Neue Resultate vom CernEin Dämpfer für die Suche nach neuer Physik
Am Cern sind Forschende seit Jahren einer neuen Naturkraft auf der Spur. Jetzt haben sie umfassendere Daten ausgewertet – und sind ernüchtert. Es gibt aber noch Hoffnung auf neue Physik.

Bereits seit 2013 summieren sich am Kernforschungszentrum Cern bei Genf die Hinweise auf ein neues Phänomen jenseits der bekannten Physik. «Es wäre die Entdeckung einer neuen Naturkraft und könnte unser Verständnis des Universums grundlegend verändern», verkündete Nico Serra im März 2021, als neue Resultate präsentiert wurden. Serra ist Professor für Experimentalphysik an der Universität Zürich.
Ein noch unbekanntes Teilchen, genannt Leptoquark, könnte diese neue, fünfte Naturkraft verkörpern. Die Leptoquarks wären auch ein Anknüpfungspunkt für die Lösung kosmischer Rätsel. Denn gemäss einigen Theorien können Leptoquarks im Gegensatz zu den heute bekannten Teilchen mit den Kandidaten der dunklen Materie wechselwirken und diese damit sichtbar machen.
Abweichung vom Standardmodell hat sich verflüchtigt
Nun haben Forschende noch umfassendere Datensätze des Detektors LHCb am Cern ausgewertet und gewisse Fehlerquellen eliminiert – mit ernüchterndem Resultat: Zumindest einer von mehreren Hinweisen auf neue Physik hat sich nun verflüchtigt.
Sichtbar wurden die Abweichungen beim Zerfall gewisser Teilchen, sogenannter B-Mesonen, die bei der Kollision von nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Protonen am LHCb zuweilen entstehen. Das Standardmodell der Teilchenphysik besagt, dass bei deren Zerfall eine gewisse Symmetrie zu beobachten ist – die Fachwelt spricht von Leptonen-Universalität. Gemäss den neuesten Publikationen des LHCb-Teams ist die Leptonen-Universalität bei einem gewissen Zerfall der B-Mesonen erfüllt – im Gegensatz zu früheren Resultaten zeigen sich also keine Abweichungen vom Standardmodell.
Es bleibt noch Raum für eine fünfte Naturkraft
«Wir hatten gehofft, dass diese neuen Resultate die Abweichung vom Standardmodell vergrössern würden», sagt Serra. «Nun haben sich die Resultate dem Standardmodell angenähert. Es bleibt aber immer noch Raum für eine neue, fünfte Naturkraft in den Zerfällen der B-Mesonen.»

Die Hypothese einer neuen Naturkraft, vermittelt durch das Leptoquark, basiere eben nicht nur auf diesen Daten, sagt Gino Isidori, theoretischer Teilchenphysiker an der Universität Zürich. «Viele Argumente, die für das Postulat einer neuen Physik sprechen, sind immer noch vorhanden. Aber insgesamt haben wir jetzt weniger experimentelle Hinweise dafür. Das ist natürlich etwas enttäuschend. Aber so ist die Natur.»
Der Fokus liegt nun auf Experimenten in Zusammenhang mit dem Zerfall der B-Mesonen in sogenannte Tau-Leptonen. Daten zu diesen Zerfällen kommen laut Isidori nicht nur vom LHCb, sondern unabhängig von anderen Experimenten: von Messungen mit den Detektoren CMS und Atlas, ebenfalls am Cern, und vom Belle-II-Experiment in Japan. «Wir hoffen, dass wir sehr bald mehr über dieses interessante Phänomen lernen können.»
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