Abschied von Valentin StockerEin Boot auf dem Vierwaldstättersee und eine Demo auf dem Barfi
Valentin Stocker verlässt den FC Basel nach 416 Spielen, 101 Toren und mit 10 Titeln. Die BaZ blickt zurück auf weitere Zahlen einer grossen Karriere.

1 Boot
Vielleicht besitzt er inzwischen auch ein zweites, durchaus denkbar. Oder gar keins mehr. Aber der Vierwaldstättersee war schon immer Stockers Rückzugsort. Als er zu Beginn seiner Karriere mal gefragt wurde, wo er dem ganzen Trubel um seine Person am besten aus dem Weg gehen könne, sagte er: «Auf dem Boot meiner Familie.» Und später in der Karriere besitzt er dann sein eigenes, Occasion, Jahrgang 1993. Und so ist das Boot irgendwie zum Symbol für Stocker geworden, der fussballerisch mit dem FCB verwachsen ist. Seine Heimat wird für den Krienser aber immer die Zentralschweiz bleiben.
2 Söhne
Es ist erst ein paar Tagen her, da ist Valentin Stocker mit seiner Frau und den frisch geborenen Zwillingen entspannt durch Basel geschlendert. «Ich zeige ihnen die Stadt», hat Stocker gesagt und wirkte äusserst zufrieden in der Rolle, auf die er so lange verzichtet hat. Stocker hat in all den Jahren gesehen, wie andere Mitspieler die ersten Worte oder Schritte ihrer Kinder verpasst haben. «Das wollte ich für mich persönlich anders», sagt er. Und in den letzten Wochen hat er bewiesen, wie konsequent er diesen Weg verfolgt: Obwohl er gerne zum Auswärtsspiel nach Marseille gereist wäre, entscheidet er sich dagegen. Und für seine Frau und seine Söhne.
6 Gegentore gegen Winterthur

Sportlich ist es wohl eine der dunkelsten Stunden, dieses 2:6 gegen den FC Winterthur im Schweizer Cup. Am 17. Februar 2021 wird der FCB im leeren Stadion vom Team aus der Challenge League gedemütigt. Stocker sagt in einem Interview mit SRF, dass der FCB offensiv ohne Konzept agiere. Diese Worte werden ihm als Kritik an Trainer Ciriaco Sforza ausgelegt, und Stocker wird in der Folge beurlaubt. Als er sich beim Club nach den Gründen erkundigt, werden ihm zwei Dinge genannt: Er sei nicht mit dem richtigen Auto zum Training gekommen und habe keine Mietwohnung in Basel. «Ich hatte in diesem Moment auch das Gefühl, dass nach einem Vorwand gesucht wurde», sagt Stocker danach in einem BaZ-Interview. Dieses Gefühl hat nicht nur er.
8 Kilogramm

Gemäss den Regeln der Swiss dürfen Katzen und Hunde bis zu acht Kilogramm (inklusive Transporttasche!) in der Kabine mitreisen. Es sei denn, man kennt einen Mann namens David Degen, der nicht nur im Fussball gut vernetzt ist, sondern auch in anderen Bereichen. Degen hat Stocker vor vielen Jahren einen Gefallen getan, indem er seine Kontakte zur Airline spielen liess. Danach durfte Stocker auch mit seinem rund zehn Kilogramm schweren Hund in die Kabine. Aber auch Stocker hat schon geholfen, indem er sich damals für Degen einsetzte, als dieser unter Trainer Murat Yakin keine einfache Zeit hatte.
10 Titel
Stocker wird mit dem FC Basel sechs Mal Schweizer Meister (2008, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014), und er gewinnt vier Mal den Schweizer Cup (2008, 2010, 2012, 2018). Nicht nur in dieser Kategorie verabschiedet er sich mit einer runden Zahl in den Ruhestand.
14 Skorerpunkte

Mit keinem anderen Gegner ist seine Karriere so eng verwoben wie mit den Young Boys. 34 Mal hat er gegen YB gespielt, 13 Mal gewonnen und 12 Mal verloren. Das ist keine besonders bemerkenswerte Statistik. Auch die vier Tore und zehn Vorlagen wirken auf den ersten Blick nicht speziell. Aber es sind nicht irgendwelche Skorerpunkte: 2008 und 2010 entscheidet er die beiden Finalissimas mit jeweils einem Tor und einem Assist quasi im Alleingang und macht sich in Bern nur schon damit zur Reizfigur auf Lebzeiten. Auch wenn Stocker gegen YB zuletzt nicht mehr so erfolgreich war, so ist er doch in kaum einem anderen Stadion so herzhaft ausgepfiffen worden wie im Wankdorf.
100 Europacup-Spiele

100 Europacup-Partien hat Stocker in all den Jahren bestritten, auch hier eine schöne runde Zahl, hinter der unzählige Erinnerungen und Emotionen liegen. Sein erster Treffer in der Qualifikation zur Champions League gegen Guimaraes. Das Tor im Hinspiel gegen die Bayern. Der ganze Wahnsinn beim 2:2 gegen Tottenham an der White Hart Lane, als Stocker – nicht zum einzigen Mal – ein Tor und ein Assist gelingen. Oder auch zuletzt die Europa-League-Kampagne 19/20, als Stocker die Basler als Captain zum Finalturnier in die Schalker Arena führt. In den 100 Einsätzen sind auch drei Spiele für die Hertha vermerkt. Die Partien gegen Bröndby (1:3), Östersund (0:1) und Zorya Lugansk (2:0) werden es aber kaum in Stockers Best-of schaffen.
101 Tore
Jetzt ist klar, dass er Marco Streller mit dessen 144 Treffern nicht mehr einholt. Aber das hat Stocker vor ein paar Wochen ja auch nur zum Spass gesagt. Und immerhin hat er mit seinen Toren gegen Luzern trotzdem eine magische Marke durchbrochen: Stocker hat 101 Tore für den FCB erzielt und liegt auf dem zwölften Rang der besten Torjäger. Zwei Tore fehlen ihm, um Otto Haftl zu überholen, mit Roberto Frigerio gleichzuziehen und somit in die Top Ten vorzustossen. Aber noch ist die Saison ja nicht vorbei…
220 Tage
Am 23. April 2011 passiert es. Im Spiel gegen die Young Boys will Stocker in der 53. Minute Scott Sutter den Ball abnehmen, als das rechte Bein einknickt. Die Untersuchung bestätigt den Verdacht: Das vordere Kreuzband ist gerissen, und nach einer Operation am Ostermontag muss Stocker 220 Tage pausieren. Es ist die schwerste Verletzung seiner Karriere und gleichzeitig auch eine Warnung. Viel zu lange unterdrückt der junge Stocker die Erschöpfung und die Müdigkeit. Zwar fällt er während seiner Karriere immer wieder mal mit Muskelverletzungen oder einem Meniskusriss aus. Aber nie mehr so lange wie 2011.
416 Spiele

Er hat es angekündigt: «Ich werde mich am Sonntag auf den Platz schleppen, keine Angst.» Und damit ist auch klar, dass er seine aktive Karriere am Sonntag mit 416 Spielen für den FC Basel beendet. Nur vier Spieler sind häufiger zum Einsatz gekommen: Jörg Stohler (425), Otto Demarmels (446), Massimo Ceccaroni (452) und der frischgebackene Rekordmann Fabian Frei (455). Die Basler Fans sollten es also noch mal geniessen, Frei und Stocker ein letztes Mal zusammen auf dem Platz zu sehen.
163 Liter Leitungswasser
So viel verbrauchen die Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich an einem Tag. Valentin Stocker dürfte da um mindestens zwei Liter höher liegen – und das weniger, weil er lieber badet als duscht und dabei auch mal das Wasser beim Einseifen laufen lässt. Sondern vielmehr, weil er kaum etwas anderes trinkt: Seit Jahren Botschafter von «Wasser für Wasser», behauptet er von sich selbst, zu 98 Prozent Leitungswasser zu trinken. Bedeutet: Selbst im Training und bei Spielen war seine Trinkflasche mit Hahnenburger gefüllt. Allerdings hatte er stets auch noch eine zweite Buddel mit elektrolythaltigem Gemisch dabei. Denn: «Profifussball geht fast nicht ohne.»
1000 Menschen

Am 1. März versammeln sich knapp 1000 Fans auf dem Barfüsserplatz. Sie sind aus Sorge um ihren Verein gekommen, der nicht nur wegen der Corona-Krise taumelt. Es gibt erste Gerüchte um den Einstieg einer Investorengruppen namens Centricus. Der Auslöser für die Kundgebung ist allerdings die Beurlaubung Stockers. Passend dazu treffen sich die Basler Fans am Tag von Stockers letztem Spiel erneut im Zentrum der Stadt und laufen von dort am Sonntag zum Stadion. Die Vorzeichen könnten aber nicht unterschiedlicher sein als vor etwas mehr als einem Jahr. «Dasmol aber nid mit Unmuet, sondern mitem Ziel Joggeli, zum ihn e letschts mol als Captain vo uns fiire», schreibt die Muttenzerkurve auf ihrer Website.
1900
So heisst das Café, in dem Stocker die BaZ im November 2015 empfängt. Berlin-Charlottenburg, zwischen Uhlandstrasse und Savignyplatz. Mitten in der Hauptstadt, mitten in der Anonymität. Darum geniesst Stocker die Zeit in Berlin so sehr, weil er Fussballer ist, wenn er die Hertha vor dem Abstieg bewahrt oder wenn es mal Meinungsverschiedenheiten mit dem Trainer gibt. Aber am Nachmittag kann er abtauchen und einfach das Leben geniessen, wie es in der Schweiz kaum möglich wäre. Stocker interessiert sich auch für andere Dinge. In einem Winter erkundigt er sich, wie er Obdachlosen in der Stadt helfen könne. Danach kauft er Winterjacken von einem Budget, das er von einem Sponsor noch übrig hatte. Als Stocker nach dreieinhalb Jahren in Berlin im Dezember 2018 nach Basel zurückkehrt, merkt man, wie sehr er sich als Mensch entwickelt hat.
2020 Minuten

Wie bei Fabian Frei ist auch Stockers Beziehung zum Schweizer Nationalteam nicht nur einfach. 36 Spiele hat er für die Schweiz bestritten und insgesamt 2020 Minuten auf dem Platz gestanden. Davon allerdings «nur» 45 bei einer Endrunde, an der WM 2014, als er im Auftaktspiel gegen Ecuador in der Startelf stand. In Erinnerung bleibt auch die «Balkangraben»-Affäre, als Stocker plötzlich verdächtigt wurde, der Maulwurf zu sein, der der Presse Informationen verraten hat. Seine Mitspieler und auch der Verband stellen sich hinter Stocker, es ist ihm wichtig. So wie es ihm auch wichtig ist, dass der FCB sich nach dem Besitzerwechsel für die heimlich gefilmten Aussagen von Karli Odermatt in einem Basler Hinterhof bei ihm entschuldigt.
486’772 Kilometer
Das ist die Anzahl Kilometer, die Valentin Stocker in elfeinhalb Saisons als FCB-Profi mit dem Auto an Arbeitsweg zurückgelegt hat. Jedenfalls dann, wenn man – wie in anderen Berufen üblich – 220 Arbeitstage rechnet. Tatsächlich dürften es nicht nur aufgrund von Verletzungs- und Babypausen einige weniger gewesen sein, sondern hat er zu Beginn ja auch noch im FCB-Wohnheim gewohnt und danach womöglich auch mal den Zug genommen. Doch wo auch immer die Zahl zu liegen kommt: Bei einem Erdumfang von 40’075 Kilometern kommt man nicht um die Feststellung herum, dass Stocker den Globus mehrere Male umrundet hat, um jeweils zum FCB zu gelangen.
Tilman Pauls arbeitet seit fast zehn Jahren für die Sportredaktion der Basler Zeitung und beschäftigt sich seit 2013 intensiv mit dem FC Basel.
Mehr Infos@tilman_pOliver Gut schreibt seit März 2000 für das Sport-Ressort der Basler Zeitung, das er seit 2019 leitet. Vorher für diverse Sportarten zuständig, konzentriert sich der Fricktaler seit 2011 auf den Fussball – und damit hauptsächlich auf den FC Basel.
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