun hatte, lässt sich anhand einer anderen Kolportage aus den Katakomben des Bernabéu schliessen: Neymar wollte angeblich Donnarumma an die Wäsche, weil der sich so tölpelhaft angestellt hatte. Und damit eine ähnlich grosse Demütigung wie das 1:6 von PSG beim FC Barcelona von 2017 heraufbeschworen hatte.
Billigwein für Al Khelaifi
Dass die Kunde von der Unbeherrschtheit Al Khelaifis sofort die Runde machte, hatte einen Grund – die Feindschaft zwischen beiden Clubs wegen der Super League, die Real Madrids Pérez vorantreibt, – und sie verfolgte ein Ziel. Der Welt zu zeigen, dass der Clubchef aus Katar sich zwar Haute-Couture-Anzüge leisten, aber sich nicht benehmen kann. Dass Pérez nur Verachtung für Al-Khelaifi übrig hat, hatte man schon am Mittwochmittag anhand eines kleinen Details erkennen können.
Pérez hatte, wie es das Protokoll gebietet, die Delegation von PSG ins «Zalacain» eingeladen, ein durchaus berühmtes Restaurant der gehobenen Kategorie im Nobelviertel Salamanca. Es gab Hummersalat als Vorspeise; Wolfsbarsch oder Rindsfilet als Hauptgang – aber auch Weine, die im Lichte des Rufs der Gaststätte eine kleine Beleidigung waren: einen (roten) Cune Reserva von 2015, der einen Supermarktpreis von 10,85 Euro hat, und einen (weissen) Nisia Verdejo von 2020, den man für 9,75 Euro bekommt. Es wäre fast aufrichtiger gewesen, der Milliardär Pérez hätte seinen Gästen gesagt: «Ach ja, und falls ihr Wein wollt', in der Nähe ist ein Getränke-Discount». Oder wollte er illustrieren, dass Madrid gerade spart?
Möglich wäre es, Pérez will im Sommer schliesslich für viel Geld den aufregenden Mbappé nach Madrid lotsen. Zuletzt hatte er sich zwar geziert, zu unterschreiben. Aber auch ihn dürfte fasziniert haben, wie Real Madrid es schaffte, über anderthalb Spiele hinweg zu enttäuschen – und dann doch den Viertelfinal an sich zu reissen, sprich: auf der Höhe des eigenen Mythos zu sein. «Reyes de Europa, somos los reyes de Europa ...», sangen die Fans im Bernabéu-Stadion zur Melodie des alten kubanischen Klassikers «Guantanamera». Gästetrainer Mauricio Pochettino hatte ein anderes Lied im Sinn; die Weise nämlich, die Doris Day berühmt gemacht hat. «Que será, será», sagte Pochettino, als er gefragt wurde, ob er den Rauswurf fürchte: Was geschehen wird, wird geschehen.
Die Uefa teilte am Donnerstagnachmittag mit, dass sie den Schiedsrichterbericht prüft. Zu Details äusserte sich der europäische Fussballverband nicht.
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