Ein Küstenstädtchen gegen den Rest der Welt
Eine Piratengruppe aus dem somalischen Küstendorf Hobyo kapert regelmässig Schiffe aus der ganzen Welt. Ihr Handeln sehen sie gerechtfertigt – aus einem ganz bestimmten Grund.

Mohammed Garfanji, einer der am meisten gefürchteten Piraten Somalias, geht die Bildergalerie seines Handys durch. «Sehen Sie das da?», fragt er und zeigt das Foto eines Thunfischfangbootes. «Das ist nur ein paar Monate her, 20 Meilen vor Hobyo. Und das da, ein grosses spanisches Schiff.» Er hebt erwartungsvoll die Augenbrauen. «Ihre Armeen schicken Kriegsschiffe, damit Sie weiter unseren Fisch fangen können!»
Der kaum 30 Jahre alte Garfanji und seine Gesellen verbreiten im Indischen Ozean Angst und Schrecken und haben die mächtigsten Nationen der Welt herausgefordert. Sie kapern vor der Küste Somalias Frachter, bringen die Besatzung in ihre Gewalt und verlangen Lösegeld. Ein höchst lukratives Geschäft – und weil vor der Küste ihres Landes illegal gefischt und damit die Lebensgrundlage zahlreicher somalischer Fischer gefährdet wird, sehen sie ihr Handeln als rechtmässige Einkommensquelle an.
Heruntergekommenes Fischerdorf
Der Küstenort Hobyo, von dem aus Garfanji mit seiner kleinen Privatarmee aus agiert, sieht allerdings nicht aus wie die Schaltstelle eines Unternehmens, das den Welthandel gefährden könnte. Die heruntergekommenen Häuser und Hütten sind bereits halb vom Sand bedeckt, den die Winde unerbittlich in den früheren italienischen Hafen treiben. Die Gemeindeältesten klagen über fehlende Schulen und schlechtes Trinkwasser.
Vom Strand aus aber sieht man am Horizont die majestätische Samho Dream. Der südkoreanische Öltanker ist mehr als 300 Meter lang und hat an Bord irakisches Rohöl im Wert von geschätzten 170 Millionen Dollar (173 Millionen Franken). Die Entführung des Supertankers ist ein gewaltiger Coup: Die Samho Dream ist einer der drei grössten Frachter, die jemals entführt wurden. «Der alleine ist schon grösser als Hobyo», sagt ein Pirat, der sich ein Maschinengewehr über die Schultern gelegt hat, nicht ohne Stolz.
Zählmaschinen fürs Lösegeld
Die Piraten haben in den vergangenen Jahren Millionen Dollar an Lösegeldern erhalten; sie haben sogar Zählmaschinen, um schnell sichergehen zu können, dass so viel Geld gezahlt wurde wie ausgemacht. Die Anführer fahren in modernen Geländewagen. Die Bewohner von Hobyo haben eine Erklärung, warum von dem vielen Geld nichts bei ihnen landet: Es gehe zu einem guten Teil drauf, wenn die Piraten mit Drogen, Alkohol und Prostituierten eine erfolgreiche Aktion feiern.
«Wenn wir mehr Geld bekommen, dann rekrutieren wir mehr», sagt dagegen Fathi Osman Kahir. Kahir ist eine Art Piraterie-Investor. Er versorgt sie mit Schiffsdiesel und schafft Vorräte für Piraten und Entführte heran. Fliesst Lösegeld, bekommt er davon einen Löwenanteil. «Bis zu 500 Menschen arbeiten für uns, das sind zehn Prozent aller Einwohner», sagt Kahir. «Wir zahlen auch Gehälter!»
Die USA, die EU, die Nato – alle haben sie Kriegsschiffe in die Region geschickt, um den Frachtverker zu schützen. Der Marineeinsatz kostet geschätzte 40 Millionen Dollar am Tag, viel Erfolg hat er nicht. Zwar wurden Hunderte mutmassliche Piraten gefasst – die meisten wurden aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. Derzeit befinden sich 22 Schiffe in der Gewalt somalischer Piraten, so viele wie selten zuvor.
Wenig Gefahr für die Piraten
Und auch vom Land aus droht den Piraten im in verschiedene Gebiete zerfallenen Somalia wenig Gefahr. Ein Besuch des für den Kampf gegen die Piraterie in der Region Galmudug zuständigen Regierungsbeamten sorgt in Hobyo für wenig Aufregung. «Was soll ich machen, sie alle einsperren?», fragt Ismail Haji Noor. «Selbst wenn ich dazu in der Lage wäre, es wäre sinnlos. Ich kann den Piraten ja keine Alternative bieten.»
Er würde die Piraten gerne in eine Art Küstenwache umwandeln, die die Gewässer vor illegaler Fischerei schützt, sagt Noor. Dafür Entwicklungsgelder zu beantragen, ist aber ein hoffnungsloses Unterfangen. Und so wird Piratenführer Garfanji wohl noch so einige ausländische Fischfangboote fotografieren – und Grossfrachter kapern.
AFP/mrs
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