Burma vor UNO-Gericht«Ein Genozid wie aus dem Lehrbuch»
Im Verfahren um den Völkermord an Rohingyas sitzt plötzlich ein Vertreter der Militärjunta. Für das UNO-Gericht eine heikle Situation. Wer den verklagten Staat vor Gericht überhaupt vertreten darf, ist unklar.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat sich am Montag erneut mit der Völkermord-Klage befasst, die der Staat Gambia gegen den Staat Burma vorgebracht hat. Das höchste UNO-Gericht muss in diesem Verfahren entscheiden, ob Burma die sogenannte Völkermord-Konvention verletzt hat, wie es Gambia behauptet. UNO-Erkenntnisse legen nahe, dass das burmesische Militär mit «genozidaler Absicht» gehandelt hat, als es die muslimische Minderheit im Westen des Landes 2017 vertrieb. Was den Rohingya damals angetan wurde, bezeichnen die UNO-Ermittler als «Genozid wie aus dem Lehrbuch».
Doch das Verfahren war überschattet von Streitigkeiten, wer den verklagten Staat vor Gericht überhaupt vertreten darf. Denn das Militär hatte sich im Februar 2021 an die Macht geputscht und die demokratisch gewählte Regierungschefin Aung San Suu Kyi abgesetzt und eingesperrt. Am Montag wurde Aung San Suu Kyi, die ihr Land vor dem Coup in Den Haag selbst vertreten hatte, durch einen von der Junta bestimmten Vertreter ersetzt: Ko Ko Hlaing. Er dient den Generälen als Minister. Er trug nun die Beschwerde vor, dass er das Gericht gar nicht für zuständig erachte, das Verfahren durchzuführen.
Gambias Völkermord-Klage
Das Gericht ging auf den Wechsel des staatlichen Vertreters Burmas zunächst nicht ein. Kritiker befürchten einen Präzedenzfall, wenn ein internationales Gericht den herrschenden Generälen dadurch Legitimität verleiht, dass sie bestimmen dürfen, wer den Staat Burma im Gerichtssaal von Den Haag nun vertritt.
Die UNO-Generalversammlung betrachtet noch immer den bisherigen UNO-Botschafter und Junta-Gegner, Kyaw Moe Tun, als legitimen Vertreter auf internationaler Bühne, so lange jedenfalls, bis ein spezieller UNO-Akkreditierungsausschuss geprüft hat, wer das Land künftig vertreten soll. Burmas Untergrundregierung, die sich im Widerstand gegen die Putschisten formiert hat, ist der Ansicht, dass kein anderer als dieser UNO-Botschafter Burma vor Gericht vertreten könne. Aber er war in Den Haag nicht zu sehen.
Der Internationale Gerichtshof hat als oberstes UNO-Gericht die Aufgabe, juristische Streitigkeiten zwischen einzelnen Staaten zu regeln, häufig geht es dabei etwa um Gebietsstreitigkeiten. Im Falle der vertriebenen Rohingyas hat das afrikanische, überwiegend von Muslimen bevölkerte Land Gambia, mit Rückhalt der Organisation Islamischer Staaten, Burma wegen einer mutmasslichen Verletzung der UNO-Völkermord-Konvention verklagt. Nach der gewaltsamen Vertreibung der muslimischen Minderheit war zunächst auffallend, dass sich kein westliches Land bereit fand, ein solches Verfahren anzustossen. Manche glauben, dass der Prozess nicht leicht zu gewinnen sei. Andere spekulieren über mögliche geopolitische Gründe, weil das Verfahren die Kluft mit China, einem engen Verbündeten der Junta, weiter vergrössern könnte.
Aung San Suu Kyi hatte das eigene Militär vor Vorwürfen des Völkermordes in Schutz genommen. Das ruinierte ihren Ruf als Freiheitsikone.
In einer viel beachteten Vorentscheidung hatte der IGH Burma dazu aufgefordert, alles zu tun, um die Rohingyas vor einem Völkermord zu beschützen. Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass Burma versagt habe, einen Völkermord zu verhindern, so würde dies den Druck erheblich erhöhen, die Verantwortlichen international strafrechtlich zu verfolgen.
Aung San Suu Kyi hatte Burma in Den Haag vertreten und dabei das eigene Militär vor Vorwürfen des Völkermordes in Schutz genommen. Das ruinierte ihren Ruf als Freiheitsikone, Menschenrechtler kritisierten, dass sie sich schützend vor jene Generäle stelle, die schwere Verbrechen zu verantworten hätten. Das Militär dankte es ihr nicht, dass sie die Generäle vor Gericht entlastete. Sie entmachteten die regierende Staatsrätin, verschleppten sie und überziehen sie seither mit absurden Gerichtsverfahren. Die Junta ist international weitgehend isoliert, pflegt aber Kontakte mit Russland und China. Sie hat bislang vergeblich versucht, den UNO-Botschafter des Landes, Kyaw Moe Tun, von seinem Posten in New York zu verdrängen.
700’000 Flüchtlinge
Der Internationale Strafgerichtshof ist in einer komplizierten Lage, weil Burma dem Römischen Statut nicht beigetreten ist, das die rechtliche Grundlage des Gerichts bildet. In solchen Fällen müsste der UNO-Sicherheitsrat tätig werden und das Gericht mit einer Untersuchung beauftragen, doch Vetomächte wie China und Russland wären dafür nicht zu gewinnen. Der Strafgerichtshof hat dennoch erste Ermittlungen aufgenommen, was möglich ist, weil das Nachbarland Bangladesh ein Mitglied ist. Dorthin hatten sich 700’000 Rohingyas vor Verfolgung durch das Militär geflüchtet, untersucht werden in diesem Fall also mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit der Vertreibung, nicht aber der Kern der Vorwürfe: Völkermord.
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