Ehrenrettung einer angestaubten Auszeichnung
Rapper Kendrick Lamar wird mit dem Pulitzerpreis für Musik geehrt – oder umgekehrt.

Preise sind immer nur so viel wert wie die Personen, denen sie überreicht werden. Das zeigt die Kontroverse, die in den letzten zwei Wochen um die Echo-Verleihung entbrannt ist. Der Deutschen Phono-Akademie ist durch die unbedachte Ehrung eines frauenfeindlichen, homophoben und antisemitischen Hip-Hop-Albums ein beachtlicher Image-Schaden entstanden. Am Mittwochabend zog der Branchenverband eine radikale Konsequenz und schaffte den Echo in seiner bisherigen Form ab (BaZ von gestern).
Deutlich geglückter ist die Wahl der amerikanischen Pulitzer-Jury ausgefallen, die fast zeitgleich bekannt gegeben wurde. Dass der nach dem Verleger Joseph Pulitzer benannte Preis seit 1943 neben Journalisten und Literaten auch Komponisten und Musikern zuteil wird, dürfte vielen bis zu diesem Datum entgangen sein. Zu einseitig – man könnte auch sagen: angestaubt – war die Auswahl seit jeher. Klassik und E-Musik dominierten die Auswahl, obschon die Statuten bewusst offen formuliert sind: «Für eine bemerkenswerte musikalische Aufführung durch einen Amerikaner, die ihre Premiere oder Aufnahme in den Vereinigten Staaten während des Jahres hatte.»
Der ungeschönte Blick
Der Jazz kam in den bisherigen 75 Verleihungen lächerliche drei Mal zum Zug; Duke Ellington stand 1965 auf der Liste, doch das Komitee widersetzte sich der Jury, und der Preis musste ausgesetzt werden. Umso überraschender ist der diesjährige Entscheid: Mit Kendrick Lamars Album «Damn» wird nicht nur eine Hip-Hop-Platte als erstes Werk aus der Populärmusik bedacht, sondern ein kommerziell erfolgreiches dazu. Bewegte sich der Musikpreis bis anhin gerne in den schattigen Verästelungen der Hochkultur, so stellt er nun ein Album aufs Podest, das weltweit Spitzenplätze in den Charts belegt hat.
Der 30-jährige Rapper, der mit vollen Namen Kendrick Lamar Duckworth heisst, zählt zu den gefeiertsten Musikern der Jetztzeit. Entsprechend hat er eine in Vergessenheit geratene Auszeichnung wie den Musik-Pulitzer nicht nötig. Deutlicher noch als beim Literaturnobelpreis für Bob Dylan stellt sich die Frage, wer hier wen auszeichnet – der Preis den Gekürten, oder doch umgekehrt? Immerhin ging Lamars viertes Album bislang 1,5 Millionen Mal über den Ladentisch, und sein Erschaffer erntete dafür fünf Grammys.
Vielsagender als die Verkaufszahlen ist die emotionale Reichweite. Auch die ist bei Kendrick Lamar immens: Das düstere «Damn», das die jazzigen Noten seiner Vorgänger «Untitled Unmastered» und «To Pimp a Butterfly» zugunsten eines ungeschönten Blicks auf den afro-amerikanischen Alltag ablegt, ist ein Jahr nach Erscheinen zum Soundtrack einer Bevölkerungsschicht geworden. Nicht zufällig werden an Protesten der «Black Lives Matter»-Bewegung Songs von Lamar rezitiert.
Doch hat Lamars Musik – wie jede grossartige Kunst – ihren Rahmen längst verlassen. Vergleichbar mit Miles Davis' Sprung zur elektrischen Phase hat Lamar ein kompromissloses Album geschaffen, dessen Klangbild ebenso in den Bann zieht wie seine Informationsdichte. Hier werden mit den Stilmitteln des Postmodernismus Collagen erschaffen, Stimmungen demontiert und Brüche zelebriert. Springende Plattenspielernadeln verbiegen die Zeitachsen, stille Introspektion verkehrt sich nach Aussen, und aus finsteren Betrachtungen erwachsen hoffnungsvolle Visionen.
Bekennender Christ mit Blutlust
Genretypisch lässt auch Lamar in seinen Videos vollbusige Ladies an Geldzählmaschinen und stiernackige Homies in aufgemotzten Karren sitzen. Doch geht es ihm um weit mehr als die Zementierung von Klischees: Lamar vermischt Bekenntnisse zu seinen Wurzeln in der Hip-Hop-Brutstätte Compton mit ironischen Brechungen. Indem der bekennende Christ weder in Texten noch Bildern auf Gewaltdarstellungen verzichtet, trifft er den Zeitgeist besser als viele seiner überkorrekten Kollegen aus dem philosophischen Conscious Rap.
Im Song «XXX» kontrastiert Lamar die eigene Blutlust mit seiner Forderung nach verschärften Waffengesetzen. In «DNA» untersucht er sein Innerstes und findet so Gegensätzliches wie «power, poison, pain and joy». Und in «Element» kippt er im Sekundentakt von Grössenwahn zu Selbstzweifel. Indem Lamar den Widerspruch zulässt, sich nie zum Träger einer einzigen Wahrheit erhebt, macht er sich glaubwürdiger als sein derzeit grösster Kritiker: Mit dem prominenten Anwalt und Fox-Moderator Geraldo Rivera liefert sich Lamar sein geraumer Zeit einen Schlagabtausch. Nun hat er dessen Aussage, Hip-Hop sei für die amerikanische Jugend gefährlicher als Rassismus, als Sample in einem Song verarbeitet.
Doch die Fans und Bewunderer sind klar in der Überzahl. Bereits werden erste Stimmen laut – etwa im britischen Guardian vom Samstag –, dass Kendrick Lamar vielmehr den Pulitzer-Preis für Literatur verdient hätte, zumal seine Reichweite höher sei als jene der angesehensten Dichter. Sein Vermögen, mit Worten zu jonglieren, stehe auf einer Ebene mit Shakespeare oder Wordsworth. Darüber lässt sich freilich streiten, und auch hier könnte man die Diskussion um Dylans Literaturnobelpreis aufwärmen. Vor allem bestärkt die Forderung, herausragende Musiker mit Literaturpreisen zu bedenken, das hartnäckige Vorurteil, Musik sei als Kunstform weniger wert als Literatur. Die Pulitzer-Jury hat auch in diesem Punkt bestmöglich gehandelt.
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