Ein geteiltes Haus
Die britische Labour-Partei zerlegt sich weiter. Immer mehr Abgeordnete stellen sich gegen das Programm von Parteichef Jeremy Corbyn.

Es gebe zwei Arten von Linken in Grossbritannien, schrieb kürzlich ein Kommentator im linken Guardian: Die einen hielten die Marktwirtschaft für ein notwendiges Übel, für die anderen stelle sie ein überflüssiges Übel dar.
Labour, die britische Arbeiterpartei, bewegte sich immer zwischen diesen beiden Polen: Im Lauf der Neunzigerjahre, mit Neil Kinnock und Tony Blair, schienen endgültig diejenigen die Oberhand gewonnen zu haben, die bereit waren, sich mit der Marktwirtschaft zu arrangieren. Nun, mit Jeremy Corbyn als Labour-Chef, schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung aus.
Ein Unterschied besteht allerdings zwischen Corbyn und jenen linken Labour-Politikern, die vor Kinnock und Blair den Ton angaben: Eine Politik, die marktwirtschaftliche Verhältnisse grundsätzlich infrage stellt, ist heute in Grossbritannien weitgehend diskreditiert. Schon in den Achtzigerjahren fand sich dafür im Volk keine Mehrheit mehr; Corbyn aber hat selbst seine eigene Parlamentsfraktion mehrheitlich gegen sich. Er stützt sich auf linke Aktivisten, die unter den Parteimitgliedern die Mehrheit stellen; gemässigte Karrierepolitiker im Parlament haben derweil Angst, von den Wählern für ihren ungeliebten Chef abgestraft zu werden.
Am Mittwoch wurde Labours Manifest für die Wahlen vom 8. Juni öffentlich. Dass dies gegen den Willen der Parteiführung geschah, sagt bereits einiges über den Zustand der Partei aus. Labour wolle zurück in die Siebzigerjahre, in denen Grossbritannien von Streiks und Arbeitslosigkeit geprägt gewesen sei, liess die Konservative Partei von Premierministerin Theresa May am Donnerstag verlauten. Praktisch gleichlautend titelten Daily Telegraph und Daily Mail, die im Wahlkampf ohnehin jede Distanz zur Regierungspartei aufgegeben haben.
Labours interne Konflikte, von den Zeitungen auch gerne als «Bürgerkrieg» bezeichnet, haben seit Bekanntwerden des Manifests einen neuen Höhepunkt erreicht: Einige Abgeordnete machen offenbar nur noch für sich selbst und gegen ihren Vorsitzenden Wahlkampf, indem sie den Wählern versprechen, Corbyn nach der Wahl abzusägen.
Erinnerung an 1983
Was im Programm steht, ist Very Old Labour: Kommentatoren fühlten sich reihenweise an 1983 erinnert, als die Partei unter Michael Foot mit einem Manifest in den Wahlkampf zog, das dessen Parteikollege Gerald Kaufman als «den längsten Abschiedsbrief eines Selbstmörders in der Geschichte» bezeichnete. 2017 sieht Labours Programm so aus: Die Eisenbahnen will die Partei nach und nach wieder verstaatlichen. Rückgängig gemacht werden soll auch die Privatisierung der Royal Mail, deren Aktien erst seit vier Jahren an der Börse gehandelt werden. In England will Corbyns Labour die Studiengebühren abschaffen (in Schottland gibt es solche ohnehin nicht mehr). An sich sind diese Forderungen populärer, als sich dies mancher Tory eingestehen mag. Doch sind die Briten wohl zu pragmatisch, als dass sie sich nicht fragen würden, wie all das finanziert werden soll. Der Thinktank Institute for Economic Affairs rechnete noch am Donnerstag vor, die Umsetzung des Programms würde jährlich rund 40 Milliarden Pfund kosten. Zwar will Labour den Spitzensteuersatz sowie die Steuer auf Unternehmensgewinne erhöhen, doch dürfte dies zur Gegenfinanzierung bei Weitem nicht ausreichen.
Beinahe vergessen ging über all den Diskussionen um Labours Wirtschaftsprogramm, dass das Manifest auch andere Politikfelder anschneidet: Was die Verteidigung betrifft, scheint Corbyn Kompromisse mit seinen Parteikollegen eingegangen zu sein. Bisher hatte er darauf bestanden, den Einsatz von Atomwaffen als Premier kategorisch auszuschliessen. Nun ist im Manifest die Rede davon, Labour trete für eine Erneuerung der Trident-Flotte ein, die Grossbritanniens Nuklearsprengköpfe trägt. «Doch jeder Premierminister sollte extrem vorsichtig sein, was den Einsatz von Massenvernichtungswaffen angeht, der in der unterschiedslosen Tötung von Millionen unschuldiger Opfer enden würde», heisst es abgesehen davon ebenso richtig wie banal.
Gravierender ist da schon, dass sich Labour auch hinsichtlich jener Frage, welche die britische Politik der kommenden Jahre dominieren dürfte, ähnlich nichtssagend ausdrückt – die Partei akzeptiere das Resultat des Brexit-Referendums, heisst es im Manifest, und weiter: «Eine Labour-Regierung wird das nationale Interesse an erste Stelle setzen. Wir werden mit Mays sorglosem Ansatz brechen und versuchen, das Land hinter einem Brexit-Deal zu vereinen, der allen nützt.» Aus diesen Worten geht nicht mehr hervor, als dass Labour die Politik der Premierministerin ablehnt; ein eigener Ansatz wird dieser freilich nicht entgegengestellt.
Gegen die Medien
Aussenstehende fragen sich, ob Corbyn und seine Unterstützer den Kontakt zur Realität verloren haben. Tom Crewe liefert in der linken London Review of Books eine durchaus überzeugende Erklärung für deren Wagenburgmentalität: Corbyns Anhänger empfänden die Berichterstattung der Medien als derart unfair, dass sie dem Labour-Chef umgekehrt alles verziehen. Sie meinten, die Medien umgehen zu müssen, um Wähler direkt anzusprechen.
Derartige Ansichten sind auch aus anderen Ländern bekannt, dort jedoch kommen sie eher auf der rechten Seite des politischen Spektrums vor. In Deutschland findet man eine ähnlich feindselige Einstellung gegenüber Journalisten bei der rechten AfD. Corbyn wiederum sagt Sätze wie: «Die Medien und das Establishment sagen, diese Wahl sei bereits entschieden», oder: «Wenn wir gewinnen, ist es das Volk, das gewinnt.» Er dürfte sich diesen Vergleich zwar verbitten, doch erinnert seine Rhetorik an jene Donald Trumps.
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