Ein Leben à la française
Schöne Frauen, Champagner und Kannibalen: Operetten-Erfinder Jacques Offenbach feiert seinen 200. Geburtstag. Prost!

Der Alkohol fliesst in Strömen, die Gäste sind illuster oder geben es wenigstens vor, es wird geflirtet, geliebt, betrogen: So muss es gewesen sein in den Pariser Salons des mittleren 19. Jahrhunderts, so ist es jedenfalls in den Operetten von Jacques Offenbach. Keiner hat den französischen Zeitgeist damals besser verstanden als dieser deutsche Komponist, der vor 200 Jahren als Jakob Offenbach in Köln geboren wurde. Deshalb feiern wir ihn hier mit allem, was zu einem schönen Operettenfest gehört.
Die Gäste ...
Napoleon III. ist tot, das Second Empire lange vorbei. Das intrigante, vergnügungssüchtige Pariser Leben, das Offenbach so grandios porträtierte und persiflierte, ist Geschichte. Oder doch nicht? All die Möchtegerns und Parvenüs in seinen Operetten, die trotteligen Vertreter der Upperclass und die Politiker, die aus Langeweile Krieg führen – die kennt man doch immer noch. Und wie bei Offenbach sind sie immer noch schwer empört, wenn ein anderer Schlaumeier noch schlauer war als sie selbst. Auch das macht die Qualität dieser Werke aus: Sie beziehen sich sehr präzis auf die damalige Gegenwart. Und lassen sich verblüffend leicht auf andere Gegenwarten übertragen.
... und ihre Frauen
Schön sind sie, so will es die Logik der Operette. Aber meistens auch klüger, durchtriebener und stärker als ihre Gatten und Verehrer. Ob es da um Wiedergutmachung ging? Jacques Offenbach war 36 Jahre lang mit der Spanierin Hérminie d'Alcain verheiratet, fünf Kinder hatten die beiden. Daneben hatte er eine jahrelange Affäre und zwei Kinder mit der Soubrette Zulma Bouffar.

La musique
Allen Vorurteilen zum Trotz: Offenbachs Musik ist nicht kitschig. Sondern leicht, schillernd, anspielungsreich und très française. So niveaulos sich seine Operetten-Figuren oft aufführen, musikalisch ist diese Niveaulosigkeit raffiniert umgesetzt. Die Instrumentation ist transparent, der Witz subtil – und das Ganze für die Interpreten durchaus heikel. Wer die Strukturen in einer klanglichen Sauce ersäuft, beleidigt Offenbach. Wer die Effekte überbetont, ebenfalls. Es gilt, die Balance zu halten zwischen dem Süffigen und dem Brüchigen. Und das Publikum kein bisschen merken zu lassen, wie schwierig das ist.
Es wird getanzt!
Sie kennen nichts von Offenbach? Doch, etwas ganz bestimmt: Den Cancan aus «Orphée aux enfers». Er ist ein Schlager, jedes Publikum klatscht sofort mit, und natürlich hat ihn auch Baz Luhrmann in seinem operettenhaften Kult-Filmmusical «Moulin Rouge» verwendet. Aber: Das Stück wird nicht in einem Cabaret getanzt, sondern in der Hölle (sein korrekter Titel lautet «Galop infernal»). Und anders als im Original-Mythos ist Orpheus in dieser Satire nur hier, weil ihn die personifizierte Öffentliche Meinung dazu gedrängt hat – eigentlich hat er längst genug von seiner Eurydike. Der Hit ist also eine ziemlich doppelbödige Angelegenheit. Man könnte es hören, wenn man wollte: im auffallend zögerlichen Start, im hysterisch überdrehten Tutti. Aber klar, man kann auch einfach mitklatschen.
Die Gratulanten
Das Personal von Offenbachs Operetten mag «lusch» sein, seine Fans waren es nicht. Der Komponist Giacomo Meyerbeer etwa, mehrfaches Opfer von Offenbachs Stilparodien, sass in den Bouffes-Parisiens oft in dessen Privatloge. Auch Richard Wagner hat sich respektvoll über ihn geäussert. Später hat der grosse Karl Kraus jeweils ganze Libretti vorgelesen, von der logischen Anarchie dieser Stücke geschwärmt und der Welt erklärt, warum die Wiener Operette nie so gut sein wird wie jene Offenbachs. Und dann war da noch der Soziologe Siegfried Kracauer, der 1937 mit «Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit» eines der klügsten Musikbücher überhaupt geschrieben hat. Wer verstehen will, wie Offenbach die Operettenhaftigkeit seiner Zeit verarbeitete und wie diese Zeit ihrem Zerrbild applaudierte, bis dann plötzlich alles vorbei war: Voilà, der muss dieses Buch lesen.

Der Esprit
Kann man Esprit definieren? Wohl nicht. Aber man muss ihn haben, um Offenbachs Werke aufführen und schätzen zu können. Dass nicht alle Regisseure das mitbekommen haben: Das verdirbt einem das Operettenfest manchmal ein bisschen.
Das Dîner
Achtung: Hier wird es nun ein wenig unappetitlich. Denn für einmal soll nicht die Rede sein von all den erlesenen Speisen, die in so vielen Offenbach-Stücken aufgetragen werden – sondern von der Operette «Vent du soir ou l'horrible festin», in der das finale Dîner etwas anders verläuft als üblich. Zwei verwitwete Kannibalenhäuptlinge feiern da ihre Versöhnung, und die ist vollkommen, auch wenn sich herausstellt, dass jeder die Ehefrau des anderen verzehrt hat. Artur dagegen, der die Tochter des einen heiraten möchte, ist dann zur Erleichterung aller doch nicht am Spiess gelandet. Immerhin.
Und prost!
«Je suis un peu grise» singt La Périchole in der gleichnamigen Operette, und die meisten Sängerinnen interpretieren das Stück, als seien sie nicht nur «ein bisschen beschwipst», sondern schwer besoffen. Das passt, denn es wird wirklich viel getrunken bei Offenbach. Nicht nur zum Vergnügen; in «La Grand-Duchesse de Gérolstein» etwa wird eine Schlacht gewonnen, nachdem man den Feind abgefüllt hat. Und in «Les contes d'Hoffmann» – einer der wenigen grossen Opern Offenbachs – betrinkt sich der Titelheld im ersten Akt aus Liebeskummer.
Aber wir feiern hier einen 200. Geburtstag, da hat Kummer nichts zu suchen. Also her mit den Gläsern, auf ein herzhaftes «Prost» – oder nein, zitieren wir lieber aus dem Prolog der «Contes d'Hoffmann»: «Glou! glou! glou! glou!»
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