Eigener Erfolg wurde Danuser zum Verhängnis
Er erhob St. Moritz zum Weltkurort. Und er half mit, die Albulalinie zum Welterbe zu machen. Trotzdem muss der St. Moritzer Kurdirektor Hanspeter Danuser Ende Saison abtreten.
Der Himmel ist bewölkt, was in St. Moritz nur ausnahmsweise der Fall ist. Ansonsten ist alles wie gewohnt: das Treiben auf dem Bahnhof geschäftig, das Bähnchen rot, die Abfahrt pünktlich und Hanspeter Danuser begeistert. Der St. Moritzer Kurdirektor sitzt im Abteil erster Klasse und blickt aus dem Fenster, als der Zug aus dem Bahnhof rollt. Seit drei Jahrzehnten arbeitet er hier - mit dem Oberengadiner Panorama als Kulisse. Trotzdem wirkt sein Entzücken so spontan, als bemerke er dessen Schönheit das erste Mal.
Danuser beherrscht sein Handwerk. Die Bilanz nach dreissig Amtsjahren: Der Kurdirektor hat St. Moritz in die Liga der globalen Top-Destinationen geführt. Er kreierte für sein Dorf den unbescheidenen Slogan «Top of the World» und liess den Namen St. Moritz als Marke schützen - dosierte Provokationen, mit denen der heute 61-Jährige sich und seine Destination in den Schlagzeilen hielt.
Hinzu kommt sein Instinkt. Früher als andere erkannte Danuser das Potenzial des asiatischen Markts und begann ihn zu beackern. Mit Erfolg. Und früher als anderen war ihm klar: Das rote Bähnchen, das sich auf einer imposanten Strecke durch Graubünden schlängelt, ist eine Perle - eine Perle, die es zu polieren gilt. Gewiss ist Hanspeter Danuser nicht der einzige Bündner Bahnpionier. Doch ausser Frage steht: Es ist auch sein Verdienst, dass in den 80er-Jahren der Glacier-Express zwischen St. Moritz und Zermatt wiederbelebt und dass zwei Jahrzehnte später die Albula-Bernina-Strecke der Rhätischen Bahn zum Weltkulturerbe geadelt wurde. So ist die Fahrt mit dem Noch-Kurdirektor Richtung Berninapass so etwas wie ein Besuch bei Danusers Vermächtnis - in Begleitung des Vermachenden.
Die Unesco-Auszeichnung ist gewissermassen Danusers Abschieds-Triumph. Denn die laufende Sommersaison ist seine letzte. Danach behält er zwar einige Aufgaben, doch als Chef muss er zurücktreten. Den Kurverein wird es ab Herbst in der heutigen Form nicht mehr geben. Und den Chefposten der neu geschaffenen Tourismusorganisation Engadin-St. Moritz, die den Oberengadiner Tourismus künftig zentral managt, hat Danuser nicht bekommen. Obschon er sich beworben hatte.
Das Spargelprinzip
Dass ihn der unfreiwillige Abschied wurmt, sagt Danuser nicht direkt. Aber indirekt. Erst schickt er voraus: «Wenn man findet, es sei Zeit für einen Generationenwechsel, ist das absolut legitim.» Doch dann sagt er: «In der Schweiz gilt das Spargelprinzip: Wenn einer den Kopf zu hoch hat, kommt der Rasenmäher.» Und er ergänzt: «Es ist sicher so, dass einige nach dreissig Jahren definitiv genug haben von mir. Dieses Risiko geht man ein, wenn man polarisiert.»
Mit dieser Einschätzung dürfte Danuser richtig liegen: Er ist in seinen dreissig Jahren derart vielen auf die Füsse getreten, dass die Retourkutsche irgendwann kommen musste. Man könnte auch sagen: Danuser sind die gesammelten Kehrseiten seiner Triumphe, die er für St. Moritz errungen hat, zum Verhängnis geworden.
Angefangen bei seiner Leistung, aus St. Moritz das alpine Mekka des globalen Jet-Sets geformt zu haben. Für die fünf lokalen Fünf-Sterne-Hotels ist das ein Segen. Ihre 5200 Betten entsprechen einem Drittel der St. Moritzer Hotelbettenkapazität. Die anderen zwei Drittel bekämen die Rückseite der Glamour-Etikette zu spüren, sagt Silvia Degiacomi, Chefin eines Vier-Sterne-Hotels und bis vor kurzem Präsidentin des St. Moritzer Hoteliervereins. «Das Problem des St. Moritzer Images ist, dass alles, was nicht ins Top-Bild passt, gar nicht wahrgenommen wird.» Es sei fast unmöglich, sich als Nicht-Luxus-Hotel bemerkbar zu machen, wenn sich das Marketing ans «Top of the World»-Publikum richte.
Es waren die Hoteliers, die darauf bestanden, dass sich Danuser wie jeder andere Kandidat bewerben müsse, wenn ihn die Leitung der Tourismusorganisation interessiere. Ein rebellischer Akt der Anti-Champagner-Liga? Danuser sagt: «Ich bin mir bewusst, dass nicht alle Hoteliers meine Freunde sind. Damit kann ich leben. Den Anspruch, alle glücklich machen zu wollen, habe ich schon lange aufgegeben.»
Verbitterung der Einheimischen
Vor dem Zugfenster ziehen Lärchenhaine, Felsbänder, Bergspitzen und Seeidyllen vorbei. Eine Art monumentales Open-Air-Kino - allerdings mit dem Makel, dass es alle paar Minuten zum Filmriss kommt: Naht eine Ortschaft, verschwindet die Natur. An ihrer Stelle: Häuser, Häuser, Häuser (oder Baugruben), die meisten im Pseudo-Heimatstil, die meisten mit geschlossenen Fensterläden. Es sind die Zeugnisse des Zweitwohnungs-Baubooms, an dem das Tal zu Ersticken droht - noch eine Kehrseite des Engadiner Erfolgs.
Danuser kämpft seit Jahren für die Eindämmung der Bauwut. Er sagt: «Ein Kurdirektor in den Bergen muss ein Grüner sein, wenn er halbwegs bei Trost ist. Unser Angebot ist die Natur. Machen wir diese kaputt, machen wir alles kaputt.» Also tritt er dafür ein, dass der Zweitwohnungsbau beschränkt wird. Also schreibt er in der Lokalzeitung gegen einen Turmbau an, den die Engadiner Bergbahnen in Celerina realisieren wollten. Also wirbt er für einen neuen Zweitwohnungstyp, bei dem sich der Eigentümer verpflichten muss, die Wohnung zu vermieten.
Wer sich so exponiert, schafft sich Feinde - viele Feinde. Denn im Tal verdienen viele am Bauboom mit: Baufirmen, Immobilienhändler, Architekten, Juristen. Überdies haben Beschränkungen des Zweitwohnungsbaus haben zur Folge, dass die ohnehin astronomischen Immobilienpreise zusätzlich ansteigen. Darunter leiden besonders die Einheimischen - nicht wenige können sich das Leben in St. Moritz nicht mehr leisten und müssen wegziehen.
Danuser sagt: «Einheimische, die aus St. Moritz weggedrängt werden, sind verständlicherweise verbittert.» Das sei Gift für den Tourismus: «Sind die Einheimischen nicht mehr zufrieden, entsteht eine Stimmung, die auch für die Gäste unangenehm ist.» Umso wichtiger sei, dass in Top-Destinationen mit gezielten Massnahmen für ein gesundes Verhältnis von Erst- und Zweitwohnungen gesorgt werde.
Schliesslich hat auch das kurdirektorielle Dauer-Engagement für den öffentlichen Verkehr seinen Preis. Er sei von den lokalen Garagisten «fast gegrillt» worden, so Danuser, als er in den 80er-Jahren den Glacier-Express zu vermarkten begonnen habe. Hier, wo Range Rover und Audi die Weltpremieren ihrer Modelle durchführen, setzt der Kurdirektor auf eine rote Schmalspurbahn - das Kopfschütteln war heftig.
«Bahnfreak, aber kein Pufferküsser»
St. Moritz steht noch heute im Fokus der Luxusautoindustrie: Hier lässt BMW-Sauber seinen Formel-1-Piloten Nick Heidfeld zu Unterhaltungszwecken Runden drehen. Hier treffen sich Lamborghini-Piloten («120 brüllende Kampfstiere in St. Moritz»). Hier ist die Basis des exquisiten «St. Moritz Automobile Club». Allerdings: Anders als seine übrigen Engagements scheint Danusers Bahn-Engagement heute kaum mehr Kritiker zu haben. Die Zeitumstände spielen im in die Hände: «Je höher der Ölpreis, umso wertvoller werden die Investitionen in die Bahninfrastruktur», sagt der Kurdirektor.
Der rote Zug ist auf der Rückfahrt nach St. Moritz. Danuser, der von sich sagt, er sei «ein Bahnfreak, aber kein übertriebener - weder ein Bahnsexueller noch ein Pufferküsser», kommt ins Sinnieren. Hätte er noch einmal dreissig Jahre, wüsste er, was anpacken: «Einen Tunnel zwischen Scuol im Unterengadin und Mals im Südtirol - zwanzig Kilometer durch den Berg, und die Ostalpenbahn wäre perfekt.» Für einen Moment beginnt Danusers zerfurchtes Bergführergesicht zu leuchten wie ein Kindergesicht vor dem Weihnachtsbaum. «Eine direkte Bahnlinie von der Adria zum Bodensee - das wäre irrsinnig.»
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