Ein alter Feind, neu entdeckt
Die SVP sieht die Gewerkschaften als die eigentlichen Gewinner der Personenfreizügigkeit.

Die SVP hat gestern ihr neues Positionspapier zum Werkplatz Schweiz vorgestellt. Dabei fokussierte sie sich vor allem auf die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit (PFZ) mit der EU auf den Schweizer Arbeitsmarkt. Wie die Voten der anwesenden Parlamentarier zeigten, weiss die SVP erwartungsgemäss nichts Gutes von dieser Front berichten: «Die Personenfreizügigkeit hat uns mehr Ausländer und mehr arbeitslose Ausländer gebracht. Die flankierenden Massnahmen haben unseren liberalen Arbeitsmarkt total zerstört», so die vernichtende Bilanz der Partei.
Es sind dabei die Gewerkschaften, welche aus der Sicht der SVP die wahren Gewinner der Personenfreizügigkeit sind. Die Arbeitnehmerverbände wurden in der gestrigen Medienkonferenz denn auch ungewohnt scharf angegangen. «Ich habe ja noch einen gewissen Respekt davor, wie es die Gewerkschaften seit der Einführung der PFZ geschafft haben, die Situation für sich optimal auszunutzen», räumte Martullo-Blocher ein. Dass sie und ihre Parteikollegen jedoch alles andere als zufrieden mit dem Ergebnis dieses gewerkschaftlichen Erfolgs sind, wurde gestern auch klar.
So verwies die Partei vor allem auf qualitative Verschiebungen im hiesigen Arbeitsmarkt, die gemäss der SVP eine direkte Folge der Personenfreizügigkeit und den damit einhergehenden flankierenden Massnahmen sind: «Diese Massnahmen führten zu einem stark regulierten und staatlich kontrollierten Arbeitsmarkt.» Dabei sei der freie Arbeitsmarkt traditionell eine der grössten Stärken des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden hierzulande ihre Arbeitsverhältnisse flexibel und «nach individuellen Bedürfnissen» unter Vertragsfreiheit regeln.
Von diesem Idealzustand hätte man sich seit der Einführung der PFZ immer weiter entfernt: Mittlerweile sei jeder zweite Beschäftigte in der Schweiz einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt, jeder dritte unterliege einer Mindestlohnregelung und jeder vierte habe zumindest einen branchenverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag, rechnete die SVP gestern vor. Diese Entwicklung spiele natürlich vor allem den Gewerkschaften in die Hände.
Geldmaschine GAV
SVP-Nationalrat Thomas Aeschi zeigte auf, weshalb die Gewerkschaften ein Interesse daran hätten, die Zahl der allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge immer weiter zu erhöhen: Die GAV seien regelrechte Geldmaschinen – für Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände gleichermassen.
Aeschi rechnete vor, dass beispielsweise der GAV in der Baubranche der Gewerkschaft UNIA jährlich rund 8,5 Millionen Franken an Einnahmen bescheren würde, dem Arbeitgeberverband fliessen noch gut 1,6 Millionen Franken zu. Zusammengerechnet entspreche dieser Betrag gut 25 Prozent von dem Geld, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer jährlich als Abgaben an die Paritätische Kommission abliefern müssten.
Für die Gewerkschaften waren die flankierenden Massnahmen ganz sicher ein Segen. Zumal diese seit Längerem an Mitgliederschwund leiden. «Trotz Mitgliederzahlen von nur 15 Prozent sämtlicher Arbeitnehmer vertreten die Gewerkschaften offiziell rund die Hälfe der Beschäftigten», erklärt Aeschi die heutige Situation.
Die Reaktion der Gewerkschaften liess nicht lange auf sich warten. «Mit der heutigen Medienkonferenz hat die SVP die Maske fallen gelassen. Die von ihr geforderte Abschaffung der Personenfreizügigkeit und der flankierenden Massnahmen ist ein Frontalangriff auf den Schweizer Lohn- und Arbeitnehmerschutz», hielt beispielsweise der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) in seiner gestrigen Medienmitteilung fest.
Der SGB erinnerte zudem daran, dass die flankierenden Massnahmen zum Schutz des Schweizer Lohnniveaus nötig seien. Dank den zahlreichen Gesamtarbeitsverträgen seien die Löhne der tiefen und mittleren Einkommen in der Schweiz in der Vergangenheit gar gestiegen.
Front im Abstimmungskampf
Nebst dem zunehmend überregulierten Schweizer Arbeitsmarkt und dem Erstarken der Arbeitnehmerverbände ist für die SVP natürlich auch noch immer die Zuwanderung als solche ein ungelöstes Problem: Seit der Einführung der PFZ ist der Ausländeranteil in der Schweiz von 20 auf gut 25 Prozent gestiegen. Die Zahl der arbeitslosen Ausländer sei doppelt so hoch wie jene der Schweizer Arbeitskräfte. Dabei hätten gerade jene Branchen eine überdurchschnittliche Zuwanderung, welche auch die höchsten Arbeitslosenquoten verzeichnen würden – zum Beispiel die Bauwirtschaft oder das Gastgewerbe.
Aus all diesen Gründen ist für die SVP klar: Die Personenfreizügigkeit muss mit Brüssel neu verhandelt werden. Falls dies nicht möglich sein sollte, sei es am Bundesrat, diesen bilateralen Vertrag aufzukünden. Diese Stossrichtung konkretisierte die Partei schon vor gut zwei Wochen, als sie die sogenannte Begrenzungsinitiative lancierte. Die gestrige Medienorientierung diente ganz offensichtlich auch dazu, diesem Anliegen zusätzliche inhaltliche Substanz angedeihen zu lassen. Die Sorge um den freien Arbeitsmarkt ist dabei eine neue Front im Kampf gegen die Personenfreizügigkeit.
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